Jil
Fünf Minuten später beginnt der Unterricht pünktlich. Ich lasse mich ein wenig aufgeregt auf meinen Platz fallen. Schließlich werden heute ein paar neue Schüler hier eintreffen. Zwar nur durch Stipendien, die die Schule bereits vor Anfang des Schuljahres verteilt hat, doch wen interessiert’s.
Nicht jeder hat reiche Eltern, die so eine teure Schule bezahlen können. Durch die Stipendien-Sache bekommen dann aber auch andere die Chance hier zur Schule zu gehen. Die East High School bietet nämlich die beste Bildung in ganz New York und Maine. Und jeder sollte sich freuen hierhin gehen zu dürfen.
Ich lasse meinen Blick durch die Stuhlreihen wandern. Diese ganze Sitzordnung überfordert mich immer. Man muss den perfekten Platz finden, da man es später nur noch schwer ändern kann. Wüsste ich nur, wo meine Freundinnen sitzen würden, wäre alles viel leichter. Deshalb versuche ich die kleinen Grüppchen zu überblicken, um Thalia zu finden.
Es dauert zwar einige Sekunden, doch dann habe ich meine Freundin auch schon gefunden. Langsam mache ich mich auf den Weg zu ihr. “Hey Thalia“, ich schenke dem Mädchen ein freudiges Lächeln. Seit Beginn der Ferien haben wir uns nicht gesehen, doch verändert hat sie sich kaum.
Sie ist so geschminkt und aufgetakelt wie immer. Ihre pink-weiße Handtasche hat sie bereits auf einen Tisch gestellt, den sie dann für sich beansprucht zu haben scheint. Auch ihre Kleidung sieht ziemlich teuer aus und ihre Haare sehen so aus, als wäre sie noch vor der Schule beim Friseur gewesen.
“Oh, Jil. Hey“, sofort erscheint ein breites, ebenso freudiges Lächeln auf ihren Lippen. Schneller als ich gucken kann, schließt sie mich in ihre Arme: “Ich hab dich so vermisst.“ Ich erwidere die Umarmung: “Ich dich auch.“ Diese Umarmung tut gut. Thalia ist echt die Beste, was das angeht.
“Sag mal, weißt du, wo Tessa ist?“, frage ich, als ich mich wieder von ihr löse. Sie schüttelt allerdings nur den Kopf: “Keine Ahnung. Wahrscheinlich kommt sie aber mal wieder zu spät.“ “Den gleichen Gedanken hatte ich auch“, ich setze mich, nach kurzer Überlegung, auf den Platz neben sie.
Sofort beginnt sie zu lachen und ich stimme ein. Wir beide kennen Tessa und ihre Angewohnheiten scheinbar schon viel zu gut. Dafür kennt sie uns aber genauso gut. Jedenfalls fast.
Erst in diesem Moment wird mir klar, dass es diese gemeinsamen Momente waren, die mir in den Ferien gefehlt haben. Gelächter gibt es bei meinen Eltern, nämlich nur selten.
“Wie war es eigentlich auf Hawaii?“, kommt Thalia auch gleich auf meine Ferien zu sprechen. Wahrscheinlich hat sie durch meine Urlaubsbilder auf Instagram davon erfahren. Großartig darüber gesprochen haben wir nämlich vor dem Sommer nicht.
“Alleine wäre es wohl ziemlich geil gewesen, aber leider waren meine Eltern und meine Schwester ja dabei und die kennst du ja“, ich lege den Kopf schief. Das reicht ihr schon als Erklärung. Schließlich kennt sie meine Eltern. Die beiden bevorzugen meine Schwester nahe zu immer und verwöhnen sie schrecklich. Bei mir haben sie das glücklicherweise nicht gemacht, sonst wäre ich bald genauso schlimm wie Lilly. Zwar ist sie noch klein, doch schon jetzt merkt man, wie verwöhnt sie ist. Deshalb kommt sie mit meinem Babysitting auch nicht klar. Bei mir bekommt sie nämlich nicht alles, worauf sie gerade Lust hat.
“Nächstes Mal fliegen wir zusammen mit Tessa nach Hawaii“, versucht sie mich mit einem schelmischen Grinsen aufzuheitern. Obwohl Thalia wirklich oberflächlich sein kann, schafft sie es immer meine Laune zu heben. Sie selbst sprüht nämlich vor guter Laune. Als wäre ihr Leben zu jedem Zeitpunkt perfekt. Warum kann mein Leben nicht genauso perfekt sein? Dann wäre alles so viel leichter. Dann könnte ich Jungs einfach so blind und naiv hinterherrennen wir Thalia und andere Mädchen einfach für mich springen lassen, wie ich es will.