»Alter, kannste dich jetzt mal hinsetzen?« Darius machte das nervöse Hin- und Herlaufen seines Freundes wahnsinnig. Seit einer Viertelstunde lief sein Freund Martin zum Fenster, dann in die Küche, zurück in das Wohnzimmer, nur, um wieder am Fenster zu beginnen. Darius hatte keine Vorstellung davon, was dieser Oliver ausgerechnet an ihrem gemeinsamen freien Tag hier wollte. Allerdings fand er, dass alles besser war, als irgendwelche Plüschtiere mit der Botschaft "I love you" auf einem dieser roten Herzen oder kitschig aussehende Karten, die ihm beim Öffnen nervtötende Liebesbekundungen in sein Gesicht plärrten.
»Sorry«, sagte Martin kleinlaut und zwang sich dazu, sich auf die braune Ledercouch zu setzen. Oliver ließ mal wieder auf sich warten, genau wie vor zwei Wochen auf dem Flohmarkt.
Als er damit beschäftigt gewesen war, seinen nicht verkauften Krempel wieder in den Korb zu packen, hatte ihn Oliver von seiner Tätigkeit abgehalten und interessiert nach dem Buch gefragt, das er gerade in den Korb zu den anderen Büchern packen wollte. Der Ratgeber über das eigene Coming-out, fand an diesem Tag keine Beachtung, umso überraschter war Martin, dass ausgerechnet Oliver daran interessiert war, obwohl der neben einer hübschen Blondine stand – seine beste Freundin, wie sich später herausstellte.
Aber wenn Martin eins nicht mochte, dann waren es Menschen, die ständig zu spät kamen und es nicht für nötig hielten, kurz bescheid zu geben, dass es später werden würde. Erst letzte Woche ließ Oliver ihn zwanzig Minuten alleine vor dem Café in der Stadt warten, oder die Viertelstunde am Freitagabend vor dem Kino.
»Was will der eigentlich hier?« Darius lehnte sich im gegenüberliegenden Sessel zurück und musterte seinen Freund aufmerksam. Aus unerfindlichen Gründen steigerte sich seine Abneigung Oliver gegenüber. Bereits letzte Woche, als Darius’ Freund zweimal mit dem Typen ausgegangen war, da er ihn bei dem Coming-out unterstützen wollte, breitete sich ein ungutes Gefühl bei Darius aus. Dabei hatte er sich noch angeboten mitzukommen, aber das wurde ihm verweigert, da Oliver wohl sehr schüchtern war.
»Er meinte am Telefon, er hätte was für mich. Keine Ahnung was es ist, aber er klang ziemlich aufgeregt«, sagte Martin und war in Begriff sein Smartphone zur Hand zu nehmen, als es an der Tür klingelte und er aufsprang.
»Oh, Mister Schüchtern ist da.« Darius’ Miene war nicht zu deuten, aber als er sich ebenfalls erhob und seinem Freund in den Flur folgte, schnaufte er.
»Hey, Martin.«
Ein junger Mann mit rabenschwarzem Haar und auffälligen, moosgrünen Augen stand lächelnd auf der Schwelle und zog Martin in eine herzliche Umarmung.
»Hi, Oliver«, begrüßte ihn Martin lächelnd. »Schön, dass du hergekommen bist. Komm doch ... oh, du hast Besuch mitgebracht? Hallo.« Martin erkannte erst jetzt eine weitere Person auf dem Treppenabsatz. »Meine Überraschung«, flüsterte ihm Oliver ins Ohr, »Ich habe mich heute morgen endlich getraut es ihm zu sagen.« Martin ging ein Licht auf.
Hinter Oliver trat der zweite Mann mit blondem Haar und einer leuchtend gelben Jacke nach vorne und schaute mit schnellen Augenbewegungen zwischen Martin und Darius hin und her. »Hallo«, sagte er leise und streckte Darius die Hand zur Begrüßung hin. »Ich bin Kevin.«
»Das tut mir leid, mein Beileid.« Darius ergriff grinsend die Hand und schüttelte diese kurz. Allerdings schien Kevin seine Bemerkung nicht witzig zu finden, denn der schaute Darius jetzt mit erhobener Augenbraue abschätzend an.
»Darius!«, zischte Martin und sah Oliver entschuldigend an. Er hatte sich gerade erst aus der Umarmung gelöst und wollte den zweiten Besucher begrüßen, als sein Freund sich mal wieder von seiner schlechtesten Seite zeigte. Irgendwann würde er ihm nochmal gehörig die Leviten lesen, rief er sich in Erinnerung.
