Fingerübungen - Prompt Dämon
„Fiona!“ Holger schien enttäuscht. „Was ist los?“
Ich schüttelte verneinend den Kopf. Ich konnte es ihm nicht sagen.
„Ist es wegen Bernd?“
„Wie?“ Perplex starrte ich ihn an. „Nein, wieso?“
„Nun ja…“ Der junge Mann zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, du hast dich oft mit ihm gestritten, aber den Tod wünscht man sich keinem, vor allem, wenn es der Bruder ist.“
Was sollte ich darauf antworten? Die Wahrheit – dass Bernd ein Scheusal gewesen war und ich ein schlechtes Gewissen hatte, weil sich meine Trauer in Grenzen hielt? Ihm sagen, dass ich entweder verrückt war oder ihn tatsächlich Dämonen umgebracht hatten?
Die Polizei hatte eindeutig einen technischen Defekt als Brandursache festgestellt. Insofern stimmte wohl eher etwas mit meinem Verstand nicht.
Seltsam war jedoch, dass mein Bruder, seine Freunde und ein paar wenige Gäste die einzigen waren, die dabei ums Leben gekommen waren.
Ein Zufall, weiter nichts.
In beiden Fällen jedoch war es notwendig, dass ich den jungen Studenten aus dieser Sache heraushielt.
„Hör zu, Holger“, begann ich unsicher, „es war alles etwas viel die letzte Zeit. Gib mir einfach etwas mehr Luft zum Atmen, ok?“
„Lass dir doch helfen, Fiona. Oder liegt es an mir?“
Seine Stimme klang gepresst. Nicht gut.
Ich mochte ihn, wirklich. Er war höflich, nett, zuvorkommend und ruhig. Ein wenig schüchtern vielleicht, aber das störte mich nicht wirklich.
Zwischen uns stand dieses Rätsel an diesem Abend. Zugegeben, vielleicht war er mir nicht draufgängerisch genug und ich hielt ihn möglicherweise auch deshalb etwas auf Distanz. Genau wusste ich es selbst nicht.
„Nein. Wohl eher an mir“, beruhigte ich deshalb ein wenig zu hastig. „Ich kann es dir nicht erklären. Bitte, geh einfach.“
„Schade. Aber nun gut – deine Entscheidung!“, kam seine ernüchterte Reaktion. „Ansonsten hast du ja meine Nummer.“
„ja. Es tut mir leid, Holger. Es tut mir leid!“
„Mir auch!“
~~~~~~
Vorsichtig stieg ich aus meiner Badewanne. Wie lange hatte ich im Wasser gelegen? Meine Finger waren schon schrumpelig.
Entspannung hatte es mir leider nicht gebracht, trotz dem Melissen-Badezusatz.
Aktuell lief alles aus dem Ruder. Die Gedanken an diese Vorkommnisse vor nun fast fünf Wochen, die Probleme mit Holger…
Ich kam nicht zu Ruhe.
Erschöpft griff ich nach meinem großen Badetuch, um mich trockenzurubbeln. Danach schlüpfte ich in die bequeme leichte Hose und zog mir das T-Shirt über.
Ich würde mich mit einem Film auf Amazon oder Netflix ablenken.
Angetan von dieser Idee, streifte ich noch meine warmen Socken über und verließ das Bad. Über den Flur und dann ins Wohnzimmer auf die bequeme Couch.
Ich sollte meinen Plan jedoch nie in die Tat umsetzen.
Denn als ich den Raum betrat, wäre ich vor Schreck fast tot umgefallen. Wirklich!
Auf meinem Sofa, genau auf meinem Lieblingsplatz, saß er und hatte es sich gemütlich gemacht. Genauer gesagt, lümmelte er dort mit einer Packung Chips und einem Rotweinglas.
Seit wann essen und trinken Dämonen menschliche Nahrung?
Devils Augen blitzten mich an. Keine Pupille war zu erkennen, da seine Regenbogenhaut ebenfalls schwarz war. Dunkle Knöpfe starrten mich an, die allerdings leicht rötlich schimmerten.
Er zeigte nicht seine wahre Gestalt, sondern war ein Mensch, der als Dämon verkleidet war. Das gleiche Outfit wie damals. Die rote Dämonenmaske mit der starren Mimik wirkte grotesk, denn ich kannte ja sein wahres Wesen. Hier saß eine Kreatur, dessen Verkleidung selbst wiederum eine war.
