Salome konnte kaum fassen, dass sie heute wirklich eine freien Tag hatte, der erste seit Monaten. Ihr Bordell war überbelegt und auch wenn sie Schulden hatte, war ihr Bedürfnis nicht groß, statt im Bordell auf der Straße zu arbeiten.
In den letzten Tagen hatte sie immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt, Harald zu schreiben - er hatte sich trotz Versprechen nicht gemeldet.
Ihr fiel es zwar schwer, aber sie wollte trotzdem glauben, dass Harald nicht aus Absicht geschwiegen hatte.
Ihr Handy wanderte schon minutenlang durch ihre Finger, bis sie sich schließlich doch zu einer Nachricht durchringen konnte.
Salome wollte sich mit ihm treffen und fragte einfach nur, ob er Zeit hätte.
Direkt nachdem die Nachricht abgeschickt war, bereute sie es auch schon wieder. Das was sie da gerade machte, war einem Mann nachlaufen, und das wollte sie niemals in ihrem Leben tun.
Umso überraschter war sie, als Harald tatsächlich nicht ganz zehn Minuten später eine Antwort tippte.
Harald sagte einem Treffen zu, wollte sich vorher aber noch frisch machen und bat um eine halbe Stunde Vorbereitungszeit. Dazu bot er an, sie abzuholen.
Von Begeisterung ergriffen sagte Salome zu. Sie sprang vom Bett auf und öffnete ihren Kleiderschrank - voll nichts zum Anziehen.
Die meiste Kleidung brauchte sie für die Arbeit und diese war so kurz und eng, dass Salome sie in ihrer Freizeit niemals angezogen hätte.
Schließlich entschied sie sich für Jeans und T-Shirt, und wären ihre blauen Haare nicht gewesen, hätte man sie für eine ganz normale, junge Frau gehalten.
Sie war gerade nach unten gegangen, als auch schon Haralds dunkelblaues Auto um die Ecke bog.
Er hielt direkt vor ihr an und Salome stieg ein, nicht ohne dabei an ihre erste Begegnung denken zu müssen.
Der Vergleich ließ sie schmunzeln.
Harald musterte Salome, sie sah so normal aus, wie man mit blauen Haaren eben aussehen konnte, und er fand sie außergewöhnlich hübsch.
"Wohin kann ich uns fahren? Hast du Hunger?", fragte er zur Begrüßung.
"Ja, ein bisschen. Kennst du dich in Heidelberg in der Altstadt aus? Wir könnten da was essen gehen", schlug Salome vor.
"Nein, aber das ist eine gute Idee, das wollte ich sowieso mal kennenlernen", meinte Harald, dann lenkte er das Auto über Landstraßen nach Heidelberg.
Weil das Wetter gut war, die Sonne schien und ein leichter Wind wehte, waren viele Menschen in der Einkaufsstraße unterwegs, die durch die Altstadt führte. Salome und Harald schoben sich dicht aneinandergedrängt durch die Massen, bis sie sich bei einem extrablatt Café aus der Menge schälten.
Drinnen war es ähnlich voll und die beiden hatten Glück, dass gerade ein Pärchen nach dem Zahlen aufstand und ging. Sie schnappten sich den Platz sofort, erleichtert nicht warten zu müssen.
"Wie geht es dir?", eröffnete Harald das Gespräch, nachdem sie bei einer jungen Kellnerin Getränke bestellt hatten.
"Ganz okay, denke ich. Es ist nichts schlimmer geworden...".
Harald seufzte unglücklich über Salomes Antwort, denn sie klang so negativ.
"Okay.. sag mal hast du über eine Idee nachgedacht, wie du da rauskommst?", fragte er unverblümt.
Salome lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und dachte über die Frage nach. Eine solche Hartnäckigkeit hätte sie Harald gar nicht zugetraut.
"Nein", gab sie schließlich zu, "ich habe zwar auch nicht viel drüber nachgedacht, aber ich glaube nicht, dass das einen Unterschied gemacht hätte. Ich sehe keine Lösung."
Harald setze an zu erwidern, dass er sie immer noch freikaufen könnte, aber er erinnerte sich zu gut an ihre letzte Reaktion. Deshalb formulierte er seine Frage um.
"Wieso willst du denn nicht, dass ich es dir bezahle und dir damit helfe?".
Salome seufzte. Sie hatte sich insgeheim davor gefürchtet, dass Harald diese Frage stellen würde, aber sie hatte ja auch keine bessere Idee.
"Weil es mir egal ist, bei wem ich Schulden habe. Ich will einfach von keinem abhängig sein, auch nicht von dir. Wenn du das bezahlst, verschiebt sich für mich das ganze nur, verstehst du?".
Ja, das tat Harald, aber er musste zugeben, dass es ihn ein wenig verletzte.
Salome entschlüsselte den Ausdruck auf seinem Gesicht richtig.
"Nimm das bitte nicht persönlich, das hat nichts mit dir zu tun. Ich fide es toll, dass du überhaupt dazu bereit wärst, aber ich würde es auch von jedem anderen ablehnen, der es mir anbieten würde."
"Ich kann dich verstehen", seufzte Harald, "aber mir ist auch nichts anderes eingefallen, was irgendwie genau so einfach wäre und nichts kosten würde. Einen Anwalt kannst du dir nicht leisten, oder doch?".
Salome lachte auf. "Ich denke nicht, dass ich das kann, nein, aber ich wollte das auch gar nicht. Da kriege ich zu viel Ärger mit zu vielen Leuten."
"Aber gehen darfst du, wenn du bezahlt hast?", fragte Harald skeptisch.
