Challenge Sixty minutes
Prompt „Ein gefährliches Geschenk“ 01.04.20
Devils Sicht
Ungläubig starrte mich diese Menschenfrau an.
„B.. eichte?“, blubberte es fassungslos aus ihrem schönen Mund.
Ich antwortete nicht sofort und ließ sie ein wenig zappeln. Natürlich nicht zu lange – ich mag zwar ein Dämon sein, jedoch kein Unmensch.
Fiona hielt sich überraschend gut. Man muss bedenken – erst hatte sie durch meine Wenigkeit erfahren, dass es meine Art leibhaftig gab. Zweites hatten wir ihren Bruder und seine Brut umgebracht, was sie auch wusste, wenn auch nicht direkt mitbekommen hatte. Dass Bernd es mehr als verdient hatte und dadurch noch eine Chance bekam, dem ewigen Fegefeuer zu entkommen, wusste sie natürlich nicht und stand auf einem anderen Blatt.
Nicht genug, dass sie damit klarkommen musste – weiter kam noch die Tatsache hinzu, dass sich keiner außer ihr daran erinnern konnte.
Und nun saß ich hier mitten in ihrem Wohnzimmer, lümmelte auf der Couch herum und eröffnete ihr, dass ich Luzifer unser Gespräch würde beichten müssen.
Die Menschen wussten so wenig über den wahren Himmel und die wahre Hölle, also konnte man es ihr nicht verdenken, dass sie verwirrt war.
Ich setze ein freundliches Lächeln auf – was sicher mehr verzerrt als wirklich freundlich aussah, leider sah ich mich nur gerade nicht – und erklärte: „Keine Sorge, Kleines, das bedeutet Schwierigkeiten für mich, nicht für dich.“ Ein wenig klingen wie Humphrey Bogart, das half sicher, dachte ich mir, und fuhr fort: „Es ist allerdings trotzdem nicht ungefährlich, was du dir wünschst.“
„Wie? Ich verstehe nicht?“ Ratlos fasste sie sich ins Gesicht. Diese Geste kann ich bei Menschen übrigens ständig beobachten. Also dieses Herumfummeln an Nase, Mund, Wange oder sonst wo. Sie merken es nicht einmal.
„Ich weiß, das klingt seltsam. Dem Teufel etwas beichten“, zeigte ich Verständnis. „Und es braucht dich nicht zu beunruhigen. Es bringt dich auch nicht in Gefahr. Allerdings…“
„Was?!“, fragte sie angespannt.
Ganz schön ungeduldig, diese Frau.
Vorsichtig beugte ich mich nach vorne zum Couchtisch und griff erst nach der Tüte mit den Chips, um mich zu bedienen, bevor ich ein paar Schluck aus der Flasche – ihrem Rotwein! – nahm. Gerade das machte schließlich den Reiz aus. Ich musste mich zu oft zusammennehmen und durfte nicht erkannt werden. Ab und so musste der schlecht erzogene Dämon einfach mal raus. Schließlich unterdrückte ich ihn fast permanent.
Wenn ich heute darüber nachdenke, wollte ich sie damit auch ein wenig provozieren. Denn so bequem war es hier auf ihrem Sofa gewiss nicht, auch wenn ich so tat, als fühle ich mich pudelwohl. Dazu behinderten mich meine zwei Flügel einfach zu sehr – von diesem elenden Dämonenschwanz, den ich schon immer albern gefunden hatte, mal abgesehen.
Ich bewunderte Luce sehr – aber was seinen Geschmack betraf, als er uns und unser Aussehen erschaffen hatte, der ließ leider zu wünschen übrig. Die Flügel gefielen mir weitaus besser, aber ich musste höllisch aufpassen, sie nicht zu sehr einzuklemmen, während ich hier auf dem bequemen Polster saß.
Natürlich würde ich ihr das nie verraten. Solange sie mich diese Dinge nicht fragte, musste ich nicht mit der Wahrheit herausrücken. Äußerst praktisch, diese Regel.
Ihre Augen schauten mehr als ungeduldig – sie war einfach süß – wagte aber nicht, mich erneut zu fragen.
Betont lässig stellte ich Flasche und Tüte wieder zurück, ehe ich ihre vorherige Frage endlich beantwortete: „Wenn ich dir einige Dinge verrate, wirst du zu Mitwisserin. Das bedeutet, dass ich dich weiter beobachten muss. Vielleicht solltest du dir doch lieber die Erinnerung nehmen lassen. Dieses Geschenk, um was du mich bittest, ist ein gefährliches.“
Ich konnte so hoch pokern, da ich fühlte, dass sie bei ihrer Meinung bleiben würde. Die Aussicht, dass ich in ihr Gehirn eindringen könnte und ihr Gedächtnis manipulieren würde, erschreckte sie zu sehr.
Ich hätte natürlich erwähnen können, dass dies öfters geschah, als sie dachte und diese Vorgehensweise allgemein nicht nur mit dem Teufel, sondern auch mit Jahwe abgesprochen war. Keiner der beiden hatte etwas dagegen und es war wirklich absolut sicher und folgenlos. Eine der Gaben, die wir Dämonen besaßen.
Aber so lange sie nicht weiter nachfragte…
Weiter verschwieg ich ihr, dass ich so oder so an ihr dranbleiben würde. Ob als Mitwisserin oder einfach, weil ich es wollte, war letztlich egal.
Sie sollte jedoch den Anschein einer Wahl haben, da ich ihre Entscheidung eh kannte. Ein Blick in ihren Geist hatte dazu ausgereicht.
Diese Fähigkeit ist leider nur begrenzt möglich. Wir können die Sterblichen lesen, jedoch nicht zu oft in einem gewissen Zeitraum.