Davon abgesehen – wie wollte er so Trinken und Essen? Oder hatte er die Dinge nur platziert, um den ganzen etwas Normalität zu geben? Frech genug, dass es meine Chips und mein Rotwein waren, die er in seinen Händen hielt und nun gemächlich vor sich auf dem Tisch hinstellte.
Diese Situation war seltsam irreal.
„Du warst aber nicht besonders nett zu dem jungen Mann“, erklärte er mit ruhiger Stimme. Wieder hatte sie einen leicht verzerrten Klang hinter dieser Larve.
Was sagte er da?
Das einzige was ich konnte war, ihn überfordert mit offenem Mund anzustarren. Nun, da ich wusste, wer oder besser gesagt was er war, sollte ich bei unserer zweiten Begegnung eigentlich Angst haben – stattdessen jedoch spürte ich seltsame Erleichterung. Ich war also nicht verrückt – es gab ihn wirklich.
Oder war ich doch verrückt und Holger hatte etwas in mir getriggert?
„Nein, du bist nicht verrückt“, erklärte er unaufgefordert.
„Du kannst Gedanken lesen!“ Kein schöner Gedanke.
„Natürlich! Genauso, wie ich ein ausgezeichnetes Gehör habe und das Gespräch mit deinem Freund mitgehört habe“, antwortete er leichthin.
„Du hast mich gestalkt!“ Leichtsinnig, einen Dämon Vorwürfe zu machen, doch so konnte ich mich selbst gut von der Tatsache ablenken, dass er scheinbar einen leichten Zugriff in meinen Kopf hatte, wenn ihm danach war. Ständig wohl nicht, denn sonst wüsste er, dass ich und Holger kein Paar waren.
Devil schien mein Ärger zu amüsieren. Ein leichtes Lachen war hinter der Maske zu hören, ehe er erwiderte: „Ich wandle allgemein unerkannt unter den Menschen. Ja, ich habe dich beobachtet. Ich musste doch wissen, wie du mit der Realität zurechtkommst, nachdem ich dir keine falsche Erinnerung gegeben habe.“
Das stimmte allerdings. Ich war fassungslos gewesen, nachdem ich diese ganz anderen Erzählungen meiner Mitstudenten gehört hatte. Keiner hatte sich an die auffällige Dämonengruppe erinnern können.
Ein wenig mulmig wurde mir nun doch und ich schluckte erst unbehaglich, bevor ich nachbohrte: „Warum eigentlich?“
Sein Blick ruhte auf mir. „Du scheinst nicht gut damit klarzukommen.“
Nicht nur Menschen, sondern auch Teufel konnten direkten Fragen ausweichen, wie es schien. Ein leichter Groll stieg in meinem Innern – unangebracht angesichts der Situation, und so recht konnte ich mir mein Verhalten immer noch nicht erklären. So sprach man nicht mit einem Diener Satans. Weshalb fürchtete ich mich nicht? Hatte er magische Kräfte?
„Ich musste ja einiges verdauen, meinst du nicht?!“ Fast leichtsinnig9, diese pampige Antwort.
„Da gebe ich dir recht. Und ich bin hier, um dein Problem zu lösen.“
Wieder las er wohl meine Gedanken, denn er fügte hinzu: „Ich kann dir deine Erinnerung nehmen!“
„Was?!“ Ich wich einige Schritte zurück.
„Es ist nicht weiter gefährlich. Du wirst alles noch wissen, außer die wahren Umstände des Todes deines Bruders und seinen Begleitern.“
Heftig schüttelte ich den Kopf. „Nein!“
„Fiona!“ Fast meinte ich, dass er traurig klang. Dies konnte aber auch durch das Tragen der Maske täuschen. „Ich verspreche, dir nicht zu schaden, und wir Dämonen stehen zu unserem Wort. Es geht ganz schnell. Ich muss nur…“
„Nein!“ Zum ersten Mal fühlte ich tatsächlich so etwas wie Panik im Innern aufsteigen. „Bitte nicht!“
„Meinst du nicht, dass es besser wäre?“
Verdammt nochmal. Ich wollte nicht vergessen, ihn nicht vergessen. Ich wollte nur mit dieser Situation klarkommen.
Seine Larve, die sein wahres Ich verbarg, störte mich zunehmend. Ich hatte ihn bereits als Dämon gesehen – und sein Vorschlag machte mich auf seltsame Art nervös. Ich wollte mit allen Mitteln verhindern, dass er seinen Plan ausführte – womöglich sogar gegen meinen Willen.
„Nein, auf keinen Fall! Bitte, Devil, tu mir das nicht an!“
„Es überrascht mich, dass du ablehnst. Du hättest es leichter und könntest mit deinem Freund eine unbelastete Beziehung führen.“
Ich wollte nicht mehr länger auf diese bewegungslose Mimik starren.
