GREGOR
Ich bin gerade am Aufwachen, als ich mir bekannte Stimmen höre. Gregor und Maria.
Sie diskutieren mal wieder. Gleichzeitig kitzelt der Geruch von frischem Plätzchen in meiner Nase.
Maria hat wieder das Backfieber gepackt.
Ich muss ein wenig schmunzeln. Natürlich kann man mich damit nicht locken.
Es gibt Vampire, die vertragen menschliche Nahrung. Ich gehöre leider nicht dazu. Außer Wasser – ohne Zusätze – vertrage ich nur Blut.
Trotzdem rührt mich der Eifer dieser Frau. Wenn ich das auch nicht zugebe. Denn Marias Tun erinnert mich an meine Kindheit.
Meine Mutter pflegt selbst immer an Weihnachten zu backen, so wie sie es von ihrer Familie kennt. Auch nach ihrer Wandlung zur Vampirin kann sie nicht davon ablassen.
Tradition ist Tradition sagt sie stets. Und so fängt auch sie jedes Jahr ab Ende November an, in der Küche herumzuwerkeln – immer das ausprobierend, was gerade angesagt ist.9
Nicht, dass dies unserer Familie jemals wirklich zugute gekommen wäre. Mein Zwillingsbruder ist der einzige, der so etwas ohne Probleme essen kann. Wofür ich ihn beneide.
Mir und den Rest der Familie geht es wie den meisten Untoten – wir vertragen menschliche Nahrung nicht oder nur sehr schlecht. Unser Magen ist diesbezüglich sehr empfindlich.
Und wer will schon den Genuss von einem Zimtstern so sehr büßen, dass er nachher eine Woche lang krank im Bett liegt?
Daher verteilen wir, die Wattesteins, fast das ganze Gebäck an Menschen in unserer Umgebung. Von einem kleinen Rest für meinen Bruder mal abgesehen. Nicht ganz eigennützig, versteht sich.
Denn es bringt uns einige Sympathiepunkte ein.
Eine klassische Win-Win- Situation, wie man heutzutage sagt.
Das gleiche habe ich Maria vorgeschlagen und sie nahm die Idee gerne auf.
Und so backt sie nun fleißig jedes Jahr und verteilt die Plätzchen an den Pfarrer, an Altenheime und ärmere Leute, die sie sonst noch weiß.
Ja, manche Traditionen sind es durchaus wert, dass man sie beibehält.