Langsam fuhren die Systeme der Slicer wieder hoch und ihr Kapitän Tuun Asilov konnte sich ein Bild der Lage machen.
Die Augen des Menschen wanderten über die blinkenden Schaltflächen, die ihn auf verschiedene Probleme seines Raumschiffs aufmerksam machten bis hin zu der großen Leere, die sich jenseits der Fensterscheibe seiner Brücke ausdehnte.
Ein schmatzendes Geräusch ertönte neben ihm als sich das schleimige Blatt am Rücken seiner mallurischen Copilotin schlagartig aufrollte und Essensreste im gesamten Raum verteilte. Asilov verstand diese Reaktion nur zu gut, konnte er sich doch noch erinnern wie übel ihm selbst nach seinem ersten Notsprung gewesen war.
„Kya, du darfst heute putzen. Und jetzt sag mir wo beim Ersten wir gelandet sind!“, fuhr er die pflanzenartige Humanoide an. Während diese ihren wortwörtlichen Holzkopf tief über die komplizierten Zahlen und Zeichen auf den Bildschirmen beugte und sich in ihrer klickenden Sprache lautstark über die Strenge ihres Vorgesetzten beschwerte, strich Asilov nachdenklich über seinen ungepflegten Bart.
Er wusste nicht ob sie es geschafft hatten ihre Verfolger abzuhängen. Der kantegonische Kreuzer hatte sich an die Fersen der hauptsächlich aus zwielichtigen Gestalten bestehenden Crew geheftet, sobald diese mit ihrem Schiff das Echo-System verlassen hatte.
„Verdammte Magierware, ich hätte den Deal nicht annehmen sollen. Bei der guten Bezahlung hätte ich sofort misstrauisch werden müssen“, grummelte er düster. Aber was für eine andere Wahl hatten sie gehabt? Seit dem Waffenstillstand mit dem dritten Imperium der Celestia war der Sektor voll von Söldnern, die wie sie nach jeder noch so fragwürdigen Gelegenheit suchten sich ein paar Credits zu verdienen.
Mit einem Seufzen machte er sich daran die Systeme seines Schiffes neu zu starten. Die Lebenserhaltung funktionierte glücklicherweise noch einwandfrei. Als nächstes schaltete er die Schilde, Triebwerke und, resignierend, den Bordfunk wieder online.
„Eine Frechheit! Sie wissen wie schädlich diese Notsprünge für meine Schaltkreise sein können!“, plärrte sofort die Stimme des Androiden Ceta 80 in sein Ohr.
„Ich hatte diesen Jäger direkt im Visier, jetzt hast du mir diesen Volltreffer versaut!“, beschwerte sich auch Jan Ego aus dem Heckgeschütz.
„Als ob du einen Asteroidenfresser aus der Distanz deiner mickrigen Arme treffen könntest, Mensch“, lachte der Ork Ullas. Er gab regelmäßig damit an schon als Kleinkind mit Sturmgewehren gespielt zu haben.
Bevor die beiden weiter streiten konnten stellte Asilov alle drei Kommunikatoren auf Stumm.
„Tabetha, ich brauche einen vollständigen Bericht über alle Schäden. Ich habe mindestens einen direkten Treffer auf die Außenhülle gehört.“ Die menschliche Technikerin war dafür verantwortlich die Geräte im Maschinenraum am Leben zu halten.
„Einer der Generatoren ist leicht beschädigt und wir haben die künstliche Schwerkraft an der Ruderspitze verloren. Wir werden also demnächst keine schnellen Manöver schaffen.“ Er genoss die Professionalität in ihrer Stimme. „Nun gut. Schau was du wegen dem Generator tun kannst und schick einen Reperaturbot zur Ruderspitze. Ich habe das Gefühl dass wir unsere Wendigkeit auf dieser Reise noch brauchen werden.“
Die Slicer verfügte über das namensgebende, messerförmige Ruder, das nicht nur Stabilität beim Atmosphärenflug bot, sondern auch Ullas´ Bordgeschütz, einen der fünf Schildgeneratoren und einen Gravitationsmanipulator, der dem Schiff die Möglichkeit gab selbst bei Höchstgeschwindigkeit quasi auf der Stelle zu wenden, beherbergte. Dieses Ruder befand sich an der Backbordseite des sonst eher klobigen Raumschiffs und war aufgrund seines hohen Energieverbrauchs eigentlich untypisch für Raumschiffe ihrer Größe.
