Nachgeschrieben am 30.12.2019
Beginn: 10:55
Ende: 11:48
Diese Aufräumaktion ist längst überfällig.
Im Grunde bin ich dankbar, dass die Umstände erzwingen, dass wir uns endlich daranmachen. Immerhin steht der Stall seit über 10 Jahren leer.
Wobei leer stehen den Sachverhalt nicht mal annähernd trifft.
Als hätten wir nicht genügend Stauraum auf dem Dachboden, dem Keller und den Garagen.
Seufzend stehe ich in dem Bereich, der früher als Reithalle diente.
Hier haben wir vor eineinhalb Jahren die alten Möbel untergestellt, als wir den Kotten saniert haben. Durchsehen, aufbereiten, verkaufen – das war mal den Plan gewesen. Dies gilt auch für die Jugendzimmer unserer Söhne, die in einer anderen Ecke vor sich hingammeln. Wir müssen den Tatsachen am Ende des Vormittags in die Augen sehen. Bis auf ganz wenige Stücke ist alles Schrott.
Martin, der in Arbeitskleidung über mir in der Remise kniet, schüttelt nur den Kopf. Er verspricht, uns einen Container zu bestellen. Oder besser zwei, wie er lachend kommentiert. Er hat gut reden, für uns hängen auch Erinnerungen an dem ganzen Kram.
„Komm, Mama. Wir machen hier im Laufe der Woche Tabula Rasa und dann ist alles raus. Die beiden Biedermeiertruhen und den Kleiderschrank bringe ich mit Papa rüber in die Werkstatt. Vielleicht möchte sich Jan daran versuchen.“
Er sieht sich weiter um und deutet in den hinteren Bereich, wo sich früher die Boxen befanden. Dort stapeln sich Umzugkartons. „Möchtest du die durchsehen?“, fragt mich mein Sohn.
Sein Blick sagt mir alles und ich weiß er hat recht. Bestimmt an die vier Jahre habe ich nicht mal mehr an den Kram gedacht, der sich darin befindet. Kleidung und persönliche Dinge meiner Mutter und ganz bestimmt auch noch von Elli und Jakob.
Neben mir schüttelt Paul den Kopf. Er sieht mir fest in die Augen.
„Alles, was irgendwie einen Platz bei uns oder den Jungs haben sollte, ist seit Jahren aussortiert. Und die Sachen sind selbst für die Wohlfahrt zu schäbig.“ Ich muss mir auf die Lippe beißen. Es ärgert mich, dass wir nicht schon vor Jahren mit der Entrümpelung angefangen haben. Niemals hätte sich dies so ansammeln dürfen. Nur aus Interesse öffne ich die Schubaden der Anrichte, die früher in der Wohnstube des Kotten stand. Paul zieht eine Augenbraue hoch, als er das alte Geschirr entdeckt.
„Schatz, mach einfach wieder zu. Ich bin mir sicher, dass auch die Jungs kein Interesse daran haben. Zudem bin ich mir sehr sicher, dass es sich nicht um teures Porzellan handelt.“ Er schmunzelt, dann zieht er sich an mich. Und schließlich nicke ich.
Am nächsten Tag sehe ich vom Küchenfenster aus zu, wie Paul und Martin mit Freunden unseres Sohnes den Stall ausräumen. Der erste Container wird am frühen Nachmittag abgeholt und als ich zögerlich einen Fuß in das Gebäude setze, muss ich durchatmen. Die alten Möbel sind verschwunden. Und auch fast alle Kartons sind schon weg. Paul steht mit dem Bauplan an einem der Fenster und bespricht sich mit Klaus, der auch schon den Kotten saniert hat. Ein paar der nichttragenden Pfosten wollen sie morgen schon herausnehmen. Ebenso die Boxenanlage. Schon jetzt wirkt das Untergeschoss doppelt so groß. Sie erklären mir eifrig, wo Wände und Fenster gesetzt werden sollen und wie die Aufstockung von statten gehen soll. So langsam sehe auch ich klarer, was die Pläne betreffen.
Schon am nächsten Morgen geht es weiter. Zum Mittagessen melden die Männer Vollzug.
Alleine gehe ich dann in den komplett entrümpelten Stall.
Nichts erinnert mehr an das Chaos.
Und nichts erinnert mehr daran, dass er einst bis zu 12 Pensionspferde, eine Voltegieranlage und die kleine Reithalle beherbergt hat. Am Wochenende gehen die Umbaumaßnahmen richtig los. Der Zeitplan ist eng. Ein wenig graut es mir davor, dass wir demnächst eine so große Baustelle auf dem Gelände haben werden. Dann denke ich den Sinn und Zweck.
Im Hof treffe ich auf meinen Sohn, der seinen Kumpel verabschiedet, der uns die Container kostengünstig zur Verfügung gestellt hat. Er grinst und wirkt gut gelaunt.
„Mama, ich will ja nichts sagen, aber das wurde wirklich Zeit“, stellt er fest. Dann zeigt er zur Werkstatt. „Ich habe Jan schon Fotos geschickt. Auf den Schrank und die Anrichte ist er ganz heiß, wir sollen ja die Finger weglassen.“
Vergnügt zeigt er mir die Nachrichten, die die Brüder getauscht haben. Mich freuen jene aus so ganz anderen Gründen. Nach all den Jahren haben sich unsere Söhne endlich richtig zusammengerauft. Sie halten direkten Kontakt und nicht nur über uns. Für die Zukunft macht mich das unglaublich glücklich. Diese Basis ist eine Grundlage für das anstehende Wohnkonzept.
„Schon so spät! Ich muss los, Nele abholen.“ Er steckt sein Handy in die Gesäßtasche und ein ganz feines Lächeln legt sich um seine Mundwinkel. Nicht nur der Umbau wird hier viel verändern, auch Martin und Nele gehen in den nächsten Wochen einen großen Schritt.
Ein Tabula Rasa der anderen Art.
Aus den Gedankenspielen der letzten Jahre wurde jetzt ein konkreter Plan. Wir werden wieder Großeltern. Dafür ist Martin sogar über seinen Schatten gesprungen und hat Nele einen Antrag gemacht. Zunächst werden sie eine Pflegschaft übernehmen. Die Chancen stehen aber gut, dass sie die vierjährige Amelie später adoptieren dürfen. Heute steht ein Besuch bei der Kleinen an und wir sind schon sehr gespannt darauf, das Mädchen am Wochenende kennen zu lernen.
Die Familie wächst weiter und vor allem wächst sie eng zusammen.
Ich sehe zu Paul, der mit seiner Pfeife Richtung Garten geht, der Mischling trabt hinter ihm her. Es fühlt sich gut an.