Ich beschloss, Überstunden zu machen, um einen Blick auf meinen Traumprinzen zu erhaschen. Aber leider waren Mrs Gartenzwerg und mein Vater dagegen. Man konnte es ihnen nicht recht machen. Ich hatte gedacht, sie würden sich freuen. Sollte ich Eddy nach dem Typen fragen? Aber der hatte ihn wahrscheinlich noch nie gesehen, mit Eddy war nicht viel anzufangen. Gezwungenermaßen ließ ich mich von meinem Vater ins Auto verfrachten und nach Hause fahren. Fehlte noch, dass er mir Handschellen anlegte. Auch mein Handy hatte ich noch nicht wiederbekommen. Aber ich ertrug nun alles leicht. Denn ich hatte Hoffnung. Mein Traumprinz würde mich retten, da war ich sicher. Und dann würde er mich heiraten. Und wir würden glücklich leben bis ans Ende unserer Tage. Er würde mich stets lieben, achten und verehren, und im Gegenzug würde ich ihn auch lieben, achten und verehren. Ich musste ihn nur finden. Wenn er mich nur einmal von Angesicht zu Angesicht sah, konnte er sich sicher nicht mehr beherrschen. Er würde mich küssen. Und mir dann einen Antrag machen. Dann würden wir zusammen in die Oper gehen und er würde mir eine Kreuzfahrt schenken und wir würden heiraten, ich in einem weißen Kleid und er in einem schwarzen Anzug.
Mein Vater missverstand meine gute Laune. Er dachte, ich hätte mich ergeben, hätte ihm Recht gegeben. Mein Traumprinz würde eine gute Psychiatrie für ihn finden, eine richtige Luxuspsychiatrie. Und für meine Mutter auch, denn sie litt hin und wieder unter manisch-depressiven Störungen.
So ging ich am nächsten Tag wieder heiter und beschwingt, wie es auch sonst meine Art ist, zur Schule. Dad war gerührt, dass ich mein strahlendes Lächeln wieder zurückhatte.
Von meinem Traumprinzen fehlte immer noch jede Spur, dafür stand Eddy schon da und winkte.
Dad musterte ihn etwas verwirrt. „Ein Freund von dir?“
Ich lächelte peinlich berührt. „Ich weiß, er sieht schrecklich aus, aber man muss sich ja auch um Behinderte und Minderbemittelte kümmern. Ich habe Eddy unter meine Fittiche genommen.“
„Ach ja?“
„Bye, Dad, hab dich lieb.“ Ich stieg aus.
„Bell“, begrüßte mich Eddy.
„Äh, hallo, Eddy.“
„Ich hab einen Anwalt gefunden.“
„Was?“
Er nickte. „Mein Cousseng. Der ist echt gut. Aber bei uns heißt das nicht Anwalt, sondern Besserwisser.“
Oh je. Wenn Eddys Cousin so war wie er, dann gute Nacht. Da würde ich verlieren, egal wie sehr ich im Recht war. „Äh, hör mal, Eddy, ich hab’s mir anders überlegt. Ich brauche keinen Anwalt.“
„Aber die waren doch böse zu dir, hast du gesagt.“
„Ja, schon, aber hat uns nicht schon Jesus gesagt, dass wir Sünden vergeben sollen? Das ist Barmherzigkeit, Eddy, und Herzensgüte.“
Er machte große Augen. Gott, war er hässlich.
„Boah.“
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So sehr ich auch suchte, ich fand meinen Traumprinzen nicht. In der Pause saß ich mit Eddy in der dreckigen Cafeteria und beobachtete alle Leute. Er kam nicht.
„Und wenn man eins und eins zusammenzählt, kommt zwei dabei heraus“, erzählte Eddy gerade.
Ich nickte ihm aufmunternd zu. „Genau.“ Da vorne war ein Schüler, der sah ganz nett aus. Aber nachdem ich IHN gesehen hatte, konnte ich mich mit keinem anderen mehr zufriedengeben. Ich war einfach verliebt. Und zwar unsterblich.
„Mein Couseng, der is ganz schlau, der kann sogar drei und vier zusammenzählen.“
Eddy redete noch einige Zeit weiter, aber ich bekam nicht mehr so genau mit, was er sagte. Was könnte mein Traumprinz denn noch sein, außer einem Schüler oder einem Lehrer? Ha! Ich wusste es plötzlich: Er war ein Polizist, der zu meiner Rettung geeilt war, er hatte mich nur nicht gefunden. Oh ja, bestimmt war es so. Er suchte mich! Das war ein Grund mehr, ihn zu finden. Egal, wo. Egal, welche Regeln ich missachten musste. Koste es, was es wolle. Wir waren füreinander bestimmt, das wusste ich einfach.
Ich stand plötzlich auf.
„Stimmt doch, oder?“, fragte Eddy gerade.