»Was denn?«, fragte Darius entrüstet und ließ Kevins Hand los, weil Martin sich dazwischen schob und den neuen Gast begrüßte.
»Hallo Kevin. Ich bin Martin. Und das da«, er zeigte auf seinen Freund, »ist mein fester Freund Darius, der heute ausgesprochen lustig ist. Nicht wahr, Schatz?«
Darius wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Oliver ihn begrüßte.
»Hallo Darius, ich bin Oliver. Schön dich auch mal kennenzulernen. Martin hat schon einiges über dich erzählt.« Amüsiert griff er Darius’ Hand.
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, log der und hatte noch immer keine Ahnung, was Oliver hier wollte.
»So, jetzt kommt aber erstmal rein. Schatz? Setze doch bitte schon mal Kaffee auf.« Martin trat zur Seite und ließ die beiden Jungs eintreten. »Lasst uns ins Wohnzimmer gehen. Ihr habt sicherlich viel zu erzählen.« Martin war schon gespannt auf das, was er gleich zu hören bekommen würde.
»Soll ich vielleicht noch einen Kuchen backen und Kekse kredenzen?«
»Ich würde an deiner Stelle nur bei dem Kaffeekochen bleiben, Schatz.«
Währenddessen entledigten sich Oliver und Kevin ihrer Jacken und folgten Martin anschließend in das durch die Sonne durchflutete Wohnzimmer. Martin bat seine Gäste auf dem Sofa Platz zu nehmen und räumte Darius’ Spuren, eine geleerte Kekspackung und zahlreiche Krümel, von der Tischplatte weg. Leviten lesen, sagte er noch einmal in Gedanken zu sich selbst.
»Also«, begann Martin vom Zweisitzer, »dann erzählt mal, Jungs.«
Oliver berichtete, er sei heute morgen beim Bäcker gewesen und hätte dort schokolierte Marzipanherzen geholt, die er zusammen mit einem Liebesbrief in eine rote Blechdose gelegt hätte, bevor er sie vor Kevins Haustür abstellte. Daraufhin hatte er geklingelt und sich hinter einem Gebüsch versteckt.
»Ich dachte, du wolltest es ihm direkt sagen?« Martin taxierte Oliver gespannt und zeigte mit dem Finger kurz auf Kevin.
»Wer wollte hier wem etwas sagen?« Darius betrat unvermittelt das Wohnzimmer, in den Händen ein Tablett mit Kaffee und Tassen. Ein ungutes Gefühl machte sich erneut in seinem Bauch breit, als Oliver ihn ansah und in seiner Erzählung innehielt. Vielleicht hätte er doch die Kekse aufteilen sollen, statt alle auf einmal zu essen, überlegte er und machte sich eine imaginäre Notiz, nächstes Mal nicht so gierig zu sein.
»Hör’ doch einfach zu, Schatz.« Martin sah nicht einmal auf, da er noch immer gespannt an Olivers Lippen hing und ungeduldig darauf wartete, dass der in seiner Erzählung fortfuhr. Dass er selbst einmal Amor spielen würde, wäre ihm bis gerade eben nie in den Sinn gekommen.
Kopfschüttelnd verteilte Darius die Tassen, die lauter als gewollt auf dem Tisch Platz fanden. Dass seine beiden Gäste dadurch merklich zusammenzuckten und sich gegenseitig einen kurzen Blick zuwarfen, bemerkte er genauso wenig wie Martin.
Räuspernd fuhr Oliver in seiner Erzählung fort. »Also, wo war ich jetzt? Ach ja. Jedenfalls öffnete Kevin die Tür und schaute erst links und rechts, bis er dann mein Geschenk auf dem Boden vorfand. Und glaube mir, mir ging in diesem Moment die Pumpe bis zum Hals, als er den Deckel öffnete und den Brief rausholte. Allerdings ging er wieder ins Haus und mir blieb nur die Hoffnung, dass der Schuss nicht nach hinten losging.«
Langsam sickerten die Informationen auch in Darius Kopf und er fragte sich, wovon der Schnösel vor ihm da berichtete. Mit genervter Miene setzte er sich neben Martin.
»Ich habe bestimmt noch eine Viertelstunde warten müssen, bis endlich mein Handy ging«, sagte Oliver ergänzend.
