Ich öffnete die Augen. Dies musste das Paradies sein.
Ich lag an einem Strand, umgeben von wunderbaren Palmen. Das Wasser hatte alle Schattierungen von Blau und Grün und sogar ein bisschen Gelb und Violett. In sanften Wellen schlug es an den schneeweißen Strand. Als ich mich umwandte, sah ich Berge, bewachsen mit Pflanzen, die in allen denkbaren Schattierungen von Grün leuchteten: Hellgrün, Dunkelgrün, Maigrün, Waldmeistergrün, Jägergrün, Olivgrün, Giftgrün, Blassgrün, Waldgrün, Wacholdergrün, Zypressengrün, Kiefergrün, Tannengrün, Wintergrün, Wiesengrün, Weidengrün, Wassergrün, Absinthergrün, Verkehrsgrün, Urgrün, Ulmengrün, Tiroler Grün, Tomatengrün, Stechpalmengrün, Stechapfelgrün, Spargelgrün, Smaragdgrün, Liliengrün, Selleriegrün, Okragrün, Signalgrün, Brokkoligrün, Paradiesgrün, Salatgrün, Salbeigrün, Rasengrün, Porzellangrün, Blaugrün, Gelbgrün, Lilagrün, Pfefferminzgrün, Pflanzengrün, Petersiliengrün, Liebstöcklgrün, Spinatgrün, Papageigrün, Pastellgrün, Nixengrün, Myrtengrün, Malachitgrün, Neongrün, Moosgrün, Mistelgrün, Mattgrün, Pistaziengrün, Radieschengrün, Lianengrün, Libellengrün, Ligustergrün, Lindgrün, Laubgrün, Krokodilgrün, Kotzgrün, Mintgrün, Minzgrün, Kiwigrün, Kleegrün, Kobaltgrün, Kristallgrün, Khakigrün, Katzengrün, Jadegrün, Jaspisgrün, Libellengrün, Kanariengrün, Kaktusgrün, Juwelgrün, Flaschengrün, Immergrün, Herbstgrün, Hopfengrün, Froschgrün, Frühlingsgrün, Gallengrün, Faulgrün, Frühlingswiesengrün, Farngrün, Fichtengrün, Filzgrün, Erdgrün, Eukalyptusgrün, Emeraldgrün, Efeugrün, Echtgrün, Eisengrün, Eitergrün, Eisgrün, Donaugrün, Distelgrün, Diamantgrün, Buschgrün, Ampelgrün, Braugrün, Blasengrün, Braungrün, Avocadogrün, Azurgrün, Stromgrün, Umweltgrün, Amazonasgrün, Tierschutzgrün, Grasgrün, Direktorgrün, Koriandergrün, Eisenbahngrün, Rosagrün, Grün, Dosengrün, Erbsengrün, Neugrün, Neungrün, Erdbeergrün, Mariengrün, Keltischgrün und Apfelgrün. Blumen blühten überall und sie strahlten in allen Farben, die ich kannte, und anderen, von denen ich nur gelesen hatte, die ich aber noch nie gesehen hatte: Zartgelb, Zartrosa, kräftiges Pink, Himmelblau, Scharlachrot, Veilchenblau, Apricot, Blasslila, Fliederfarben, Azurblau, Pastellgelb, Narzissengelb, Bordeauxrot, Schneeweiß, Blütenweiß, Japanischkirschbaumrosa, Ultraviolett … Es war mehr, als ich auf einen Blick erfassen konnte. Süßer Duft und liebliche Laute erfüllten die Luft und ich glaubte sogar, ein paar entzückende Tiere miteinander spielen zu sehen.
Ich lächelte glücklich. Na endlich hatte ich es geschafft. Dies konnte nur das Paradies sein.
