Am Tisch in der Taverne saß allein, zu später Stunde, eine Ritterrüstung. Moosbewachsen und in dunkelgrüner Farbe, ruhte sie scheinbar reglos dort, wo andere aßen; den Kopf auf den Tisch gebettet. Reglos, aber nicht stumm. Ein leises Schnarchen hallte blechern aus dem heruntergeklappten Visier. Die Tür öffnete sich und wurde kurz darauf zugeworfen. Nicht jedoch die massive aus Eichenholz gefertigte und mit Metall verstärkte Eingangstür der Taverne, sondern die winzige, extra in Feengröße gefertigte Tür. Dort hindurch huschte eine Fee mit grünen Flügeln, die einmal durch den Raum und um den geschmückten Weihnachtsbaum sauste. Anschließend landete sie sanft auf dem Tisch, an dem der grüne, mit zwei Hörnern bewehrte Helm, schnarchte.
Sie trat einige Schritte an den Metallhaufen heran. »Hey! Feenexpress!«, rief sie.
Der Helm grunzte.
»Genug geratzt! Wach auf!«, forderte sie und versuchte, den Helm vom Tisch zu schieben. Der Kopf darin war allerdings ein vielfaches schwerer, als die Fee selbst und rührte sich daher kein Stück. Daraufhin suchte sie sich einen Luftschlitz und rief hinein: »Wichtelzeit!«
Das Schnarchen stockte und der Kopf atmete schwer. Durch die Schlitze erkannte die Fee schemenhaft sich langsam öffnende Augen.
»Na endlich!«
»Ich dachte immer, du seist 'ne Fee und kein Wichtel«, bemerkte der Helm.
»Ich habe ein wichtige Nachricht für dich, die jetzt sofort gelesen werden muss!«, bestand die Fee und wedelte mit dem briefmarkengroßen Stück Papier vor den Sichtschlitzen des Helmes herum.
Daraufhin erhoben sich Rüstung und Helm und ein moosbewachsener Panzerhandschuh fuhr an die Fee heran, um dann mit Daumen und Zeigefinger das Stück Papier zu greifen, darauf bedacht, die Fee nicht zu zerquetschen.
»Wie soll ich das lesen?«, wollte der Helm wissen.
Die Fee gluckste.
»Gab es das nicht in größer?«
»Nein! Wie soll ich das sonst transportieren?«
Der Helm seufzte.
»Lies es!«
Die Hand drückte das winzige Papier auf den Tisch und machte sich daran, die Panzerhandschuhe von den Händen zu friemeln. Nach einiger Zeit kamen blasse, dreckige Hände zum Vorschein, die erneut nach der Nachricht griffen, um sie aufzufalten.
Der Helm grummelte. »Hast du ’ne Lupe?«
»Na klar!«, rief die Fee und kramte eine Lupe in Feengröße hervor und streckte sie ihm entgegen.
»Die ist so groß, wie mein Fingernagel.«
»Das geht schon!«
Die Rüstung ignorierte die Lupe. Eine Hand fuhr zum Visier und öffnete es, doch kein Licht drang hinein. Seltsame Schatten legten sich auf die Haut. Ganz so, als sei das Gesicht ständig in einem ungünstigen Winkel, um einen klaren Blick darauf zu erhaschen. Die Hände entfalteten das winzige Papier und führten es ganz nah an den geöffneten Helm heran. Kurze Zeit später ließen sie es fallen und schlossen das Visier wieder.
»Drachen? Romanze?«, schallte es blechern aus dem Helm. »Das sind beides Dinge, mit denen ich nicht viel anfangen kann. Und zu müde bin ich auch.«
»Soll das etwa bedeuten, dass du nicht Wichteln willst? Du kannst nicht einfach so aussteigen!«, stellte die Fee fest und streckte dem Helm mahnend einen Finger entgegen.
»Vielleicht nach einem Nickerchen«, erwiderte der Helm und vergrub die Hände wieder in den schützenden Panzerhandschuhen. Dann packte eine Hand die Fee, woraufhin ihr die Luft wegblieb.