Ich drehte mich verwirrt zu ihm um. „Oh ja, Eddy, ganz bestimmt“, sagte ich schnell. „Tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich gehen.“ Ich lächelte ihm flüchtig zu, registrierte, dass ich ihn mit dieser Aussage glücklich gemacht hatte, denn er strahlte, und verließ die Cafeteria.
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Wo war ER? Ich sah ins Lehrerzimmer.
„Ah, Belle“, sagte Mrs Gartenzwerg. Sie lächelte und es wirkte nicht mehr ganz so furchterregend. „Wie schön, dass du vernünftig geworden bist. Ich wusste doch, dass du eigentlich ein ganz intelligentes Mädchen bist, nicht?“
Eine Reihe von Lehrern blickte mich finster an. ER war nicht dabei.
Ich sah im Hausmeisterbüro nach. Es war verschlossen. Was sollte ich denn noch tun? Über Internet nach ihm suchen? Ja, das war eine Möglichkeit. Ich ging in die Bibliothek und setzte mich an einen Rechner. Ich versuchte verschiedene Suchanfragen: „wunderschöner junger Mann“, „wunderschöner Mann im Massagesalon und in der Schule“, „mein Traumprinz“, „mein Traumprinz, der mich mit einem weißen Schimmel abholen wird, mich leidenschaftlich küssen, mir einen Antrag machen, mit mir in die Oper und auf Kreuzfahrt gehen wird, um mich auf dem Schiff in einer romantischen Hochzeit zu ehelichen“, und „der wunderschöne junge Polizist, der in Wirklichkeit ein Prinz ist und gekommen ist, um mich zu retten“. Aber Google wusste nichts damit anzufangen. Verdammt, wie sollte ich jemanden finden, von dem ich nichts wusste? Vielleicht war er ja ein Detektiv und wollte nicht entdeckt werden. Ganz bestimmt sogar.
„Offenbar bist du doch nicht vernünftig geworden“, sagte eine Stimme hinter mir. Ich fuhr herum.
Mrs Gartenzwerg.
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Sie hatte mich gefunden. Unbarmherzig brachte sie mich zurück in den Unterricht, zu Mr Adamsapfel, dem beschränkten Deutschlehrer, der noch nicht einmal Shades of Grey gelesen hatte.
Für heute hatten sie wieder gesiegt. Aber ich würde mich nicht schlagen lassen. Ich würde ihn finden.
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Mein Hausarrest dauerte immer noch an. Ich nutzte die Zeit sinnvoll, indem ich das Haus von oben bis unten putzte, ein drei Gänge-Menü kochte, den Schrank meines Vaters reparierte und meine Hausaufgaben machte. Für all diese Tätigkeiten brauchte ich jedoch zusammen kaum mehr als zehn Minuten, so dass ich immer noch einen öden Tag vor mir hatte. Ich wusch und schminkte und mich ausführlich und machte meine Gymnastik, um wieder in Form zu kommen. Daneben schrieb ich in verschiedenen Foren, die sich für Menschen- und Tierrechte einsetzen, sowie an meinem Blog. Hier schrieb ich einen Aufruf hinein:
An den wunderschönen jungen Mann im Ort:
Ich weiß nicht, ob du mich gesehen hast oder ob du mich noch suchst, aber ich habe dich gesehen und ich gebe dir hiermit meine Antwort: Ja, ich will.
Bitte, bitte, wenn du das liest, melde dich über E-Mail, denn mein Handy ist kaputt.
PS: Ich liebe dich.
PPS: Ich liebe dich so sehr. Du bist mein Ein und Alles.
War das nicht rührend? Mir jedenfalls kamen die Tränen vor Rührung. Wenn ich an der Stelle meines Traumprinzen diese Zeilen lesen würde, könnte ich jedenfalls nicht mehr warten, ihnen Folge zu leisten.
Während ich so dasaß und meine Liebeserklärung wieder und wieder las, hörte ich es an der Tür klingeln. Das war sicher einer von Dads nichtsnutzigen Freunden. Oder war es doch mein Traumprinz? Hatte er so schnell reagiert?
Plötzlich war ich mir absolut sicher, dass ER es war, denn einen solchen Zufall, dass es gerade jetzt, in genau dem Moment, klingelte, konnte es nicht geben. Ich warf einen Blick in den Spiegel. Ich sah immer noch etwas mitgenommen aus, aber es verlieh mir jetzt ein tragisch-romantisches Aussehen. Es würde sofort seinen Beschützerinstinkt wecken. Ich strich mir eine Haarsträhne lässig in die Stirn und setzte mich bequemer auf meinem Stuhl zurecht. Wenn er gleich hereinkam, sollte er nicht den Eindruck haben, dass ich nervös war. War ich ja auch nicht, ich war völlig cool, schließlich rechnete ich schon seit Jahren mit diesem Moment. Immer schon, als kleines Mädchen, hatte ich gewusst, dass dieser Tag kommen würde, und ich hatte mich all die Jahre auf diesen Augenblick vorbereitet.