Aber dann meldete sich mein Gehirn, das so stark ausgeprägt ist, dass es nicht einmal in einer solchen Situation aussetzt. Wenn dies das Paradies war, dann war ich doch tot. Hatte Eddy mich umgebracht? Was würde mein Vater denken? Und die ekelhafte Mrs Gartenzwerg? Würden sie mich für schwach halten? Vielleicht. Aber bestimmt würden sie nun in Schuldgefühlen vergehen, weil sie nicht auf mein Flehen gehört hatten. Sie würden vor Elend sterben. Aber ich verzieh ihnen ja, denn sie wussten nicht, was sie taten, und mir ging es hier gut.
Was war mit meinem Traumprinzen gewesen? Ich hatte geglaubt, ihn gesehen zu haben, aber das war dann wohl ein Nahtoderlebnis gewesen, in dem er mich abgeholt hatte. Schade, ich wäre gern mit ihm glücklich geworden. Aber wenn ich mir das hier so anschaute, dann konnte es eigentlich kaum noch besser kommen. Wenn das mein Paradies war, dann gab es hier genügend Traumprinzen. Oh ja, und ich fing am besten gleich zu suchen an.
Beschwingt stand ich auf, um die neue Welt zu erkunden. Ich streckte meinen Zeh in das warme Wasser und roch an den duftenden Blumen, spürte den lauen Wind in meinen Haaren wie die Liebkosung eines Liebhabers. Ich sog die Luft ein, die nach Meer, Blumen und Früchten roch. Mit allen Sinnen gab ich mich dieser Welt hin.
Ein Räuspern erweckte mich aus diesem Sinnesrausch und selbst dieses Räuspern klang so sanft und lieblich, als gehöre es hierher.
Aha. Da war er also, mein Traumprinz.
Ich drehte mich herum und lächelte – und tatsächlich, da stand er.
Er war noch tausendmal schöner, als ich ihn in Erinnerung hatte. Sein Gesicht war zart und doch markant, die Lippen sanft und doch männlich. Und die Augen, die dieselbe Farbe wie das Meer hatten, zeugten von einer Güte und Weisheit, wie sie dort, wo ich herkam, nicht vorstellbar war. Außer natürlich in meinen eigenen Augen. Er war mein Seelenpartner. Ich musste ihn mir erträumt haben.
„So bist du nun erwacht“, sagte er und seine Stimme klang ein wenig rau. Wie lange hatte ich geschlafen? Wie lange hatte er bei mir ausgeharrt? Hatte er mit dem Schlimmsten gerechnet? Aber Moment mal, ich war ja tot, denn dies war das Paradies, nicht wahr? Also war er ein Engel? Ein Engel, den ich gesehen hatte, weil ich dem Tod nahe war. Das erklärte, warum ihn sonst keiner gesehen hatte.
Ich lächelte ihn an und steckte mir eine Blüte hinters Ohr, links natürlich, damit er wusste, dass ich noch zu haben war. Ich kannte mich schließlich aus, ich war sehr belesen. Sicher würde er dieses Signal verstehen.
„Verzeih die Unannehmlichkeiten. Aber es war wichtig, dass du hierhergelangtest.“ Er neigte seinen Kopf und machte eine komplizierte Bewegung mit der Hand: Er ballte sie zu einer Faust, von der er lediglich den Mittelfinger löste, und hielt sie mit dem Handrücken zu mir. Es musste sich um eine Geste des Grußes handeln. „Ich bin Eleaouniaoiuosiu T’gh’iariaot te lep tahol, der Prinz der Alawari. Sei willkommen, Grazielle Anastasia Belle Amelie Aurelia Mary Rose Sue de Cygne von Undzu.“
„Du kennst meinen Namen?“, fragte ich geschmeichelt. Bisher hatte sich niemand die Mühe gemacht, ihn sich ganz zu merken.