»Zu fest!«, beschwerte sie sich und flatterte mit den Flügeln.
»Entschuldige«, sagte der Helm und lockerte den Griff etwas. »Bitte flieg mich zum Sofa.«
Die Fee begann noch heftiger mit den Flügeln zu schlagen, gab aber bald auf. »Du bist zu schwer!«
»Ach. Stimmt«, erwiderte der Helm, worauf sich die gesamte Rüstung erhob, um in Richtung Sofa zu stampfen. Der Holzboden knarzte und die Rüstungsscharniere quietschten ausgiebig.
»Wuhuu! Ich habe meinen eigenen Kampfroboter!«, rief die Fee und hielt eine Hand an die Stirn, um in die Ferne zu schauen. »Dort ist das Sofa!«
An der Couch angekommen, setzte die Rüstung die Fee in einer fließenden Bewegung auf die Rückenlehne der Couch und legte sich gleichzeitig auf die weichen Polster. »Danke für’s mitnehmen, Takachan.«
»Kein Problem!«
»Vielleicht ... fällt mir ja irgendetwas ein, wenn ich wieder fit bin«, grummelte der Helm und kurz darauf stellte sich ein gleichmäßiges, tiefes Schnaufen ein.
Vielfach glänzende und sich drehende Wirbel, begleitet von hellem, gleichmäßigem Summen auf einer weiten Ebene voller Eis und Schnee. Eiskristalle wurden von Wirbelwinden ausgestoßen und formten sich am Ende der Drehung in helle Funken, die am Horizont verglühten. Aus der Ferne war Donner zu vernehmen und je näher das Grollen kam, desto früher verglühten die Eiskristalle. Doch der Donner war plötzlich ein leises Flüstern längst vergessener Entdecker. Die Funken helle Markierungen auf einer verbrannten Karte. In eisige Höhe bäumte sich aufgestobener Schnee, um dem grollenden Donner auf des Wirbels Winde zu entkommen. Der Verursacher, in einer Senke grabend und zugleich wartend, in der Hoffnung, dass sich Sicht in Dunkelheit verzöge.
Was?
»Was?«
»Komm doch 'mal raus!«, rief eine dunkle Stimme. Schnee knarzte unter den schweren Stiefeln eines Mannes, der nicht nur so hoch, wie der Eichenholzkleiderschrank in der Blockhütte war, sondern auch so breit. Die Mütze, welche seine Glatze vor dem kalten Winterhauch hätte schützen sollen, ließ er in der Hütte auf dem Tisch bei Eintopf und Bier zurück, als er von draußen ein helles, klirrendes Geräusch vernahm. Sein stoppeliger Bart und die buschigen Augenbrauen ließen ihn wie einen Banditen erscheinen. Er war selten ohne seinen Bänderpanzer und die zweihändige Axt anzutreffen.
»Was ist denn?«, wollte ein anderer Kerl wissen, der in Lederhose und Leinenhemd in der Tür stand und in Richtung seines guten Freundes schaute. Ein ganzes Stück kleiner war er, mit einer Haarpracht, auf die der Große nur neidisch sein konnte - es aber nicht war, da er sich nichts aus Männerbehaarung machte. Dazu kam, dass die Haare nicht derart gepflegt daher kamen, wie die eines Künstlers oder einer Hofdame. Sie waren beide Söldnerpack. Kein Söldner hatte schöne Haare (außer Faenne und Vanti). Schließlich hatten Söldner gar keine Zeit, sich ordentlich darum zu kümmern. Klingen schleifen, Bier saufen und Feinden aufs Maul hauen – das ist wahre Klischeeerfüllung!
»Was ist denn nun?«, grummelte der Schrank.
Der Langhaarige trat endlich auch auf den Schnee hinaus und schloss zu Kyso auf. Das war der Name des glatzköpfigen Kämpfers. Eigentlich war sein voller Name Kyrillian Solarim. Aber aus diversen Gründen, die hier nicht hergehören, wurde er von Gald, das ist der mit den längeren Haaren, Kyso genannt. Sorry, Urdoggo. Tut mir Leid für das Geschwurbel hier, aber ich muss auf meinen Wordcount kommen! So, fertig für heute :D Bis morgen!
