60 min Prompt Halloweenparty
„Was ist denn, Fiona? Weshalb bist du so schwermütig? Die Party ist doch ein voller Erfolg, oder nicht?“
„Ja, das ist sie wohl!“ Missmutig nickte ich meinem Bruder zu und nippe an meinem Cocktail.
Bernd, der alles im Griff hatte.
Bernd, der mit Bestnoten seinen Master machen würde.
Bernd, der Star an der Uni.
Ich war es so leid.
Seit ich denken konnte, stand ich in seinem Schatten.
Leicht seufzend ließ ich mein Glas stehen und begab mich auf die Tanzfläche. Vielleicht konnte ich wenigstens so ein wenig Ablenkung finden.
Ich musste lächerlich aussehen, in diesem Halloweenkostüm.
Wäre es nach mir gegangen, wäre ich gar nicht hier und stattdessen mit Holger ins Kino gegangen.
Holger! Ein sehnsüchtiges Ziehen in meiner Magengegend, welches ich aber geflissentlich überhörte.
Es war gut, dass ich ihn ausgelacht hatte. Auch wenn es mir sehr weh getan hatte, den Schmerz in seinen Augen zu sehen.
Aber ich tat es zu seinem Schutz. Er sollte nicht auch noch in diesen Schmutz meiner Familie hineingezogen werden.
Denn wir waren mächtig. Einflussreich.
Natürlich nicht offensichtlich. Aber mit Schmiergeld ging vieles. Ein paar Geldscheine da, eine gezielte Fälligkeit an anderer Stelle, und schon war das Netz gewoben. Mein Vater wusste, wie man intelligent und diskret vorging. Nicht Mafia sein hieß ja nicht, dass man nicht mit ihren Methoden vorgehen konnte.
Mein Bruder, Bernd, war schon fast so gewieft wie Papa. Wäre er nicht so intelligent gewesen, wäre sein Abschluss auch durch entsprechendes Vitamin B gesichert gewesen. Durch gezielte Interventionen hatte er nach kurzer Zeit erreicht, was ich nicht schaffte – einflussreiche Freunde, gezwungen oder weil sie sich etwas davon versprachen; beliebt bei den Mädels, indem er ihr Honig um den Mund schmierte; anerkannt bei den Dozenten, denn wer konnte seinen charismatischen Reden widerstehen?
Es war kein neues Gefühl für mich, die zweite Geige zu spielen. Ich verachtete ihn, auch wenn ich es mir nicht leisten konnte, dies so offen zu zeigen.
So war meine Teilnahme an dieser Halloweenfeier auch alles andere als freiwillig. Aber wie hätte es ausgesehen, wenn die ältere Schwester nicht teilnahm? Diese Megaparty, die Bernd federführend organisiert hatte?
Frustriert schloss ich die Augen und versuchte mich, von der Musik treiben zu lassen. Wenigstens für eine Weile diesen ganzen Mist vergessen zu können Den Herzschmerz, wenn ich an Holger dachte. Ich hatte ihn wie immer abblitzen lassen. Nicht, weil ich kaltherzig war, wie er und die anderen dachte. Nein, ich wollte ihn von mir fernhalten, um ihn nicht in diesen Sumpf hineinzuziehen.
Ein Opfer, welches ich ohne zu Zögern bereit war zu geben, wenn es mir auch unsagbar wehtat. Liebe war mir wohl nicht vergönnt.
Ich hielt die Augen geschlossen und konzentrierte mich auf die Musik. Den Beat, der aus den Lautsprechern dröhnte und die Bässe, die mir direkt in den Magen fuhren. Ich liebte das. War ich frei, zumindest in diesem Moment.
Leider war nach zwei weiteren Stücken erst mal Schluss, da die Band eine Pause brauchte.
„Hey, Fiona, kommst du mit an die Bar?“ Einige Mitstudenten lachten mir fröhlich ins Gesicht. Eindeutig, dass sie bereits einiges intus hatten.
„Später vielleicht, ich gehe erst mal kurz an die frische Luft.“ Das brauche ich jetzt wirklich. Es war wirklich recht warm in der alten Turnhalle. Vor allem aber konnte ich so vermeiden, mich ihnen anzuschließen. Ich hatte keine Lust, mich zu besaufen, auch wenn ich allen Grund dazu hatte.
Ich öffnete also die Türe und ging die wenigen Treppenstufen nach unten ins Foyer. Hier war es bedeutend kühler und sofort begann ich in meinem recht dünnen Hexenkostüm zu frösteln.
„Zu frostig für unsereins, nicht wahr?“
Erschrocken drehte ich mich herum. Ein Student, als Dämon verkleidet, hatte sich unbemerkt genähert und musterte mich neugierig. Keine Ahnung, wo er hergekommen war – in der Halle hatte ich ihn jedenfalls nicht gesehen.
Viel konnte ich von ihm nicht erkennen, da er eine rote Teufelsmaske trug – seine durch farbige Kontaktlinsen schwarzglänzenden Augen bildeten einen faszinierenden Kontrast mit seiner Larve.
Die Maske verdeckte sein Gesicht vollständig und daher konnte ich leider nicht viel davon erkennen. Auch klang seine Stimme gedämpft und seltsam verzerrt – unmöglich zu sagen, ob ich diesen Typen hinter der Verkleidung kannte oder nicht.
Auch sonst gab das Kostüm nicht viel von ihm preis – auf den Schultern ein dickes Fell, welches so üppig war, dass es sich wohl glücklicherweise um kein echtes handelte. Sein weites Hemd war auch in einem leuchtendem Rot, ebenso Hose und Schule. Sogar ein Cape der gleichen Farbe trug er, welches aber eher zu Superman gepasst hätte und daher etwas fehlplatziert wirkte.
