Rongard kniff die Augen zusammen und begann sich auf seine Arme abzustützen. Mit hängendem Kopf kniete er und atmete tief ein. Noch immer hörte er seinen weiß gefiederten Freund - seinen Falken. Er schrie, Schmerz und Leid lagen nah beieinander und so teilten beide diese Last.
Er erinnerte sich an seinen aufgebrachten Onkel und das aufziehende Unwetter. Dann glaubte er unmittelbar neben einer Detonation zu stehen und alles um ihn herum färbte sich Schwarz.
Seine Ohren klingelten immer noch; der eigentliche Schmerz hingegen schien abgeklungen.
Er spürte weichen Grund zwischen den Fingern und unter den Knien, doch wie kann das sein? Er trug Kleidung und das Wetter war zudem zugig. Sand gab es nicht, an der Küste brandete das Meer auf robusten Fels. Bedächtig öffnete er die Augen, der Adamsapfel hüpfte in Erwartung.
Der Himmel leuchtete kristallblau, hinter ihm sang die See ein beruhigendes Lied. Er hörte Lockrufe von Vögeln und deutlich das Summen von emsigen Bienen. Die warme Luft, das wärmende Gefühl. Es war Frühling an jenem Ort, an welchen er sich befand.
Moment ... Mit krauser Stirn sah er sich um und fand, was sein Kopf ihm verriet - Nichts.
Keine Bienen, die um ihn herum flogen, um Nektar zu sammeln. Auch sah er nirgends Vögel, die er hätte hören können. Lediglich Strand, soweit das Auge reichte und hinterrücks das Meer. Vor ihm, geschätzt vier Schusslängen mit Pfeil und Bogen, erspähte er einen Grünstreifen. Dahinter erkannte er Bäume.
Stimmen. Eine Melodie. Trillern von Vögeln und abermals summende Geräusche von kleinem Getier.
Ihm wurde schwindelig, also seine Sicht begann sich im zu winden, ähnlich, als stünde man auf den Planken eines Schiffes auf hoher See.
Der Strandstreifen, der noch zuvor mit einem Pfeilschuss nicht zu überwinden gewesen wäre, schnellte an ihm vorbei. Er hörte es nun überdeutlich und ... ja wahrhaftig ... er konnte sie beileibe sehen.
Vögel, wie sie auf hohen Ästen saßen und ihre Lieder trillerten.
Insekten, die durch Strauchwerk eilten.
Und da war noch mehr.
Diese Melodie, die ihn zu rufen schien ... Wesen, ähnlich wie er selbst, dennoch nicht menschlich. Sie hoben ihre Arme und hielten ihm einladend die Hände voraus. »Du bist nicht allein ...«, formten ihre Lippen, doch war ihm bewusst, dass er nicht dort bei ihn sein konnte. Er kniete noch immer am Strand. Kniend und vornüber aufgestützt im Sand; mit gesenktem Kopf.
»Öffne dich«, hörte er ihr Wispern in seinen Gedanken. »Lass deinen Körper fahren und erhebe dich«, beschworen diese lieblich klingenden Stimmen. Diese umgarnten ihn. Woben ihn ein, mit ihrem Klang.
Tief sog der junge Rongard Luft in seine Lungen, schloss die Augen und wünschte sich fliegen zu können wie sein gefiederter Freund, den er nah bei sich spürte, wenngleich verloren glaubte.
Kühle Winde umfingen ihn. Liebkosten ihn in Gänze und schmeichelten seiner grazile Figur. Er spürte, wie seichter Wind seine Finger durchstrich, so als streife er durch seidenes Haar. Die Luft roch und schmeckte salzig aber rein. Der Recken, welcher er einst sein würde, fühlte sich erhaben. Unantastbar und frei.
Er glaubte zu lächeln und öffnete in freudiger Erwartung die Augen ...
Die Luft war salzig und rein.
Die Winde umschmeichelten seinen Körper.
Auch streiften selbige durch seine Finger.
Hoch oben, fernab festen Bodens glitt er lautlos wie ein jagender dahin und genoss die Freiheit des Fliegens. Seine Freiheit.
»Nun sind wir eins mein Freund. Nun sind wir eins. Ich werde dir Aug' und Ohr sein, während du die Klinge gegen den Stahl bist. Nun sind wir eins.«