Es klopfte.
„Belle?“ Das war mein Vater. Natürlich, mein Traumprinz war zu höflich, um gleich selbst in den Raum zu kommen. Wir kannten uns ja kaum.
„Da ist dieser Typ von heute Morgen.“
Typ von heute Morgen? Ich hatte ihn heute Morgen nicht gesehen, aber Dad anscheinend schon.
Ich stand auf und schenkte Dad ein strahlendes Lächeln. Für einen Vater ist das doch der glücklichste Tag im Leben.
„Er hat ein blumengeschmücktes Auto vor der Tür stehen.“ Dad zog eine Braue hoch und sah sehr verwirrt aus.
Ich strahlte noch mehr.
Dad sah mich komisch an. „Er meint, ihr wolltet heiraten.“
Oh ja! Ich konnte mich nicht mehr beherrschen, ich machte einen Luftsprung, ungeachtet meines teuren Kleides mit dem genau abgepassten Ausschnitt. „Ja!“, rief ich.
Ich fiel meinem Vater um den Hals. „Oh Daad, ich bin so glücklich!“ Ich ließ ihn los. „Du führst mich zum Altar, ja?“
„Du willst den wirklich heiraten?“, fragte er völlig fassungslos. Kein Wunder, einen solchen Schwiegersohn bekommt man nicht alle Tage.
„Ja. Ja, Daad. Er ist mein langersehnter Traumprinz.“ Ich wischte mir eine Träne aus dem Auge und schritt dann langsam und gemessenen Schrittes die Treppe hinab zu IHM.
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Als ich unten ankam, sah ich Ihn zunächst jedoch nicht gleich. Dafür lümmelte Eddy auf der Couch herum, kaute Chips und grinste mich an, wobei sich mir sein Gebiss mit verfaulten Zähnen und frischen Chipskrümeln präsentierte.
„Hi, Belle. Boah, bist du schön.“
Ich nahm das Lob mit einem huldvollen Kopfnicken und Lächeln an. Wieso war Eddy hier?
„Eddy. Hat dich mein Traumprinz eingeladen?“
„Hä?“
Ich lächelte. „Weißt du, ich werde gleich heiraten.“
Eddy nickte begeistert sabbernd. „Yeah. Freu mich schon drauf.“
Also war es wohl doch mein Traumprinz gewesen, der ihn eingeladen hatte. Genau wie ich hatte er wohl ein Herz für die Hässlichen, Dummen und Armen. „Du bist herzlich eingeladen. Daad kommt auch mit.“
„Yeah, komm.“ Eddy streckte mir seine Klaue hin.
Ich verzog meinen schönen, frisch geschminkten Mund. „Schon gut, ich kann selbst gehen.“ Hoheitsvoll schritt ich ans Auto. Offenbar war mein Traumprinz nicht persönlich gekommen, sondern hatte Eddy geschickt, um mich abzuholen. Wahrscheinlich musste er sich gerade noch fein machen.
„Daad, kommst du mit?“ Ich lächelte ihn an.
Er stand da, mit verschränkten Armen, und schüttelte den Kopf. „Belle, was soll dieser Unsinn? Du weißt genau, dass du nicht einfach heiraten kannst! Und außerdem, na ja, hatte ich mir deinen Zukünftigen anders vorgestellt.“
„Du kennst ihn ja gar nicht. Ich versichere dir, du wirst ihn lieben.“
„Doch, wir haben uns schon kennengelernt“, mischte sich Eddy ein. „Dein Vater ist echt nett, er hat mir Chips gegeben.“
Mein Lächeln verrutschte einen Millimeter. Eddy verstand mal wieder gar nichts. „Nein, Eddy, ich meine nicht dich. Ich meine meinen Verlobten, weißt du? Den Mann, der mich heiraten wird. Der, der dich hergeschickt hat.“
„Mich hat niemand geschickt.“
„Na ja, vielleicht nicht geschickt, sicher hat er dich höflich gebeten.“ Langsam verlor ich die Geduld.
„Keiner hat mich geschickt. Ich bin selbst gekommen. Muss ich doch als dein Bräutigam, oder?“
„Eddy, hör mal, du hast da was falsch verstanden …“, fing ich an.
„Aber du hast mir doch heute Morgen gesagt, dass wir heiraten.“
„Wann soll ich das gesagt haben?“
„Na, in der Cafeteria. Ich hab dich gefragt und du hast ‚Oh ja, Eddy, ganz bestimmt‘ gesagt.“
Oh nein. Oh allmächtiger Gott.
„Ich hab schon alle informiert: Standesbeamte, Priester, meine Familie.“
Ich fiel in Ohnmacht.