60 min - Prompt - Die Schöne und das Biest
„Also, was möchtest du?“, fragte mich Devil.
„Einen Gin Tonic!“, antwortete ich nach kurzem Zögern.
Noch immer überlegte ich, ob ich ihn wohl kannte. Durch diese schwarzen Kontaktlinsen war es mir unmöglich, seine natürlichen Augenfarben zu bestimmen. Dieses Schimmern oder Glänzen wirkte fast hypnotisierend auf mich und sie wirkten ganz und gar nicht künstlich. Vermutlich deshalb, da es zu der roten Maske einfach gut passte.
Er hatte einen großen, muskulösen Körper, das zumindest konnte ich erkennen. Welcher Student sah so aus und fehlte?
Suchend blickte ich mich um.
„Hey, Witch, schau mich an! Hier spielt die Musik“, ermahnte er mich streng.
„Entschuldige.“ Ganz unrecht hatte er nicht. Es war unhöflich, schließlich hatte er mich auch zu dem Drink eingeladen. Blindlings fasste er sich in die Hosentasche, holte einen kleinen Beutel hervor und legte einen Schein und einige Münzen auf den Tresen. „Stimmt so.“
Die junge Studentin kicherte. „Vielen Dank, Herr Teufel.“, was mir ein unwilliges Schnauben entlockte.
„Eifersüchtig, Hexe?“, fragte Devil mit einem vergnügten Unterton.
„Nie im Leben“, konterte ich sofort. Das fehlte mir noch. „Willst du nicht doch endlich mal deine Maske absetzen? Sei nicht feige und zeig mir dein Gesicht.“
„Später vielleicht.“ Das Licht war schummrig und kurz meinte ich, dass sich der eingearbeitete Mund in seiner Maske kurz zu einem Lächeln verzog. Was natürlich Unsinn war. Aber solche Täuschungen gab es, wenn man zu wenig Helligkeit hatte.
„Entschuldigst du mich für einen Moment, Hexe? Es geht nicht lange.“
Ich nickte zögerlich. Hoffentlich war es ihn mit mir nicht langweilig und er ließ mich jetzt allein hier sitzen. Alles schon erlebt.
„Halt mir den Platz frei!“ Elegant sprang er vom Barhocker hinunter und ging zu einen seiner „Mitteufel“ hinüber. Ich konnte nichts verstehen, aber sie schienen etwas zu bereden. Eine gute Gelegenheit, ihn zu beobachten.
Er hatte einen schwungvollen, kraftvollen Dank. Sein künstlicher Schwanz wippte leicht hin- und her.
Wer war er nur? Hoffentlich gehörte er nicht zu den Freunden meines Bruders und war hier, um mir eine Lektion zu erteilen?
Nein, das konnte ich ausschließen. Bernds Freunde waren vieles, aber sicher nicht so charmant wie mein Devil.
Rasch nahm ich einen Schluck, während sich nun ein dritter kostümierter Teufel zu den zweien gesellte. Sie diskutierten noch kurz, dann nickten die beiden anderen. Mein Unbekannter wandte sich ab und kam wieder auf mich zu.
„Verzeihe bitte, Witch“, entschuldigte er sich, während er wieder auf seinem Stuhl Platz nahm. „Meine Brüder sind manchmal Hitzköpfe und ich musste vermeiden, dass sie hier zu früh losschlagen. Erst müssen sie ihren Verpflichtungen nachkommen.“
Brüder? Dann hatte er also zwei und die anderen der Gruppe waren ihre Freunde oder so etwas?
Und was meinte er mit Verpflichtungen?
„Alles zu seiner Zeit, meine Schöne“. Offensichtlich stand mir meine Frage ins Gesicht geschrieben. „Hast du Lust, jetzt eine Runde zu tanzen?“
„Und mein Getränk?“
„Nehmen wir einfach mit.“ Bevor ich reagieren konnte, hatte er sich geschickt mein Glas geschnappt. „Am Rand der Bühne ist genug Platz.“
Warum ging dieser Mann so forsch vor?
„Devil, das ist aber nicht die feine Art, das ‚Ja‘ einer Frau nicht abzuwarten, sondern mit ihrem Gin Tonic davonzulaufen.“
„Tut mir leid, ich bin ein Dämon, kein Charmebolzen.“, war seine sachliche Antwort. Er stand schon wieder und seine Augen funkelten. „Also, was ist jetzt?“
„Ist gut, ich komme ja.“ Ich hatte auch wirklich Lust, mit ihm aufs Parkett zu gehen, aber seine Art war mir trotzdem etwas zu forsch.