Ohne Zweifel eine imposante Erscheinung – allerdings hatte ich keine Lust, mich blöd anmachen zu lassen, denn darauf lief es doch meistens hinaus, um diese fortgeschrittene Uhrzeit mit genug Alkohol im Blut.
„Vielleicht für dich, Teufel, aber ich habe für heute genug“, antwortete ich daher ein wenig ungehalten und wollte mich abwenden.
„Langsam, langsam, kleine Hexe“, grollte er. „Du wirst doch nicht so unfreundlich zu einem alten Wesen sein, oder etwa doch?“
Innerlich seufzte ich. Ein Spaßvogel also.
„Was willst du?“
Sein Blick nahm mich gefangen. In diesem Moment irritierte es mich nachdrücklich, dass ich nur seine Pupillen sehen konnte und mir sein übrige Mimik verborgen blieb. Es war seltsam, auf so ein starres Gesicht zu blicken. „Du scheinst mir leicht frustriert zu sein, Hexe.“
War das so offensichtlich, dass man mich schon darauf ansprach?
Aber warum leugnen?
„Hör zu – wer immer du bist, ich bin gerade nicht in der besten Laune, ok? Und ich habe auch keine Lust auf einen Flirt. Das hat nichts mit dir zu tun, es passt nur heute nicht.“
Der Teufel nickte. „Ich verstehe das.“
„Schön“. Dann konnte ich mich ja wieder umdrehen und wieder nach oben gehen. Die Pause der Musiker konnte ja nicht mehr lange dauern.
In diesem Moment griff der Mann jedoch nach meinem Arm und hielt ihn fest. „Dass ich deine Motivation nachvollziehen kann heißt aber nicht, dass ich es gutheiße. Du solltest nicht Trübsal blasen, wenn alle anderen feiern.“
Hatte er tatsächlich künstliche Krallen an seinen Händen? Wirklich beeindruckend. Sein Kostüm war wirklich aufwändig.
„Was willst du?“ Ich versuchte mich erfolglos loszureißen.
„Beruhige dich, meine Schöne. Lass uns einfach ein wenig unterhalten. Ich möchte wissen, was mit dir los ist.“
„Weshalb sollte ich mich einem Fremden anvertrauen? Ich kenne dich gar nicht – vermute ich zumindest. Nimm zumindest deine Maske ab, dann unterhält es sich leichter.“
„Bist du sicher?“, fragte er lauernd. „Ist es nicht viel einfacher, sich einem mysteriösen Fremden anzuvertrauen? Ich schwöre dir, es bleibt unter uns.“
Energisch schüttelte ich den Kopf. „Nein.“
Ein leichtes Lachen war zu hören, welches sich durch die Verzerrung der Maske unwirklich anhörte. „Nun gut. Dann mein Vorschlag – ich spendiere dir etwas an der Bar – was immer du willst – und wir tanzen eine Runde. Mein Preis dafür, dass du dich nicht anvertrauen möchtest.“
Mit jemanden zu kommunizieren, der sich so versteckte, wurde zunehmend unheimlicher. Allerdings hatte ich das sichere Gefühl, dass er es absolut ernst meinte.
Davon abgesehen, war dies hier auch spannend – mit einem Unbekannten eine Runde an der Bar und anschließend das Tanzbein schwingen, da klang verlockend.
„Warum nicht? Aber mehr ist nicht drin!“
„Wir werden sehen, ob du deine Meinung nicht änderst“, war seine belustigte Antwort, während er mir seine Armbeuge anbot. Das war schon wesentlich lieber als sein fester Griff und hatte etwas Galantes und Altmodisches. Nur zu gerne hakte ich in ihm ein und gemeinsam sparzierten wir zurück zu den anderen.
„Ich bin übrigens mit einer Gruppe hier, nicht dass du dich gleich wunderst“, erzählte er mir leichthin.
„Eine Gruppe? Also die Diener Luzifers persönlich. Und wie soll ich dich dann nennen? Dämon“, scherzte ich.
„Du kannst mich Devil nennen.“
Devil! Das fand er wohl besonders witzig.
„Wenn du dich so nennen willst, dann bin ich einfach die Witch“, konterte ich ein wenig ungehalten.
„Kein Problem, Witch.“
Wir waren bereits wieder oben bei der Türe angelangt und der Mann führte mich nach oben.
Tatsächlich. Einige Dämonen, die ihm sehr ähnlich sahen, waren zu sehnen. Sicher an die zehn, die sich munter unter die Gäste gemischt hatten.
„Ihr seid ja so vermummt, ihr könnte ja nicht einmal etwas trinken. Lange werdet ihr nicht durchhalten.“
„Mach dir darüber keine Sorgen“, antwortete er mit belustigter Stimme. „Nichts geschieht hier unüberlegt.“
Ich konnte es mir nicht verkneifen, all diese Teufel zu beobachteten, die eher den Eindruck machten, das Geschehen zu beobachten, als sich aktiv zu beteiligen. Sogar an Schwänze hatten sie gedacht, wenn diese natürlich nur schlapp nach unten hingen.
„Wie viele Teufel seid ihr denn eigentlich?“
„Dreizehn, natürlich. Und nun komm mit an die Bar.“ Er drehte den Kopf ein wenig schief und der Ausdruck seiner Augen war unmöglich zu deuten. Kurz hob er die freie Hand – die übrigens in weißen Stoffhandschuhen steckte - und strich mir kurz über die rechte Wange. „Was immer geschieht, hab keine Angst.“
Ehe ich auf diese seltsamen Worte reagieren konnte, hatte er mich auch schon zur Bar geschoben.