„Kannst du dich verwandeln? Also in das, was du bist, und dich mir nicht als Mensch mit Maske zeigen?“
„Üblicherweise bin ich kein besonders schöner Anblick für euch Sterbliche.“
„Ich habe dich damals gesehen und erinnere mich gut. Es ist nur schwer für mich, eine Unterhaltung mit diesem Ding zu führen.“
„Du hast vor allem mein Gesicht gesehen. Wenn dies aber dein Wunsch ist…“ Zu meiner Überraschung erhob er sich aus dem bequemen Polster. Offensichtlich musste er dazu stehen.
Er hatte recht. Nach seiner Eröffnung, dass sein Herr Luzifer war, hatte ich noch eine lange Zeit auf sein Gesicht mit den seltsamen Augen gestarrt - zumindest hatte es sich so angefühlt.
Was danach kam, wusste ich nicht mehr. Entweder war ich irgendwann doch ohnmächtig geworden, oder Devil hatte in dieser Nacht bereits einige meiner Erinnerungen manipuliert.
Devil kündigte es nicht weiter an, aber die Verwandlung begann sofort, nachdem er mit beiden Beinen vor mir stand. Die Maske schien zu verfließen, ebenfalls die Kleidung, die er trug. Holz wurde zu Gesicht und Stoff zur Haut. Die Krallen, die er bereits mit seiner menschlichen Gestalt trug, wuchsen zu spitzen Werkzeugen heran. Ebenso streckten sich die Arme, so dass sie am Ende etwas länger waren als die eines Menschen. Schwarze glitzernde Abgründe statt menschlicher Augen und die zwei silbernen Teufelshörner schoben sich nach oben, verdrehten sich leicht spiralförmig und verdoppelten ihre Länge. Gleichzeitig wuchs etwas aus seinem Rücken heraus.
Der Dämon stand in seiner ganzen Pracht vor mir. Nackig, wie Gott – oder hier wohl der Teufel – ihn geschaffen hatte – sehnige Arme mit übergroßen weißen Händen. Sein Körper war mit scharlachrotem Fell überzogen und wirkte fast wie ein Schrank, mit all den Muskelsträngen überall, und sonderte eine nicht zu ignorierende Wärme ab. Ein Geruch von Schwefel und Rauch lag in der Luft. Bisweilen meinte ich, für einen kleinen Augenblick kleine Flammen über seinem Körper huschen zu sehen. Sehr imposant waren auch die zwei burgunderroten Flügeln, die an die eines Drachen erinnerten.
„Und – erfülle ich deine Erwartungen?“, grollte er. Sein Mund war viel zu breit und die Zähne hätten einem Raubtier Ehre gemacht.
Er war wahrlich ein Wesen aus einer anderen Welt.
Paradoxerweise fürchtete ich mich noch immer nicht vor ihm. Im Gegenteil, es erschien mir wesentlich angenehmer, mit dem echten Devil zu kommunizieren statt einer Illusion eines Menschen.
Ich nickte und antwortete: „Du bist eine imposante Erscheinung, Devil.“
„Und es verstärkt nicht deine Alpträume, nun, da du meine wahre Gestalt siehst?“, zweifelte er.
„Nein! Ich rede lieber mit deinem ich, statt mit einer hölzernen Fratze.“
Er lachte leise. Seine wahre Stimme hatte etwas Grollendes, aber klang nicht unangenehm. „Du bist unglaublich, Fiona!“
Ein Schaudern lief mir über den Rücken, als mir dadurch wieder bewusst wurde, dass er mich ja kannte.
Ob ich ihm wohl schon begegnet war? Oder beobachtete er mich nur heimlich?
Meine Neugierde wurde immer größer auf diesen Dämon, der es sich nun wieder gemütlich auf meiner Couch machte.
„Ich möchte es verstehen, Devil. Das ist es, was mich nicht schlafen lässt. Was geschieht gerade? Weshalb habt ihr meinen Bruder getötet? Und werden noch weitere sterben?“
„Du willst also Antworten. Man könnte auch sagen, du wisst alles wissen. Warum überrascht mich das nicht?“
„Kannst du es mir denn sagen?“
Seine Blick funkelte und es vergingen einige Augenblicke, ehe er nickte und erwiderte: „Nicht alles, aber ich denke, einige Dinge kann ich dir erklären. Wenn es auch ein kleines Problem dabei geben wird.“
„Ein Problem?“
„ich werde es Luzifer beichten müssen!“