»Was redet der da für einen Unsinn?«, murmelte es aus dem Schnee.
»Spricht der Wolf etwa im Schlaf?«
»Ist das so ein Streuner? Dann sollten wir ihm gleich eins mitgeben!«, stänkerte der Kämpfer und packte seine Axt mit beiden Händen.
»Warte mal. Da, wo er liegt, ist gar kein Schnee. Als hätte er ihn aufgetaut«, sagte der Langhaarige und stocherte mit der Fußspitze im schneefreien braunen Gras herum. Daraufhin fummelte er etwas Trockenfleisch aus der Tasche und legte es vor die Schnauze des Wolfes.
»Komische Narben hat er auch. Ich sag dir: Das ist ein Streuner! Hat im Kessel wohl zu viel Hitze abgekriegt.«
»Ich gebe zu, dass wir ein sprechendes Tier noch nicht hatten. Wenn er aber mit einem Menschen verbunden ist, sollten wir ihn zuerst anhören.«
Die Lefzen des Wolfes zuckten und er begann zu schnuppern. Kurz darauf schnellte die Zunge aus dem Maul und fegte nach dem Stück fleisch über den Boden, welches er sogleich verschlang. Gald verschränkte die Arme.
»Wenigstens ist er nicht im Prügelschlaf.«
Der Wolf öffnete ein Auge. »Hm?«
»Hallo«, sagte der Kämpfer.
»Hallo«, erwiderte der Wolf und rappelte sich auf. »Irgendwie – also ich glaube nicht, dass ich hier richtig bin.«
»Ha!«, rief der Glatzkopf und packte die Axt fester.
»Warst du im Zwiekschen Kessel, als die Feuersbrunst ausbrach?«, wollte Gald wissen.
»War ich wo?«, erwiderte der Wolf und sah sich sichtlich verwirrt um. »Ich weiß nicht, wovon ihr redet. Ich habe nichts mit einem Kessel zu tun und das wird auch hoffentlich noch lange so bleiben.«
»Vorhin lag er jedenfalls noch nicht dort. Und ich kann mich nicht daran erinnnern, dass die Schneedecke irgendwie unterbrochen war, als wir hier ankamen.«
»Wir können uns hier draußen den Arsch abfrieren oder wir gehen einfach hinein und reden da weiter«, meckerte Kyso.
»So plötzlich änderst du deine Meinung? Das bin ich von dir gar nicht gewohnt.«
»Ich bin ja auch gerade in einem Traum. Mit einem sprechenden Wolf«, sagte er schnaubend, drehte sich um, stapfte durch den Schnee, trat sich an der Türschwelle die Füße ab und marschierte ins Haus.
»Komm, Wolf. Wir gehen rein. Da ist es warm.«
In der kleinen Hütte setzte sich der Wolf neben den knisternden Ofen, um die eine Nasse Fellseite zu trocknen. Die beiden Herren an einen einfachen Holztisch, der mit einigen simpel gezimmerten Stühlen bestückt war. Darauf stand noch der dampfende Eintopf, mit dem die beiden ursprünglich beschäftigt waren. Kyso legte die Axt wahllos auf den Tisch und begann Eintopf zu löffeln.
»Ich bin übrigens Marvin«, sagte der Wolf.
»Ist das eine Rasse oder so?«, wollte Kyso wissen und rieb sich über das Kinn.
»Nein, ein Name.«
Die beiden Menschen sahen sich erstaunt und gleichermaßen überrascht an. »Ich bin Gald und das ist Kyso. Ein Wolf mit Namen ist uns noch nie untergekommen ... beziehungsweise geben wir unseren Tieren auch Namen – und – so ungewöhnlich ist es gar nicht, wenn ich genauer darüber nachdenke. Aber wir reden dabei eher über Hunde und Katzen oder Pferde. Weniger von Wölfen.«
Der Wolf kniff ein Auge zusammen.