Aber wie hatte er gesagt? Eine Runde.
Alles weitere würde sich zeigen.
Wie abgesprochen, war das letzte Lied der Band – ein fetziger Rock N‘ Roll – gerade zu Ende und ein langsamer Walzer ertönte.
„Perfekt“, lachte Devil und schlang seine langen Arme um mich, nachdem er mein Getränk vorsichtig am Rand der Bühne abgestellt hatte.
Zuvor war es mir gar nicht aufgefallen, aber das Glas hatte doch tatsächlich etliche Kratzer. OK, es war eine Studentenfeier, aber das gehörte wirklich ausgetauscht.
Ich kam nicht mehr dazu, mir weiter Gedanken zu machen. Mein Begleiter drückte mich fest an seine Brust und wiegte sich sofort im Takt der Musik. Fest wurde ich an seine Brust gedrückt und spürte etwas Weiches darunter.
Fast so etwas wie Fell. War er so behaart oder trug er ein sehr weiches Unterhemd darunter?
Devil fühlte sich sehr warm an, fast wie ein Ofen. Am liebsten hätte ich die Augen geschlossen und mich richtig an ihn gekuschelt. Aber etwas zwang mich, über seine Schultern zu blicken und die Umgebung abzuscannen. Was machte mein Bruder gerade? Sah er mich? Ihn ein wenig ärgern würde guttun. Er gönnte mir mein Glück nicht – zugegeben, das hier war keine Gabe der Fortuna, sondern nur so etwas wie ein kurzer glücklicher Moment, aber auch das konnte in seinen Augen schon zu viel sein.
Bernd konnte ich nicht entdecken, stattdessen vielen mir aber die anderen Teufel auf. Einige waren mit Frauen oder Männer auf dem Weg nach draußen, während andere in Gespräche mit Studenten vertieft waren. Waren sie zuvor noch stille Beobachter gewesen, so war davon keine Spur mehr – fast wirkte es so, als verfolgten sie einem vorgegebenen Plan, der mir verborgen blieb. Offensichtlich hatten sie auch etwas an ihrem Kostüm verbessert, denn ein Teil ihres Schwanzes hing nun nicht mehr schlaff hinunter, sondern war schwungvoll nach oben gerichtet. Vermutlich Draht, der aber gut eingearbeitet worden war, da er nicht sichtbar war.
Vermutlich hatten sie zuvor einfach vergessen, alles in Form zurechtzubiegen.
Aber wo war Bernd?
„Dein Bruder ist an der Bar“, hörte ich meinen Tänzer sagen, fast so, als könne er Gedanken lesen. Weshalb klang seine Stimme plötzlich so kalt und abweisend? Und die noch viel wichtigere Erkenntnis daraus war …
„Du kennst mich!“, schlussfolgerte ich überrascht. „Weshalb hast du mir das nicht gesagt?“
„Dein Bruder ist eine Schlange“, knurrte Devil. Hatte er mir zuvor noch fest, aber zugleich fast auch beschützend im Arm gehalten, so war sein Körper nun vollständig angespannt und sein Griff wirkte mehr wie ein Schraubstock.
„Devil, bitte, du tust mir weh“, beschwerte ich mich verängstigt.
Ich fühlte mich nicht mehr wohl in seiner Nähe und wollte nur noch weg. Sein Körper schien auch wärmer zu werden und fühlte sich plötzlich heiß an.
„Oh, verzeihe bitte, Fiona.“ Er ließ tatsächlich etwas lockerer und auch seine Körpertemperatur schien abzukühlen. „Du kannst natürlich nichts für deinen Bruder. Du bist ganz anders, was auch kein Wunder ist. Schließlich seid ihr nicht miteinander verwandt.“ Er klang nun wieder wärmer und freundlicher.
„Wie bitte?“ Was ging hier vor? Ich verstand kein Wort.