„Mein Volk und ich wissen von vielen Dingen, die anderen verborgen bleiben.“
„Dein Volk? Die Engel?“
Er runzelte kaum merklich seine perfekte Stirn. „Engel? Wir sind unter vielen Namen bekannt. Du magst uns als Engel kennen, andere nennen uns Alben, Elben oder Elfen. Wir selbst nennen uns die Alawari, die Freundlichen und Ernsten, denn wir sind sowohl freundlich als auch gütig. Dieser Begriff bezeichnet die Wesensart meines Volkes, die von einer von innen kommenden Heiterkeit und Wärme geprägt ist. Er ist in eurem Wort ‚albern‘ noch erhalten, jedoch in seiner Bedeutung völlig entstellt. Auch in den Begriffen Elbe, Albanien und Albion findet sich der Name unseres Volkes, denn wir waren bereits an vielen Orten. Wir sind ein uraltes Volk, viel älter als ihr Menschen.“
Also war er ein Elb, kein Engel. Aber Elben waren vielleicht sogar noch besser. Ob ich nun tot war oder nicht, war egal, Hauptsache, ich war im Paradies. „Sag mir, Eleaouniaoiuosiu T’gh’iariaot te lep tahol, wie bin ich hierhergelangt? Und was ist mein Schicksal.“ Vorsorglich spitzte ich schon mal unauffällig die Lippen. Wo war eigentlich meine Handtasche? War mein Lippenstift noch fest?
„Ich brachte dich her. Doch das Schicksal, o Mensch, ist ungewiss. Die Sterne sind schweigsam dieser Tage.“
Aha. Er wollte mich überraschen mit der Hochzeit und mir süße Dinge von den Sternen erzählen. Ein Dichter, wie ich ihn mir immer erträumt hatte. Ein Mann mit Manieren, der mich erst umgarnte und mir ausgiebig den Hof machte. Nicht so ein Tölpel wie Eddy.
„Du musst Hunger haben, Grazielle Anastasia Belle Amelie Aurelia Mary Rose Sue de Cygne von Undzu.“
„Ein wenig“, sagte ich geziert.
„Meine Familie wird sich um dich kümmern. Folge mir.“ Er reichte mir seine weiße, schlanke und doch starke Hand. Ich legte meine zierliche Hand hinein und spürte, wie sich seine wohlgeformten, langen Finger um meine legten. Sie waren angenehm kühl, trotz der Wärme hier nicht verschwitzt, und sehr kräftig.
Er führte mich vom Strand weg, hinein in einen wunderschönen Garten, in dem Palmen und Blumen aller Art wuchsen. Kleine, doch sehr adrette Häuser standen da. Alles war sauber und gepflegt und doch zugleich von einer natürlichen Anmut und im Gleichklang mit Mutter Erde. An einem Kessel standen eine junge und eine alte Frau, die beide so schön waren, dass ich wusste, sie mussten mit Eleaouniaoiuosiu T’gh’iariaot te lep tahol verwandt sein.
„Darf ich vorstellen: Dies ist meine Mutter Iraeliat’o’eilpat’ra te lep tahol“, sagte er und deutete auf die ältere Frau, die mich nun gütig anblickte. Sie war alt, doch nicht auf eine gebrechliche, hinfällige Art, sondern auf eine weise, ehrwürdige Art. Ihre Augen blickten wach und sehr weise.
Ich verneigte mich und machte die Grußgeste, die ich mir von Eleaouniaoiuosiu abgesehen hatte. „Ich freue mich, Euch begegnen zu dürfen, gute Mutter“, antwortete ich.
Sie neigte ihren zarten Kopf.
„Dies ist meine Cousine Aleratiroanouleionala P’l’e’g’telia-ol-e-a.“ Er deutete auf die junge Frau. Sie war von einer bezaubernden Schönheit, wie ich sie außer im Spiegel noch nie gesehen hatte. In ihren langen schimmernden Haaren waren verschiedene Blumen eingeflochten. Sie lächelte mich freundlich an, und ich sah, dass ihre Zähne zierlich und wohlgeformt waren und weißer als weiß.
Sie reichte mir ihre Hand. „Bei euch Menschen macht man das doch so, nicht wahr?“, fragte sie. Auch ihre Stimme war lieblich wie Vogelgezwitscher bei Sonnenaufgang.