»Jedenfalls: Noch kann ich mir nicht vorstellen, wie du hierhergekommen bist. Oder warum. Normalerweise haben wir nicht oft Besuch von sprechenden Wölfen. Genau genommen ist es das erste Mal. Sowas gibt es hier normalerweise nicht.«
»Wo ist denn ›hier‹?«, wollte der Wolf wissen.
»Flemerim.«
»Noch nie gehört.«
»Geht mir sprechenden Wölfen genauso.«
»Vielleicht kommen die einfach nicht aus Flemerim.«
»Daran wird es liegen. Eintopf?«
»Lecker.«
»Achtung, ist heiß.«
»Lieber Schnauze verbrennen, als Schnauze ver-frieren.«
Gald füllte etwas Eintopf in den Deckel des Topfes und stellte ihn auf den Boden. Der Wolf kam herbei und begann, zu schlecken. »Heiß!«
»Und was machen wir jetzt mit ihm?«, wollte Kyso wissen.
»Vielleicht sollten wir ihm helfen, wieder nach Hause zu finden.«
»Wahrscheinlich besser, als hier in Eis und Schnee in der Hütte zu verrotten. Was machen wir eigentlich hier?«
»Wenn ich das wüsste. Wir waren ja auch einfach plötzlich irgendwie hier, richtig?«
»Sieht so aus. Kann mich jedenfalls nicht erinnern, Holz für den Ofen gehackt zu haben.«
»Ich auch nicht.«
»Also wisst ihr auch nicht, wie ihr hierhergekommen seid?«
»Praktischerweise haben wir einen Drachen in der Nähe, der bringt uns weg.«
»Hier gibt es Drachen?«, fragte der Wolf mit großen Augen.
»Naaa klaaaar«, erwiderte Kyso monoton. »So wie es sich für jede ordentliche Fantasywelt gehört!«
Jeder futterte den Eintopf auf und Kyso schnallte seinen Gürtel etwas weiter. Das tat er immer, wenn er wusste, dass die letzten Bissen zu viel des Guten waren und bald das Fresskoma zu erwarten war.
»Alle bereit? Dann los!«, rief Gald, sprang auf und lief zum hintersten Fenster und raffte die Vorhänge beiseite. Der Wolf drehte alarmiert die Ohren in seine Richtung und sah dann zwischen beiden hin und her. Kyso packte seine Axt und warf sie aus dem Fenster, woraufhin ein metallenes Scheppern in die Hütte drang. Dann zog er sich mühelos am oberen Fensterrahmen nach oben und schob sich mit den Füßen voran nach draußen.
»Los Wolf, auf geht’s!«
Der Narbengezeichnete machte einer halbe Drehung, nahm dann Anlauf und sprang aus dem Fenster. Gald kletterte hinterher.
Hinter ihnen schloss sich mit einem lauten Surren eine Schiebetür und ein langgezogenes Zischen ertönte. Ein in fahles, blaues Licht getauchter Korridor lag vor ihnen und hellgraue Wände aus kaltem Metall umgaben sie. Hin und wieder unterbrachen leuchtende Monitore und Tastaturen die glatte Wandfläche. An einigen Türen flimmerten Handabdrücke auf niedrig auflösenden Berührungssensoren. Ein tiefes, gleichmäßiges Brummen tönte unterschwellig aus dem Inneren des Schiffes. Hin und wieder hörte man ein piepen aus Richtung der Monitore. Einige Kontrollleuchten blinkten grün oder blau.