"Ja. Ich wäre nicht die Erste, die das macht. Juri, unser Chef ist sehr fair, auch wenn er jeden legalen Vorteil für sich nutzt. Aber wenn ich wollte und keine Schulden hätte, könnte ich gehen."
Harald war nicht davon überzeugt, aber er vertraute Salome, denn sie kannte ihren Chef besser als er. Seine Fairness war der Tropfen Hoffnung, an den sich Harald in seinen Gedanken klammerte.
Ihn lenkte ein junges Mädchen ab, das ihn aus ein paar Metern Entfernung beobachtete und offenbar nicht sicher war, ob es näher kommen sollte.
Mittlerweile war Harald an solche Begegnungen gewöhnt und lächelte dem Mädchen zu, während er sie herwinkte. Bei jüngeren Fans machte er in der Öffentlichkeit immer Ausnahmen, ansonsten legte er Wert auf seine Privatsphäre.
Die Kleine, Harald schätzte sie auf vielleicht zehn Jahre, nestelte an einer Servierte herum und kam ein paar Schritte näher.
"Möchtest du ein Autogramm von mir haben?", fragte Harald die Kleine mit seinem einstudierten Freundlichkeitslächeln.
Das Mädchen nickte und hob ihm die Servierte hin, vermutlich hatte sie nichts anderes parat.
Routiniert unterschrieb Harald mit seinem Edding, den er für solche Fälle immer bei sich trug.
"Wie heißt du denn?", fragte er das Mädchen.
"Anna", nuschelte sie leise, aber Harald verstand sie gerade gut genug, um 'für Anna' noch auf die Servierte zu schreiben.
Er reichte Anna die Servierte und wünschte ihr noch viel Spaß beim Essen, dann hopste die Kleine mit hochrotem Kopf davon.
Salome starrte Harald mit leicht geöffnetem Mund an.
"Was war das gerade?", fragte sie, immer noch ein wenig schockiert. "Warum wollen die Leute Autogramme von dir?".
Verlegen kratzte sich Harald am Hinterkopf. Sein Outing hatte er sich etwas anders vorgestellt.
"Naja, es hat mit meinem Beruf zu tun, ich bin hier etwas bekannt...".
Salome neigte den Kopf zur Seite und hob die Augenbrauen.
"Ich spiele Handball in Mannheim, das ist erste Bundesliga ziemlich weit oben", erklärte Harald schließlich.
"Ach, und wann dachtest du, dass du mir das erzählst?", fragte Salome.Sie hatte einen bitteren Geschmack im Mund.
"Du hast nie gefragt", verteidigte sich Harald.
"Stimmt, hätte ich machen sollen. Dann hätte ich gleich gemerkt, dass sich der Superstar nur mal ein Betthäschen gönnen will, was?".
Harald öffnete den Mund, aber vor Erstaunen brachte er kein Wort hervor. Erst als Salome dabei war, aufzustehen, fand er seine Sprache wieder.
"Halt nein, warte! Das stimmt so nicht. Ich suche kein... Betthäschen? Ich suche niemanden für mein Bett, einen One-night-stand. Wirklich nicht. Ich habe es dir nur nicht gesagt, weil du mich nicht gefragt hast. Ich wollte es dir sagen, aber für mich ist das nicht wichtig."
Salome stand auf und feuerte Harald den hasserfülltesten Blick, den sie aufbringen konnte, entgegen.
"Ach, und das soll ich dir glauben, ja? Nachdem du mich die ganze Zeit so belogen hast, soll ich dir sowas glauben? Bitte sei nicht zu traurig, aber mich wirst du für dein Bett nicht bekommen, egal wie viel du mir auch immer bezahlst. Komm mir bloß nicht nochmal irgendwo zu nah, sonst erlebst du, was ich alles machen kann."
Mit stolz erhobenem Kopf stolzierte Salome aus dem Café, gerade noch rechtzeitig, bevor ihre Tränen aus den Augenwinkeln überquellten und einen Weg über ihre Wangen suchten.
Sie hasste sich selbst für ihre Naivität, auch nur geglaubt zu haben, dass sie einem Mann vertrauen könnte, dass Harald anders war als die anderen Männer.
Harald starrte die mittlerweile geschlossene Eingangstür an, als könnte er Salome so dazu zwingen, zurückzukommen. So ganz hatte er noch nicht verdaut, was eben geschehen war, nur ein Teil seines Hirns war bereits so weit, die Tragödie zu realisieren.
"Scheiße", fluchte er leise.
Er überlegte einen Moment, ihr nachzulaufen, auch das Geld hätte er vielleicht auf den Tisch legen können, aber nach Salomes Worten wollte er nicht austesten, zu was sie alles in der Lage war, wenn sie so zornig war wie gerade.
Entmutigt stützte Harald seinen Kopf auf die Hände. Seine Freunde hatten ihn vor soetwas gewarnt und eigentlich hätte er es besser wissen müssen, als sie ein Treffen in der Innenstadt vereinbarten.
Er hätte ihr auf der Fahrt von seinem Beruf erzählen sollen, damit sie nicht überrascht sein würde.
Das einzig Sinnvolle, was Harald jetzt noch zu tun einfiel war, mit seinen Freunden über dieses Unglück zu reden. Vielleicht könnten sie nochmals so eine große Hilfe sein wie schon beim ersten Mal. Außerdem waren sie es ja, die ihn gewarnt hatten.
Missmutig rufte er eine Kellnerin heran und beglich die Rechnung, bevor er Nachrichten an seine Freunde tippend das Restaurant verließ.