"Macht er das öfters?"
"Du hast ja keine Ahnung…"
"Und jetzt sitzt du hier ohne Handy und Mitfahrgelegenheit?"
"Jupp"
"Also entweder ist das eine sehr seltsame Masche oder du bist ein ein Idiot. Sag mir, wieso hängst du mit dem Kerl ab?" Eine gute Frage, die ich mir ehrlich gesagt schon öfter gestellt hatte.
"Einigen wir uns auf Idiot."
In den darauffolgenden Minuten musste ich mir eingestehen, dass wir uns gut unterhielten. Ich erzählte ihr von Luis offener Beziehung, wie er grundsätzlich über das Ziel hinausschießen musste, von meiner guten Freundin Zoe, die ich im Studium kennengelernt hatte, und wie ich überhaupt in diese Situation geraten war. Dann fing sie an, über sich selbst zu sprechen. Sie sprach davon, wie sie sich um ihren im Koma liegenden Vater kümmerte und versuchte, ihn täglich zu besuchen, weswegen sie öfter bei sich in der Arbeit als Werbeberaterin fehlte, von ihrer panischen Angst vor Nacktmullen und selbst von ihrer Unzufriedenheit mit sich selbst, vor allem mit ihrem Hintern. Aber auch von den schönen Sachen, so hatte sie drei Katzen, eine eigene Wohnung und turnte seit ihrer Kindheit für ihr Leben gern, musste aber aufgrund ihres Vaters leider für den Moment aussetzen. Selbst belanglose Kleinigkeiten erwähnte sie, wie ihre gefärbten Haare, die eigentlich blond wären, ihre ursprüngliche Ausbildung bei der Polizei und ihre Liebe zu klassischer Musik. Das Gespräch zog sich bis in den späten Nachmittag.
"Ich sollte gehen, ich war heute noch nicht bei ihm." Plötzlich wirkte sie demütig und konnte kaum Augenkontakt halten.
"Soll ich dich begleiten?"
"Nein, ich will nicht, dass du mich dort siehst." Sie griff nach der Rechnung, die sie edel für mich übernahm. Um fair zu sein hatte ich schon kurz nach Luis Abgang erwähnt, kein Geld bei mir zu haben, es schien sie aber auch nicht zu stören.
"Hier." Eine zwölfstellige Nummer stand auf der Rückseite der viel zu teuren Rechnung.
"Es war wirklich ein schöner Tag, ich hoffe wir sehen uns bald wieder." Nach diesen Worten und einem kurzen Kuss auf meine Wange verließ sie den Coffeeshop. Sie war kaum verschwunden, als mir auffiel, dass mein morgendlicher Kater verschwunden war und ich noch immer ohne Geld und Handy in einer mir fremden Straße, viel zu weit weg von Zuhause war. Doch gerade, als ich darauf spekulierte, mich an der Außentüre der nächsten Straßenbahn festzuhalten, öffnete sich eine Autotür.
"Guten Tag, sie haben ein Taxi bestellt." Irritiert blickte ich mich um, wer gemeint sein könnte. Da ich die einzige Person weit und breit war, setzte ich mich lächelnd hinein und ließ mich nach Hause fahren. Während der Fahrt erschien mir immer wieder ihr Anblick vor Augen, das Lächeln, bei dem sie leicht auf ihrer blassen Lippe kaute, ihre hellbraunen Augen, die freche halblange brünette Frisur mit den blonden Strähnen. Dennoch war ich nach der Geschichte mit Linda, meiner damaligen Ex, innerlich zerrissen. Kaum angekommen, spurtet ich die Stufen hinauf, holt meinen Geldbeutel, trabte wieder hinab, nur, um nach dem Bezahlen des Taxifahrers erneut hinaufzusprinten. Ich griff nach meinem Handy, um Lucys Nummer einzuspeichern, kam aber nicht umhin, zunächst die siebenundzwanzig Anrufe in Abwesenheit und zwei Nachrichten von Lui zu bewundern, in denen in Großbuchstaben "YOUR WELCOME" stand.