»Willkommen an Bord des Drachen, meine Herren«, begrüßte sie ein zotteliger, kleiner Mann. Er trug einen weißen Kittel, einen grauen Rauschebart und eine Brille mit runden Gläsern. Er war kaum größer als die Schulterhöhe des Wolfes. »Wie immer mit Verspätung, nich? Na – da kann man ja noch einmal drüber hinwegsehen! Ich habe währenddessen die Triebwerke gewartet und die Schildgeneratoren modifiziert. Sollte uns noch einmal ein Hyzzurithnischer Jäger aus dem Hinterhalt angreifen, sollten wir einfach entkommen können. Ich lege euch noch einmal Nahe, endlich ein Nahfelderkennungssystem anzuschaffen, damit wir das Gesindel früher erkennen können. Und äh ... seid ihr sicher, dass ihr ein Tier von diesem Planeten mitnehmen wollt? Es wäre nicht ungewöhnlich, dass es die Reise nicht überlebt. Alle primitiveren Lebensformen sollten lieber auf ihren heimischen Planeten bleiben.«
»Ich verstehe dich«, sagte der Wolf.
Der Knirps griff in seinen Rauschebart und kraulte ihn. Dabei sah er den Wolf mit steinerner Miene an. Da sein Gesicht beinahe nur aus Bart bestand, seine Nase sowieso schon rot war und die Augenbrauen fließend in das Haupthaar überzulaufen schienen, war er mit einem fantastischen Pokerface ausgestattet. »Faszinierend.«
»Das ist schon in Ordnung, Jullebuth. Der Wolf lag plötzlich vor unserer Tür. Nicht wie ein Hund, sondern eher wie ein ... Zeitreisender oder sowas«, sagte Gald und schaute auf den Wolf. Kyso bückte sich nach der Axt.
»Faszinierend. Dürfte ich vielleicht ein paar Haarbüschel zur Untersuchung haben? Einfach für die Wissenschaft. Wobei, vielleicht lieber nicht. Wer weiß, worauf wir da stoßen. Manche Dinge erkundet man besser nicht.«
»Das sind ja ganz neue Töne von einem Wissenschaftler. Nimmst du nicht mehr alles zwanghaft auseinander und guckst, woraus es besteht?«
»Das habe ich – bis ich plötzlich zum Schiffstechniker degradiert wurde, weil ihr den Alten auf Yallhysa zurückgelassen habt!«, meckerte Jullebuth, verschränkte die Arme und starrte zu Gald hoch.
»Ihm wuchsen Tentakel aus den Ohren, seine Fingernägel kräuselten sich und dann hat er irgendwelche urtümlichen Lieder gesungen«, bemerkte Kyso.
»Und das hat die Eingeborenen angelockt, die mit Lasersensen nach uns geworfen haben. Hätten wir die etwa auch mitnehmen sollen? Nie im Leben. Lieber transportiere ich Käfige voller Klatschklingen.«
Jullebuth knurrte, was sich wie ein gluckernder Abfluss anhörte. Der Wolf legte dabei den Kopf schief.
»Na gut. Jedenfalls ist das Schiff startklar«, lenkte Jullebuth ab und marschierte aus dem Gang und durch eine Tür, die sich von selbst öffnete und wieder schloss.
»Das ist jedenfalls die ... oder der Drachen. Das Raumschiff Drache – du weißt, was ich meine«, sagte Kyso in Richtung Wolf. Dieser nickte nur.
»Eigentlich sollten längst einige Laserwaffen oder Plasmakanonen installiert worden sein. Da sich aber unser Energiegenerator in einem eher bemitleidenswerten Zustand befindet, müssen wir zunächst ohne auskommen. Ist also nicht viel mit Feuer speien. Ist eher eine zahnlose, ältere Drachendame«, stellte Gald fest und tätschelte die Metallwand.
»Verstehe«, bemerkte der Wolf.
»Jedenfalls ist das unser bester Versuch, dich in deine Welt zurückzubringen. Wir fliegen damit nach Höjorrereserth. Dort findet auf dem Gipfel des höchsten Berges demnächst das berüchtigte Lebkuchenwettfresserfest statt. Wettfressen deshalb, weil alle Teilnehmer ihre größten Viecher mitbringen und diese anschließend Berge von Lebkuchen wegfuttern. Wer als erster fertig ist, hat gewonnen.«
»Höjo-wie?«
»Höjorrereserth.«
Der Wolf schluckte.
