Valerij verließ gerade die Kneipe, in der er heute mit seinen Freunden gewesen war, und schlenderte nach Hause. Zu dieser späten Stunde war auf den Straßen kaum jemand unterwegs. Er zog seine Jacke enger um seine Schultern und steckte die Hände in die Jackentaschen, weil es ganz schön kühl geworden war.
Außer seinen eigenen Schritten auf dem Asphalt war nichts zu hören. Trotzdem überkam ihn ein Gefühl beobachtet zu werden. Unsicher blickte er sich um, aber konnte nichts Verdächtiges erkennen. Keine Menschenseele weit und breit.
Da war nichts, schalt er sich selbst, aber beeilte sich trotzdem in seine Wohnung zu kommen.
Vor dem älteren Mietshaus in dem er wohnte, sah er sich nochmal nach beiden Seiten um, bevor er die Haustür aufschloss.
Dieses komische Gefühl war wieder verschwunden und er konnte gar nicht genau sagen, was es eigentlich gewesen war. Irgendwie eine Ahnung.
Mitten in der Nacht wachte er plötzlich auf.
Hatte er gerade einen Hauch an seiner Wange gespürt?
Seine Augen blickten sich hektisch im dunklen Zimmer um, aber da war nichts. Im fahlen Mondlicht erkannte er nur seine Möbel und den üblichen Kram.
Valerij knipste das Licht an, aber es war alles normal.
Seufzend löschte er die Lampe wieder, legte sich abermals nieder und schloss die Augen. Kaum war er eingeschlafen, flüsterte jemand seinen Namen. Es erklang nur in seinem Kopf. Wahrscheinlich träumte er.
Eine flüchtige Berührung an seiner Schulter, ließ ihn schließlich hochschrecken und tatsächlich stand eine dunkle Gestalt neben seinem Bett.
Den jungen Mann traf fast der Schlag, als er diesen schwarzen Umriss als männliche Gestalt identifizierte.
Dann veränderte sich auf einmal sein Zimmer zu einem altertümlichen Gemach mit Himmelbett, das von zwei Feuerschalen erhellt wurde. Die Gestalt entpuppte sich im Feuerschein als ein Mann mit schwarzen, kurzen Haaren, heller Haut und hellen Augen.
Verwundert fragte Valentin: „Wo bin ich?“
Der Fremde antwortete in einer fremden melodischen Sprache, die er nicht verstand. Es könnte irgendwas Südländisches sein.
Im nächsten Augenblick saß der Unbekannte neben ihm auf der Bettkante und berührte seine Wange. Valerij schreckte sofort zurück, weil er gar nicht gesehen hatte, wie der andere zum Bett gekommen war.
Der Typ war doch gerade noch gestanden und jetzt saß er plötzlich neben ihm und fasste ihn an. Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu. So schnell bewegte sich kein Mensch und auch der Umstand, dass sich sein Zimmer verändert hatte. Das musste alles ein Traum sein!
Der unheimliche Fremde blickte ihn freundlich an und sprach abermals in dieser Sprache. Italienisch oder Spanisch, irgend so etwas.
„Was willst du von mir?“
Der Schwarzhaarige antwortete: „Hab keine Angst, Valerij!“
Ihm wurde gerade klar, dass er den anderen plötzlich verstand.
„Wer bist du?“
Der Fremde entblößte lächelnd schneeweiße Zähne und der junge Mann entdeckte längere spitze Eckzähne in dessen Mund, was ihm einen eisigen Schauer über den Rücken jagte.
„Jemand, der deine Schönheit bewundert“, antwortete dieses Wesen und ließ eine hellblonde Strähne von Valerijs langem Haar, durch seine Finger gleiten.
Er rührte sich vor Angst lieber nicht, ließ es zu, dass dieser Unbekannte über seine Gesicht strich und ihn betrachtete.
Die Finger des Wesens fühlten sich unbeschreiblich zart an. Die Haut war wie glatte Seide. In den hellgrauen Augen lag ein unnatürlicher Schimmer und das Antlitz war absolut ebenmäßig, wie heller Marmor. Das war eindeutig kein Mensch, aber wirklich sehr faszinierend.
Valerij sehnte sich sogar nach den Berührungen des Fremden. Es fühlte sich so unbeschreiblich gut an und diese Augen zogen ihn regelrecht in ihren Bann. Er musste einfach hineinstarren und erschrak, als er eine federleichte Berührung an seinen Lippen bemerkte. Doch sein Gegenüber hatte sich scheinbar nicht bewegt.
Der Fremde saß noch genauso da, musterte sein Gesicht, lächelte dann und hauchte: „So unwiderstehlich!“
Wer oder was saß da nur vor ihm?
Der Dunkelhaarige schmunzelte. „Was ich bin? Kein Geist jedenfalls.“
Er konnte Gedanken lesen, wurde Valerij klar.
Der Feuerschein tauchte alles in flackerndes Licht und machte die Szenerie noch unwirklicher. Der junge Mann akzeptierte, dass er träumte und entspannte sich dadurch, oder es lag an der Aura des Fremden. Dieser schien kein böses Wesen zu sein.
„Du brauchst mich nicht zu fürchten“, hörte Valerij im Kopf und diese Aussage beruhigte ihn. Die seidigen Finger strichen abermals über seine Wange, was der junge Mann sehr genoss. Irgendwie merkwürdig, dass er sich von einem Mann so berühren ließ, aber es fühlte sich richtig gut an und auch nicht falsch.