Noch so ein Ding, was ich ihr nicht ohne Nachfrage verraten wollte.
Fiona war so nett, unbehaglich zu schlucken, ehe sie unsicher erklärte: „Ich… bin einverstanden. Du wirst mir aber nichts tun, oder? Also nur … beobachten?“
Nun überraschte sie mich doch. Nicht über ihre Einwilligung, aber dass sie ihren inneren Widerstand so schnell aufgab.
Hatte sie insgeheim, ohne sich dessen bewusst zu sein, Interesse an einem Dämon? Sprich, war ihre Neugierde so groß?
Da sie so umgänglich war, beschloss ich, nett zu sein und sofort zu antworten. „Nur beobachten. Und keine Sorge, du wirst mich nicht bemerken, es sei denn, einer von uns will es.“
„Ich glaube nicht. Es wäre mir lieber. Der Gedanke reicht mir, ich möchte das nicht noch mitbekommen.“
„Also du bleibst dabei?“ Ich wollte zumindest scheinbar fair bleiben. Das machte einen guten Eindruck.
„Ja. Erzähle mir die Hintergründe. Ich muss es wissen. Sonst habe ich keine Ruhe!“
„Nun gut!“
Der Handel war besiegelt.
Sie würde nicht alles erfahren. Da eine Beichte bei Luzifer eh überfällig war – ich hatte ihr die Erinnerungen nicht genommen, wie es in solchen Fällen üblich war – konnte ich ihr auch einige grundsätzliche Details verraten. Darauf kam es jetzt auch nicht mehr an.
Sie würde dieses Wissen mit keinem teilen können.
So lange sie nicht fragte, warum ich sie damals – nach der Halloweenparty – keiner „Gehirnwäsche“ unterzogen hatte, war alles gut. Es stand ein egoistischer Grund dahinter.
Ich wollte schlicht, dass sie mich, Devil, kennenlernte. Deshalb hatten wir getanzt. Und deshalb durfte sie mich nicht vergessen.
Aber wie schon gesagt – wer nicht fragte und meine Ausflüchte akzeptierte, erfuhr die Wahrheit nicht.
„Wir Dämonen werden bisweilen beauftragt, Menschen – böse Menschen – vorab zu unserem Herrn zu bringen. Dies geschieht nicht zufällig, sondern sie werden von Luzifer ausgesucht. Es geht darum, ihre Seelen zu retten, wenn das auch seltsam klingt.“
Ich schwieg und lächelte freundlich. Zumindest versuchte ich es.
„Und weiter?“
Ich entschloss mich, sie noch ein wenig zu ärgern. „Was weiter?“
„Das kann doch nicht alles sein. Devil, du sprachst von einem gefährlichen Geschenk, und nun ist diese Eröffnung alles, was du mir erzählen kannst?“
Ich streckte meine beiden Beine lässig nach vorne, ehe ich fortfuhr: „Natürlich gibt es da noch einiges. Zum Beispiel, dass ich eine etwas wärmere Körpertemperatur habe, diese aber nicht deine Couch beschädigt. Meine kleinen Flammen, die bisweilen über meinen Körper huschen, übrigens auch nicht.“
„Haha! Stell dir vor, daran habe ich noch nicht gedacht, aber es schon längst bemerkt.“ Wütend verschränkte sie ihre Arme vor der Brust.
Die Kleine wurde kratzbürstig? Interessant…
„Sag mir mehr! Über dich, deine Mission, deine Existenz!“
Mut hat sie, die Frau. Deshalb interessiert sie mich.
Ein paar Brotkrumen konnte ich ihr noch hinwerfen.
„Wir Dämonen wandeln unerkannt unter euch. Wie wir das machen, spielt keine Rolle. Wir handeln im Auftrag unseres Herrn, was aber nicht heißt, dass kein sinnvoller Plan dahintersteckt. Nur üble Seelen werden vorzeitig von uns geholt. Und das hat auch einen ganz bestimmten Grund. Normale Menschen, also solche mit guten und schlechten Seiten, haben nichts von uns zu befürchten. Du musst schon eine sehr befleckte Seele haben, dass du in Luzifers Schusslinie kommst.“
Sie schaute mich zögerlich an. „Und bin ich das nun? Schließlich rede ich mit dir!“
„Nein, bist du nicht.“ Ich durfte nicht lügen, aber es tat auch gut, ihr die Wahrheit zu sagen. Ich wollte nicht, dass sie sich unnötig Angst hatte. „Du bist ab sofort nur unter meiner Beobachtung, das ist alles. Und es gibt Schlimmeres, glaub mir.“
„Ich weiß nicht!“ Sie war unzufrieden.
Man kann nicht erwarten, mit einem Dämon einen Handel abzuschließen, und dabei gut wegzukommen.
Mit ihrer nächsten Frage überraschte sie mich dann doch. „Darf ich dich dann wenigstens mal berühren? Ich möchte wissen, wie du dich jetzt anfühlst.“
~~~
Etwas später war ich auf dem Rückweg. Ich hatte mein Auto fünf Gehminuten abseits, in einer dunklen Gasse, abgestellt.
Bereits unterwegs hatte ich begonnen, mich zurückzuverwandeln und war bereits wieder in meiner menschlichen Gestalt, als ich die automatische Türentriegelung meines KFZ betätigte.
Fiona hatte als Studentin viele lose Kontakte – nicht sehr tief, aber eng genug, um sich zu einer Studentenparty oder sonst zwanglos zu verabreden.
Ich lächelte kurz, als ich an ihren vorherigen Streit mit Holger dachte.
Nein, es war zu früh. Sie musste sich von der Aufregung erholen.
Morgen, morgen jedoch, würde ich die Frau anrufen. Ihre Handynummer hatte ich ja.