»Übungssache. Irgendwann kannst du es aussprechen«, sagte Kyso, lachte und rieb dabei seine Glatze.
Gald drückte mit dem Finger einen Schalter an der Wand herunter und sagte: »Jullebuth, wir sind startklar.«
»Irgendwie verstehe ich noch nicht, was das Lebkuchenwettfressen mit meiner Rückkehr zu tun haben soll.«
»An dieser Veranstaltung nimmt auch Hossu var Rex teil. Ein Wissenschaftler und Spezialist für Raumkrümmung und Zeitmanipulation. Jedenfalls sagt er das. Jullebuth ist nicht davon überzeugt und hält ihn für einen Stümper. Seiner Meinung nach kann man die Zeit nicht manipulieren«, erklärte Gald und hob die Schultern an. »Ich habe davon keine Ahnung. Ich komme schließlich aus einer Fantasywelt.«
»Und dieser ... Hossu var Rex kann mir helfen?«
»Davon gehe ich aus. Wenn er dir auch nicht helfen kann, dann weiß ich selbst nicht weiter. Angeblich ist seine Leidenschaft für Lebkuchen so groß, dass er ein Rezept für spezielle Lebkuchen entwickelt hat, welche die eigene Raumzeit korrigieren sollen. Futterst du einen davon, könntest du wieder an deinen Ursprungsort zurückkehren.«
»Dann los!«, rief der Wolf.
Gald drückte wieder den Schalter: »Wie sieht's aus, Julle? Heben wir langsam ab?«
»Nerv mich nicht!«, krächzte es aus der Gegensprechanlage. »Ich werf' die Triebwerke gleich an!«
»Er ist manchmal etwas unausgeglichen«, bemerkte Gald und deutete in Richtung Tür. »Wir haben einen angenehmen Aufenthaltsbereich. Dort können wir es uns gemütlich machen, bis wir angekommen sind.«
Die Tür war aus massivem Metall gefertigt worden und ein - was zum Blutgeier?
»Hallo, mein Name ist Marvin. Ich hätte gern zwei mal die Nummer vier, als Menü. Dazu 'ne Schale Wasser!«, sagte der Wolf blechern. Sein Kopf steckte in einem der Lüftungsschächte in Bodennähe.
»Danke!«, beendete er das Gespräch und zog eine Papiertüte an einem Zipfel aus dem Schacht. Gald und Kyso starrten ihn an.
»Was? Ich habe Hunger«, kommentierte er die Blicke und vergrub seinen Kopf in der Tüte, um einen eingepackten Burger herauszufischen und diesen solange zu Schütteln, bis die Verpackung riss und der Burger in Einzelteilen über den Boden rutschte.
»Das brauch ich auch!«, rief Kyso, drückte Gald seine Axt in die Hand und kniete sich an den Lüftungsschacht. »Hallo! Ich hätte gern zwei mal die Nummer neun, einmal die Nummer neun in groß, eine Nummer sechs mit extra Dip, eine Nummer sieben, zwei Nummer fünfundvierzig – eine davon mit Käse und ne große Limo!«, schallte es blechern und kurz darauf zog er zwei dampfende Tüten aus dem Lüftungsschacht. Der typische Geruch von Frittierfett und Hyobo-Geschmacksverstärker füllte den Korridor. Gald sah beiden zu, wie sie futternd auf dem Boden saßen. Er lehnte die Axt an die Tür und verschränkte die Arme.
»Kyso, weißt du, ob Jullebuth die Tür zum Aufenthaltsraum ausgetauscht hat? Sie sieht so aus, als würde sie nicht ins Schiffsbild passen.«
»Hm?«, machte Kyso kauend, »Keime Ahmung, waff du meinft.«
Gald drehte sich um und sah durch eine dicke, zerkratzte Glasscheibe, welche in besagte Tür eingelassen war. »Licht brennt auch keins.«
Ein lautes Rülpsen schallte durch den Gang. Das war sicher Kyso, der ... nun sehr weit entfernt von ihm weg auf dem Boden saß.