„Da ist noch was. Mein Reperaturbot meldet ein fremdes Signal, das von unserer Hülle gesendet wurde. Ich glaub die haben einen Peilsender auf uns geschossen.“
In dem Moment meldete sich Kya von ihren Instrumenten: „Das kann ich bestätigen. Außerdem messen meine Scanner einen massiven Energieanstieg, etwa drei Clicks hinter uns. Die sind uns auf den Fersen!“
Panik ergriff die gesamte Crew.
Bevor irgendjemand etwas sagen konnte stellte Asilov alle Kommunikatoren außer seinen stumm. Dann sagte er ruhig: „Nun gut, die verdammten Kantegonier sind uns gefolgt. Ullas, Jan, konzentriert das Feuer auf ihre Jäger und alle Torpedos die sie uns eventuell entgegenschicken. Gegen den Kreuzer können wir zwar nichts ausrichten, aber er wird länger brauchen um alle Systeme hochzufahren. Das verschafft uns ein wenig Zeit. Tabetha, hol deinen Bot zurück, wir werden wohl ohne Ausweichmanöver klarkommen müssen.“
Schließlich wandte er sich an Kya: „Ist hier in der Gegend irgendetwas das wir zu unserem Vorteil nutzen können?“ Die Mallurierin betrachtete ihren Bildschirm für einen Moment, dann antwortete sie: „Es gibt ein mittelgroßes Sternensystem, 328,3 Clicks voraus, aber es gehört zu den vereinten kantegonischen Republiken.“
„Was gibt es dort?“
„Zwei Gasplaneten, Klasse F und D und einen habitablen Planeten mit dioxid- und dihydrogenmonoxidreicher Atmosphäre und üppiger Vegetation. Dort scheint sich eine kleine Bergbaukolonie auf der Oberfläche zu befinden.“
Kapitän Asilov überlegte. Bis der Kreuzer den Sprung vollendet hätte blieben noch geschätzte drei Minuten. Es galt also schnell eine Entscheidung zu treffen.
Das System, das er mit dem freien Auge nur als etwas größeren Lichtpunkt erkennen konnte, würden sie nicht ohne Feindkontakt erreichen können. Ohne die nötige Manövrierfähigkeit wären sie schnell von dem kleinen Jägergeschwader eingeholt, das den Kreuzer begleitete. Sich dem Kampf zu stellen war ebenfalls ausgeschlossen, da ein einziger Treffer des Kreuzers selbst im besten Fall alle Schilde dauerhaft lahmgelegt hätte.
Wenn er es genau betrachtete gab es für sie keinen Ausweg. Dieser Tag würde für ihn und seine Crew entweder als Weltraumschrott, oder in kantegonischer Gefangenschaft enden.
Außer er unternahm etwas dagegen.
In seinem Kopf begann sich ein Plan zu formen, der so verwegen war, dass ihn nicht einmal die gegnerischen Offiziere erwarten würden.
Schnell und entschlossen gab er seine Befehle an Kya weiter: „Steuere direkt auf das System zu. Egal was passiert, lass dich nicht vom Kurs abbringen.“ „Aber Kapitän! ...“, ihre Einwände hörte er gar nicht mehr.
Dann öffnete er einen Kommunikationskanal zu Ullas: „Kannst du das Cockpit eines Jägers treffen ohne ihn zu zerstören?“
„Diese Frage verletzt meinen Stolz zutiefst. Natürlich schaffe ich das!“, kam die Antwort.
Nun erhob sich der Kapitän aus seinem Sitz. Die Brücke der Slicer war sehr klein. Sie bot gerade genug Platz für ein bis zwei Piloten, aber am liebsten war Asilov allein in ihr. Allein mit seinem Raumschiff in der unendlichen Weite des Alls.
Direkt daran angeschlossen war der Bordcomputer. Zahlreiche Prozessoren heizten den länglichen Raum zu unangenehmen Temperaturen.
Eine doppelt gesicherte Durastahltür führte ihn schließlich in den Hauptgang, der fast die gesamte Länge des 45 Meter langen Raumschiffs maß. Der Gang führte vorbei an den Mannschaftsquartieren, der Küche, aus der ihm der Waldgeist Tuny freundlich zubrummte, während er mit seinen zotteligen Armen das Chaos beseitigte, das während der Kampfmanöver hier entstanden war. Schließlich mündete er im Lagerraum, der abgesehen von der kleinen schwarzen Kiste, auf die es die kantegonier abgesehen zu haben schienen, leer war. Auf seinem gesamten Weg begleitete ihn das Summen der Generatoren, die in den unteren Decks unermüdlich arbeiteten.