»Tut mir leid. Hätte ich gewusst, dass du draußen gewartet hast, wäre ich sofort zu dir gekommen.« Schmunzelnd dachte Kevin an den heutigen Morgen zurück. Nachdem er den Brief gelesen und auch den Absender erkannt hatte, hatte er grinsen müssen und war vor Freude mit wildem Herzklopfen durch das Wohnzimmer gehüpft. Erst als er sich beruhigt hatte, hatte er zu seinem Smartphone gegriffen und die Nummer auf dem Papier gewählt, deren herzförmige Nullen ein Kribbeln in seinem Bauch ausgelöst hatten.
»Konntest du ja nicht wissen.« Oliver hauchte Kevin einen federleichten Kuss auf die Lippen, der allerdings zusehends inniger wurde.
Das seltsame Gefühl, das in Darius’ Innerem herrschte, verebbte auf einen Schlag. »Nehmt euch ’n Zimmer.« Zu seiner Linken verstummte Martins leises Seufzen und wich einem ebenso tonlosen Zischen. »Darius!«, drang in sein linkes Ohr und er verdrehte die Augen. »Was denn?«
»Du bist unmöglich! Kannst du dich nicht einmal für andere freuen, die zueinander gefunden haben? Schau’ doch, wie verliebt die zwei sind.« Mit der Nasenspitze deutete Martin auf Oliver und Kevin, die sich noch immer in den Armen lagen. Erneut entglitt ihm ein Seufzen.
»Ich freu’ mich doch. Überall flattern kleine rote Herzen. Und wenn sie nicht gestorben sind dann leben sie noch heute.« Währendessen goss Darius den Kaffee in die Tassen und warf einen kurzen mürrischen Blick auf die gegenüberliegende Sitzgelegenheit, auf der das frisch verliebte Paar sich küsste.
Oliver unterbrach den Kuss und lachte laut auf. »Wow! Du bist echt ’ne Nummer, Darius. Klingt fast so, als wärst du eifersüchtig.« Amüsiert lehnte er sich zurück und verfolgte Darius mit einem wissenden und auch herausfordernden Blick.
»Eifersüchtig? Dein Ernst?«
Die Kaffeekanne landete geräuschvoll auf dem Tisch, genauso wie Darius auf dem Sofa neben Martin. »Lächerlich«, grummelte jener vor sich hin und griff zu seiner Tasse, aus der er hastig trank.
»Er ist manchmal etwas launisch, ist aber nicht böse gemeint, nicht wahr, Schatz?« Martin legte Darius einen Arm um die Schultern und sah ihn mahnend an. »Aber ich freue mich wirklich für euch beide. Wissen es deine oder eure Eltern auch schon?« Die Frage brannte Martin schon die ganze Zeit auf der Zunge. Denn laut Olivers Erzählung am letzten Freitag, waren seine Eltern noch unwissend.
»Nein. Wir wollen erstmal schauen, wohin es mit uns geht.« Oliver nahm Kevins Hand in seine und verschränkte ihre Finger miteinander. »Außerdem müssen die nicht immer alles sofort wissen.«
»Lasst euch ruhig Zeit damit. Und wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, dann sagt ihr es ihnen.«
»Machen wir. So mein Lieber, wir müssen jetzt noch weiter. Da gibt es noch einige Freunde, denen wir etwas zu sagen haben.» Oliver erhob sich und zog Kevin an der Hand gleich mit hoch. »Und nochmal vielen Dank, Martin. Ohne deine Hilfe wäre ich wahrscheinlich immer noch Single.«
»Dann habt ihr noch einen langen Tag vor euch, was? Nichts zu danken, Oli.«
Kurze Zeit später waren Darius und Martin wieder alleine.
»Dass ich einmal im Leben Amor spiele, hätte ich nie gedacht.« Mit einem Lächeln schaute Martin durch das große Fenster nach draußen. Vor seinem geistigen Auge stellte er sich Olivers Geschichte bildlich vor.
»Ganz toll. Schreib’ ’n Buch drüber.«
Martin riss sich aus seinen Gedanken los.
»Mein Gott, Darius! Freu’ dich doch mal für die beiden. Wenn deine Schwester mich damals nicht angequatscht hätte, wären wir erst gar nicht zusammengekommen. Es gibt immer einen Amor und dieses Mal bin ich es gewesen.« Er seufzte leise.
»Und wenn du jetzt aufhörst zu quatschen, dann darfst du jetzt auch noch mein Amor sein.« Vielsagend hob Darius mehrmals die Augenbrauen und klopfte auffordernd neben sich auf die freie Sitzfläche.
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