Herzlich Willkommen zum 9. Türchen des Adventskalenders, den unser lieber Riley für dieses Jahr wieder ins Leben gerufen hat. Ich freu mich, erneut dabei zu sein und wünsche viel Spaß beim Lesen.
»Willst du nicht aufs Eis?«
Cody zuckte ertappt zusammen und wandte sich von der Eisbahn ab, welche die Stadt zum jährlichen Weihnachtsmarkt auf dem Marktplatz eröffnet hatte. Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm er die dampfende Tasse entgegen und nippte daran. Das Lächeln wandelte sich zu einem Grinsen.
»Kinderpunsch? Sind wir nicht inzwischen erwachsen genug für den richtigen Glühwein?«
Nicht, dass er besonders scharf drauf war. Er mochte den Geschmack vom Alkohol nicht so sehr wie andere und kam auf den Weihnachtsmarkt tatsächlich nur, um der Schlittschuhbahn einen Besuch abzustatten. Nur dieses Jahr war anders.
Sein bester Freund war seit ein paar Monaten zurück aus Afghanistan und verbrachte sein erstes Weihnachten wieder in der Heimat. Allerdings nicht so, wie sonst auch ... von nun an war Josh an einen Rollstuhl gebunden.
Cody kippte die bittere Tatsache mit einem weiteren Schluck des heißen Kinderpunsches hinunter, während Josh seine eigene Tasse in seinem Schoß kaum beachtete. Er schaute gedankenverloren auf die Eisbahn, was Codys Brust mit jeder Sekunde enger werden ließ.
»Ist ratsamer, findest du nicht«, bemerkte Josh schließlich und Cody stimmte mit ihm im Stillen überein. Er hatte bloß einen Witz machen wollen. Wie einer von ihnen mit einer Tasse Glühwein intus war, lag fern seiner Vorstellungskraft. Er wollte es auch nicht herausfinden.
Ohne ein Wort rollte Josh näher auf die Bande zu, welche die Eisfläche einrahmte. Eine Gruppe von Kindern tobte sich gerade dort aus. Schubsen und Lachen, sich gegenseitig anfeuern – erinnerte an die gute, unbeschwerte Zeit. Sie lag leider längst hinter ihnen. Es nagte an Josh. Sein Freund saß mit hängenden Schultern in seinem Rollstuhl und ließ seine Finger über die abgegriffene Oberfläche der Bande gleiten. Es war wohl keine so gute Idee gewesen, mit ihm herzukommen.
Er gesellte sich dazu, wollte Josh nicht mit den dunklen Gedanken allein lassen, die ihn belasteten.
»Weißt du noch, wie wir uns ein Wettrennen geliefert haben, wer die meisten Runden schafft und du mir deinen nackten Hintern gezeigt hast, um mich abzulenken?« Cody wusste nicht, warum ihn ausgerechnet diese Erinnerung gerade in den Sinn kam, aber sie war da. Er sah klar vor sich, wie der junge Josh sich fluchend die Hose wieder hochzog. Scheiße, ist das kalt!
Beinahe wäre er in ein lautstarkes Lachen ausgebrochen, würde Joshs Blick es nicht im Keim ersticken. Cody fürchtete, sich im Wort vergriffen zu haben, doch da leuchtete etwas in Joshs grauen Augen auf. Seine Mundwinkel zuckten, bevor er sich abwandte und Cody könnte schwören, dass sein Freund errötete. Nicht von der Kälte.
»Von allen Sachen, die ich angestellt habe, musst du dich daran erinnern. Ich hatte es bis eben verdrängt.«
Cody legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. Er war erleichtert, dass Josh sich nicht zurückzog.
»Es muss dir nicht peinlich sein, schließlich hab ich genauso viel Mist angestellt.«
Josh lachte laut auf.
»Ja. Ich wäre ja nie auf die Idee gekommen, bei Minusgraden am Bushalteschild zu lecken.«
Der rostige Geschmack würde ihm auch ewig in Erinnerung bleiben. Instinktiv leckte er sich mit der Zunge über den Gaumen und verzog das Gesicht. Zum Glück gab es noch einen Schluck Glühwein in seiner Tasse. Bevor er ihn hinunterkippen konnte, fühlte er eine Berührung an seiner Hand. Josh sah unter gesenkten Lidern zu ihm hinauf.
»Würdest du mir einen Gefallen tun?«
»Natürlich«, antwortete er spontan. Er würde eine Menge dafür tun, dass es seinem Freund besser ging. Alles.