„Hör zu.“ Wieder einmal fixierten mich seine Augen und hielten die meinen gefangen. „Ich erkläre es dir später. Entspanne dich noch ein wenig, etwas Zeit haben wir noch.“
„Von was sprichst du? Was ist mit Bernd? Und weshalb nimmst du nicht endlich diese Teufelsfratze ab und wir sprechen direkt miteinander?“
„Draußen. Aber lass uns diesen Tanz noch genießen. Bitte, Fiona.“
Keine Ahnung, warum ich klein beigab. Aber Devil hatte etwas an sich, was keine Widerrede zuließ. Seufzend gab ich nach und ließ mich von ihm führen. Immer noch war die die Musik sehr ruhig und langsam und wir wiegten uns weiter im Takt, wenn der Mann mich nun auch ein wenig über die Tanzfläche führte, so dass es nicht mehr ganz so intim war. Trotzdem schloss ich die Augen – ich wirkte irgendwie erschöpft.
Wenn ich nur verstand, was hier vorging.
Obwohl mir dieser Kostümierte immer mehr Rätsel aufgab, vertraute ich ihm. Ob das falsch war, wusste ich nicht. Aber es tat gut, immer noch an seine breite Brust zu lehnen, um mich ein wenig von ihm wärmen zu lassen. Es gab mir Ruhe, obwohl er mysteriös blieb und in Rätseln sprach. Ganz in die Musik und den Rhythmus vertieft, öffnete ich erst wieder die Augen, als die Band diese „Schmuserunde“ beendete und zu einer fetzigeren Musik wechselte.
„Lass uns nach draußen gehen“, meinte er und streichelte kurz meine Hand. Dabei streiften seine Krallen leicht meine Haut und ich spürte einen kurzen Schmerz, der mich zusammenzucken ließ.
„Verzeih bitte einem alten Dämon“, entschuldigte er sich und schien tatsächlich zerknirscht zu sein. „Ich scheine gerade etwas unachtsam zu sein. Am besten trinkst du dein Glas noch leer, bevor wir nach draußen gehen.“
Obwohl er mir immer unheimlicher wurde, folgte ich seinem Ratschlag und griff nach meinen Gin Tonic, der tatsächlich noch unberührt an seinem Platz stand. Rasch leerte ich ihn, da ich endlich wissen wollte, was hier vorging.
„Stell ihn ruhig zurück, es wird keine Rolle mehr spielen“, war seine rätselhafte Andeutung. Kaum hatte ich der Aufforderung Folge geleistet, als er mich schon an der Hand packte und mich sanft, aber doch nachdrücklich nach draußen zog. Erstaunt nahm ich aus den Augenwinkeln wahr, dass nicht wenige meiner Mitstudenten nach draußen begeben hatten oder auf den Weg dahin waren. Damit meine ich nicht einfach zum Foyer – nein, richtig draußen, einige Meter von dem Gebäude entfernt. Die anderen Teufel schienen die Ursache zu sein und erinnerte an eine Evakuierung.
Erstaunlich war, wie regungslos das alles ablief, fast, als stünden diese Menschen unter einem geheimnisvollen Bann oder Zwang. Ich schien die einzige zu sein, die sich wunderte und nicht willenlos hinterhertorkelte.
Endlich, in sicherer Entfernung und etwas abseits von den anderen, blieb mein geheimnisvoller Begleiter stehen und ließ mich los.
Etwas in mir wollte zurücklaufen oder hierbleiben und ihn anschreien – aber ich unterdrückte diesen Impuls. Viel zu groß war der Drang zu erfahren, was dies alles zu bedeuten hatte.
Ich brauchte meine Fragen nicht zu stellen – denn mein geheimnisvoller Begleiter kam mir zuvor.
„Höre zu, Fiona.“ Panisch blickte ich auf seinen Mund, der sich bewegte. Und war das überhaupt noch eine Maske, die er trug?
Ich hatte mir zwar gewünscht, seine Mimik zu erkennen und nicht auf die starren Konturen einer Larve zu blicken, aber doch nicht so!
Schwindel erfasste mich und ich spürte, wie es langsam schwarz um mich wurde.
Dieses Wesen seufzte hörbar – verrückt, dass ich dies noch wahrnahm – und hielt mich fest. „Dir und all die anderen draußen wird nichts passieren. Aber dein gottloser Bruder, einige seiner Freunde und noch andere Personen, die werden heute vor meinen Herrn treten.“
‚Herrn?‘, wunderte ich mich. Noch immer war mir schlecht, aber wider Erwarten driftete ich nicht weiter in die Bewusstlosigkeit ab.
„Luzifer natürlich“, entgegnete er ruhig, als habe er meine stumme Frage erraten.
Fortsetzung folgt – soweit gewünscht??