Das Wesen betrachtete seinen Unterarm, fuhr mit den Fingerspitzen daran entlang und hob dann Valerijs Hand an die Lippen.
Erst ein Kuss auf die Innenseite seines Handgelenks, dann drückten sich diese überaus zarten Lippen fester auf seine Haut und er fühlte ein leichtes Brennen.
Doch einen Augenblick später lag die Hand wieder auf seinem Schenkel und der Fremde blickte ihn mit einem Ausdruck der Verzückung an.
Valerij war sich nicht sicher, ob er sich das eben nur eingebildet hatte, weil es so aussah, als wäre es nie passiert.
Plötzlich wandte das Wesen den Kopf in Richtung Fenster. Vor Schreck wäre Valerij fast ohnmächtig geworden, denn dort stand auf einmal ein großer, schlanker Mann mit langen, hellblonden Haaren und blauschimmernden Augen. Ihm war sofort klar, dass dies ebenfalls so ein Wesen sein musste, weil es nun mit einem verschlagenen Grinsen seine schneeweißen Zähne entblößte. Valerij konnte kräftige, spitze Hauer in diesem Gebiss erkennen, was ihm eine Gänsehaut bereitete. Er ahnte, dass dieser Mann anders war, als sein Gegenüber.
In der nächsten Sekunde war derjenige jedoch wieder verschwunden und von dem Dunkelhaarigen meinte er ein leises Knurren gehört zu haben.
Doch als er ihn jetzt anblickte, war nichts Bedrohliches in dessen Gesicht, nur Zuneigung.
„Ich möchte dir etwas geben“, sagte der Fremde und hielt Valerij sein Handgelenk entgegen, auf dessen blasser Haut, einige fast schwarzaussehende, große Tropfen zu sehen waren. „Leck es ab! Du wirst es nicht bereuen.“
Valerij wusste nicht, warum er es überhaupt tat, könnte es doch Gift, oder sonst etwas sein.
Er leckte vorsichtig diese Tropfen von der straffen, kühlen Haut des Wesens auf und wich wieder zurück. Ein metallischer Geschmack lag auf seiner Zunge, gefolgt von einem Gefühl der Wärme, die seine Glieder erfasste. Plötzlich fühlte er sich hellwach und irgendwie aufgeputscht.
Er wollte noch mehr davon und der Fremde gab es ihm bereitwillig, denn er bot Valerij abermals das Handgelenk an auf dem sich wieder neue gebildet hatten.
Diese Kostprobe berauschte ihn regelrecht, so dass er nur nebenbei registrierte, wie der Unbekannte „Lebe wohl! Bis bald“, sagte und ihn allein auf seinem Bett zurückließ.
Magnus hatte Tiberius und diesen Sterblichen vom gegenüberliegenden Dach aus durch das Fenster beobachtet. Jetzt kehrte der Ältere zu ihm zurück.
„Was willst du von ihm?“, fragte Magnus schmunzelnd. Er konnte sich schon denken, dass der Sterbliche seinem Römer gefiel. Tiberius stand auf blond und blauäugig. Er musste zugeben, dass dieser Mensch wirklich gut aussah.
„Er gefällt mir“, entgegnete Tiberius und sah nochmal zum Fenster zurück. Dann richtete der Römer seine Augen wieder auf Magnus.
„Und er gehört mir. Haben wir uns da verstanden!“, bemerkte er bestimmt.
Der Hellblonde grinste breit. „Wie du wünschst, Zenturio! Komm, stürzen wir uns ein wenig ins Nachtleben. Ivana ist ja mit ihren Freunden unterwegs.“
Der Römer blickte über die Dächer. „Du weißt doch, dass ich nicht gern ausgehe. Außerdem ängstigt meine Gegenwart einige Einheimische hier. Ich halte meine Aura zwar zurück, aber sie wissen, dass sich einer der Alten in ihrer Stadt aufhält.“
Magnus lachte. „Mit dir kann man auch nirgends hin ohne aufzufallen.“
Tiberius grinste. „Das sagt gerade der Richtige. Wenn man mit dir irgendwo auftaucht, steht man sofort im Mittelpunkt. Mein Kelte!“
Der Herrscher von Rom wusste bereits, dass ihn dieser Sterbliche nicht so schnell loslassen würde. Dazu hatte ihn dessen Schönheit zu sehr betört und auch dessen Duft und Geschmack. Er erinnerte Tiberius an seinen Zögling Eric, den er erst vor Kurzem ins Koma schicken musste, weil Eric ihn hatte vernichten wollen. Vielleicht war Valerij endlich der Dritte im Bunde, mit ihm und Helena zusammen, da Magnus nie vollständig ihm gehören würde, Dazu liebte sein Barbar die Unabhängigkeit und seine Gefährtin viel zu sehr.
Morgen Nacht musste er unbedingt hierher zurückkehren. Die Gedanken des Menschen, die ihm jetzt zuflogen, ließen ihn innerlich schmunzeln. Valerij genoss immer noch die Wirkung des 2000-jährigen Blutes von ihm und er würde diesen euphorischen Zustand nochmal erleben wollen. Dessen war sich der alte Römer absolut sicher und er würde es diesem bildschönen Jungen natürlich gern gewähren.
"Gehen wir!" , sagte er schließlich und die beiden schwangen sich in die Luft.