All das nahm der Kapitän mit einem Gefühl von Heimat in sich auf. Er liebte dieses Schiff. Mit ihm und seiner Crew hatte er große Teile der Galaxie bereist, Kämpfe bestritten und war bis jetzt immer mehr oder weniger heil ans Ziel gekommen. Es war vielleicht nicht das schönste Schiff, sah es doch eher aus als hätte man zufälligen Weltraumschrott aneinander geschweißt, doch es war sein Schiff und er würde es gegen kein Anderes tauschen.
Als er sich endlich in die Traktorstrahlkanone am Heck gezwängt hatte war der Kampf schon in vollem Gang.
Über ihm leuchtete das Mündungsfeuer des Heckgeschützes auf, als Jan einen Jäger aufs Korn nahm. Die Gegner verfolgten die bei den Kantegoniern übliche Taktik ihre halbmondförmigen Jäger möglichst nah an sie heranzubringen, um das Zielen zu erschweren, während der Kreuzer in der Entfernung seine schwere Hauptkanone auflud. Für seinen Plan war das perfekt.
Jedes der Einmannraumschiffe, scheinbar aus der Reihe der Gabelfeuer-Klasse war mit einer Nummer beschriftet, die auf den Rang des Piloten schließen ließ.
„Ullas, hol mir die Nummer 6, aber ich muss ihn unauffällig herholen können!“, Asilov war nie ein besonders guter Schütze gewesen, doch das automatische Zielsystem des Traktorstrahls erfasste den Jäger leicht und zog ihn zu sich, nachdem ein einzelnes leichtes Geschoss durch die Scheibe gebrochen war. Er konnte nicht anders als Ullas Arbeit zu bewundern, da er den Kurs kaum korrigieren musste um das kleine Raumschiff zur Andockstelle zu manövrieren.
Nun war es wichtig dass er schnell fortfuhr. Die Kantegonier würden einem getroffenen Jäger kaum Beachtung schenken, doch würde er zu lange neben der Slicer herfliegen, dann würde es ihnen früher oder später auffallen.
Also schwang er sich aus seinem Sitz und überbrückte die wenigen Meter rennend. Er klappte das Cockpit auf und warf die Leiche des elfischen Piloten einfach hinaus. Dann nahm er selbst dessen Platz ein und schloss die beschädigte Glaushaube wieder über sich. Unter dem Sitz fand er was er suchte: eine Dose, deren schaumigen Inhalt er sorgfältig über das klaffende Loch in der Scheibe verteilte. Es würde verhindern dass er im Vakuum des Weltraums erstickte.
Schließlich dockte er wieder ab und schaltete alle Systeme ab, um wie ein Wrack im Weltraum zu treiben. Asilov begutachtete das Innere seines neuen Raumschiffes. Er kannte die Steuerung noch gut aus seiner Zeit im Dienst der kantegonischen Flotte, bevor er gekündigt hatte, um ein Söldner zu werden. Der Jäger verfügte über zwei Laserkanonen, doch seine Stärke war der Ionentorpedo, dessen Explosion sogar die Schilde großer Schiffe für einen kurzen Moment außer Kraft setzen konnte. Wie versprochen war die Technik noch komplett intakt.
Jetzt verband er sich wieder mit dem Bordfunk.
„Hah, ich hab ihn! Habt ihr diesen Funkenregen gesehen?“, brüllte gerade der aufgeregte Jan.
Schnell schaltete Asilov wieder alle Stumm. „Leute, ich habe einen Entschluss gefasst. Die Situation ist aussichtslos. Selbst wenn ihr noch so viele Jäger abschießt wird euch am Ende doch der Kreuzer erwischen. Aber es gibt einen Weg wie ihr euch und die Ware retten könnt. Lockt die Jäger in die Atmosphäre des Planeten, wo sie euch nicht folgen können. Die Details zu dem Auftrag stehen in meinem Logbuch, das Passwort ist paniertes Echsenhuhn. Ich werde nicht mit euch kommen, ich habe einen Kreuzer zu zerstören.“
Dann kappte er wieder alle Verbindungen. Den Protest seiner Kameraden wollte er sich nicht anhören. Er hatte beschlossen dass es so enden sollte und er würde sich von niemandem davon abbringen lassen. Es war ein guter Tod, dachte er, während er der Slicer hinterher sah, wie sie von ihm weg zu den Sternen flog. „Flieg, meine Liebe“, flüsterte er ihr hinterher. „Flieg und pass auf sie alle auf. Sie werden deine Hilfe brauchen.“
Dann drückte er einige Knöpfe und die Dunkelheit des Alls wurde von einer gewaltigen Explosion erhellt, die nur der perplexe Jan mit eigenen Augen mitverfolgen konnte. Für einen Moment war ihm als würde das grelle Licht eine Gestalt annehmen, nur um sich im nächsten Moment mit der Unendlichkeit des Universums zu vereinen.