Ich lächelte und ergriff ihre zarte Hand, die nach Rosen roch und sich wie Pfirsich anfühlte. Ich dachte daran, wie Mr Blumentopf so unfreundlich meine Hand ignoriert hatte. Welch eine Wohltat war dies hier dagegen!
„Du musst hungrig sein, mein Kind“, sprach Iraeliat’o’eilpat’ra te lep tahol. „Dies ist vortrefflich, denn die Suppe ist gerade fertig. Nimm Platz.“ Sie gab einem herbeieilenden Jüngling ein Zeichen und er zog mir einen Stuhl heran. Er sah aus wie aus reinem Marmor gefertigt, doch als ich mich darauf niederließ, war er weicher als mein Himmelbett in Mums Wohnung.
Verschiedene Alawari, vermutlich Diener, brachten mir Tische, Geschirr und Speisen. Ich tauchte den silbernen Löffel in die Suppe, die einen mir unbekannten, unglaublich verlockenden Duft verströmte, und führte ihn langsam an meine Lippen. Schon bei der ersten Berührung der Suppe mit meinem Mund schloss ich die Augen. Das war eine Offenbarung. Noch nie hatte ich so etwas Köstliches zu mir genommen. Sie schmeckte nach Kräutern, Rosen, Waffeln, Cordon bleu, Bouillabaisse und Erdbeeren zugleich.
„Schmeckt dir die Suppe?“, fragte Aleratiroanouleionala.
„Sie ist das Beste, was ich je gegessen habe“, erwiderte ich.
Aleratiroanouleionala lächelte ihr entzückendes Lächeln. „Das freut mich. Wir haben nur von unseren besten Pflanzen hineingetan.“
„Sie ist wunderbar“, bekräftigte ich noch einmal und nahm noch einen Löffel.
Aleratiroanouleionala runzelte plötzlich leicht ihr zierliches Stirnchen. „Es muss schlimm sein, da wo du herkommst“, sagte sie mitfühlend. „Ich habe gehört, dass die Menschen ordinäre Dinge essen wie Butterbrot, Rostwurst und Pommes frites.“ Sie schauderte.
„Aleratiroanouleionala!“, warf ihre Tante warnend ein. „Du sollst nicht so mit den Menschen sprechen.“
„Oh nein“, wandte ich ein. „Sie hat ganz recht, es ist furchtbar bei uns. Die Primitivität der Menschen ist kaum zu ertragen. Ihr habt wohlgetan, dass ihr mich gerettet habt von dort. Ich werde ewig in eurer Schuld stehen.“
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Anmerkungen:
- Die Alawari sind meine Version der Elben oder ähnlicher Wesen.
- Die Alawari sind wohl ähnlich bescheuert wie Belle.
- Das Wort „albern“ geht auf althochdeutsch „alawari“ zurück, was ursprünglich „freundlich, wohlwollend“ bedeutete. Aber natürlich sind die Elben in Wirklichkeit bloß albern. Das Wort „Elb“ oder „Alb“ hat mit „albern“ eigentlich nichts zu tun. „Albanien“ und die anderen Wörter haben, soweit ich weiß, nichts mit „alawari“ zu tun.
- Der Stinkefinger ist die Grußgeste der Elben, ja.
- Die von innen kommende Herzlichkeit ist aus Loriots „Pappa ante Portas“ entnommen.
- In einigen Inseln im Pazifik (vielleicht auch sonst wo) zeigt die Blume hinter dem Ohr an, ob die Frau verheiratet ist oder nicht. Ob nun links für verheiratet steht und rechts für Single, weiß ich nicht, da ich da widersprüchliche Angaben gefunden habe. Vielleicht kommt das auch auf die Gegend an. Im Grunde ist es hier schnurz, Belle muss es ja nicht wissen, sie muss nur denken, dass es sie es weiß. Weil sie ja so furchtbar schlau ist. Wie sehr beneide ich sie doch!
Sieht so aus, als wäre die Gute endlich an ihrem Ziel angekommen. Aber ist das wirklich so? Tja …
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