»Gehst du auf’s Eis? Für mich? Ich will dich sehen, und nun ja ich ... bitte?«
Ihm kamen Bedenken auf, doch einem Welpenblick wie der, mit dem Josh ihn bedachte, konnte er nicht widerstehen. Die Lippen geschürzt, blickte er hinüber zum Eingang auf die Schlittschuhbahn. Seine Fingerspitzen kribbelten vor Vorfreude. Es war an sich kein Problem, sich die Schuhe auszuleihen. Es missfiel ihm, aber den Weg zurück nach Hause nahm er nicht in Kauf. Josh wollte ihn jetzt auf dem Eis. Er bekam, wonach er sich sehnte.
»Okay. Trink währenddessen deinen Kinderpunsch aus und genieß die Show.«
Wenn sich Cody nach einem Jahr Auszeit aufs Eis begab, lachte Josh ihn für gewöhnlich aus.
Josh nippte lächelnd an seiner Tasse, mit dem mittlerweile lauwarmen, wenn nicht sogar kalten Kinderpunsch. Sein Freund winkte ihm zu, als Cody sich die Schuhe anzog. Über sich selbst schüttelte Cody den Kopf, dass sein Herz dabei zu rasen begann. Vielleicht war in dem Punsch doch ein Schuss drin gewesen.
Auf wackligen Beinen machte er erste Schritte und klammerte sich an der Bande. Er hoffte, dass er weniger nach dem Deppen aussah, als den er sich momentan fühlte. Irgendwie kämpfte er sich zur Stelle, wo Josh sich über die Bande lehnte, und unterdrückte ein Schmunzeln. Sein Freund ließ ihn kaum aus den Augen, während er ihm entgegenkam.
»Sag mir, dass ich mich gut anstelle, okay?«
Joshs Mundwinkel zuckten. Er sah nicht mehr so betrübt aus als noch vor wenigen Minuten, als er die Kinder beobachtet hatte. Es erfüllte Cody mit einem warmen Gefühl, während er Josh dabei zusah, wie dieser ihn musterte.
»Keine Sorge«, unterbrach sein Freund schließlich die Stille zwischen ihnen. Erneut zeigte sich das Funkeln in dessen Augen, »du erinnerst nicht an den armen Bambi.«
Es war zu lange her, seit Cody den Film gesehen hatte. Vom Gefühl her würde er sagen, dass Josh ihn aufzog. Das ließ er nicht so auf sich sitzen.
»Pah, warte es nur ab. Ein oder zwei Runden und ich mach Elsa Konkurrenz.«
»Ja klar, du Eisprinzessin.«
Besser als Bambi, aber eine Frau wollte Cody noch nie genannt werden. Er richtete sich auf und stieß von der Bande ab.
»Elsa ist eine Königin, du Elch.« Damit zischte er ab, nur um hinter sich zu hören: »Der Elch hat aber auch einen Namen!«
Ihm entwich das Lachen, welcher vorhin aufgestaut hatte. Dann nannte er ihn eben einen Sven. Woher Josh Frozen kannte, musste noch herausgefunden werden. Später, sagte sich Cody und machte eine Runde auf dem Eis. Hin und wieder spähte er hinüber zu Josh, der ihn nahezu verträumt beobachtete und stellte fest, dass er sich jedes Mal etwas mehr Mühe gab. Je länger er auf dem Eis war, bewegte er sich leichter, bis Cody mit einer halben Drehung schließlich vor Josh anhielt und sich verbeugte.
»Wie war ich, Sven?«
Mehr als ein Danke kam Josh nicht über die Lippen, dass Cody seinen Freund sorgsam musterte. Er entspannte sich sogleich, da Josh nicht gekränkt oder anderweitig traurig aussah.
»Hättest du was dagegen, wenn wir morgen wieder herkommen?«
Überrascht hob Cody die Brauen, verstand im nächsten Moment aber, worauf Josh hinauswollte. »Nein. Wenn du möchtest, beschlagnahmen wir die Schlittschuhbahn so lange, wie sie aufgebaut ist.«
»Ja, das wäre schön, wenn du kannst. Alles ist mir lieber, als daheim bei meinen Eltern zu hocken und ...« Josh sprach nicht weiter, sondern verfiel wieder in getrübter Stille. Cody trat näher an die Bande heran, um seinen Freund eine Hand auf die Schulter legen zu können.
»Ich bin für dich da. Immer.«
Er wusste zwar selbst nicht, wie er Josh in bestimmten Momenten helfen konnte, aber er war bereit, alles zu tun, was nötig dafür war.
»Danke.«
Sie lächelten einander an, bis Josh ihn dazu anspornte eine weitere Runde zu laufen. Cody tat, wie ihm geheißen wurde. Dieses Jahr war anders, ja, aber er hatte das Gefühl, dass es nichts Schlechtes bedeuten musste.