»Was soll das? Warum bist du so weit weg?«, rief Gald.
»Wir sitzen hier schon die ganze Zeit und futtern!«, rief Kyso zurück.
Der Korridor wurde plötzlich dunkel und nur ein rundes Licht erhellte die Sitzplätze von Kyso und Marvin. Die Kaugeräusche des Wolfes und das Schiffssurren klangen, als tauchten Sie durch ein Gewässer. Die Sicht verschwomm und Hitzeflimmern durchzog Galds Sichtfeld. Am Rande der Lichtsäule erkannte er einen sich langsam bewegenden, gleißenden Punkt, der Funken aufwirbelte.
»Achtung!«, rief Gald und lief auf die beiden zu, doch sie entfernten sich immer weiter von ihm. Seine Schritte wurden immer schwerer und seine Sicht verschwamm immer weiter. »Unter euch!«
Niemand regte sich. Für Gald fühlte es sich an, als würden sie ihn gar nicht bemerken.
Plötzlich schlug das ausgeschnittene Stück Metall nach oben und wirbelte Marvin und Kyso umher und Wasser stieß fontänenartig in den Korridor! Tüten und Essen verstreuten sich im Raum und vermischten sich mit dem Wasser, dessen Pegel schnell anstieg. Ein Warnsignal an der Decke drehte sich und stieß einen schrillen Ton und rotes Licht aus. »Hüllenbruch! Wir sinken!«, schrillte es aus dem Lautsprecher.
»Verdammte Scheiße!«, rief Kyso und rappelte sich auf.
»Dort!«, kläffte der völlig durchnässte Wolf und zeigte mit einer Pfote an die Decke. »Wir nehmen einfach den Korken und verstopfen das Leck! Heb mich hoch!«
Kyso packte den Wolf und hielt ihn hoch. Zusammen erreichten sie den dicken Korken und Marvin stieß ihn mit den Pfoten von der Deckenbefestigung. Kyso ließ ihn herunter, packte den im Wasser treibenden Korken und watete durch das kniehohe Nass. Am Hüllenbruch angekommen hob er den Korken über seinen Kopf, stieß einen Schrei aus und rammte ihn direkt in die Fontäne.
Plötzlich wurde es still.
»Einen übergroßen Korken in eine Fontäne zu rammen, die mit derartigem Druck in das Innere eines Raumes stößt ... dazu muss Kyso übermenschliche Kräfte haben«, sagte der Wolf, der plötzlich einen Zylinder und ein Monokel trug. Kyso füllte plötzlich die gesamte Breite des Gangs aus, so heftig waren seine Muskeln angeschwollen. Gald wich einige Schritte zurück.
»Oder aber, und das ist wahrscheinlicher, wir befinden uns gar nicht in einem Raumschiff, sondern in einem Uboot.«
»Sag ich doch! Wir sinken!«, krächzte es erneut aus dem Lautsprecher.
Plötzlich ertönte ein dumpfes klopfen, als würde jemand unter Wasser mit einer Metallröhre auf Fels trommeln.
»Was ist ein Uboot?«, wollte Gald wissen und drehte sich immer wieder zum Klopfgeräusch um.
»Das ist ein-«, der Wolf wurde unsichtbar.
»Was?«
Das Klopfgeräusch wurde lauter.
»Humpfn!«, schallte es durch das Boot.
»Numpfmnn!«
»Sumpfmann, wach auf! Du machst dich ganz schön breit auf der Couch und schnarchst laut«, sagte eine bekannte Stimme. Luan klopfte mit dem Zeigefingerknöchel an seinen Helm.
»Ist ja gut«, murmelte dieser und setzte sich langsam und keuchend auf. Verschlafen am Helm reibend, sah er sich um.
»Was ist? Schlecht geträumt?«, wollte Luan wissen.
»Hast du den Wolf gesehen?«
»Fellnase?« Luan sah sich nun seinerseits um. Schaute hinter dem Sofa, neben dem Weihnachtsbaum und unter dem Tisch nach Marvin. »Seltsam ... eben war er noch hier.«