„Kannst du dir vorstellen, dass ich das einfach so gesagt habe?!“ Ich spürte, wie ich schon wieder errötete, und verbarg instinktiv mein Gesicht mit meinen Händen, wie ich es zu tun pflegte, wenn mir etwas unangenehm war. Als könnte der andere Part mich dann nicht sehen.
Nun war der andere Part aber Hanna, und vor der musste mir doch wirklich nichts peinlich sein. Wir hatten uns im Freiblock vor der folgenden Vorlesung in unsere Lieblingsbäckerei mit integriertem kleinen Café zurückgezogen. In der Mensa war es um die Mittagszeit einfach zu voll, außerdem gab es hier die besten aromatisierten Latte Macchiatos zu erschwinglichen Preisen. Gerade hatte ich hier von der Frage erzählt, die mir vorhin so ungefiltert herausgerutscht war. Bei meiner Verzweiflung kicherte Hanna kurz, schaute mich dann sofort mitfühlend an. „Was soll er denn jetzt bitte von mir denken?“, fügte ich noch hinzu, wusste dabei ja selbst nicht, was ich von mir denken sollte. War mir zuvor doch gar nicht bewusst gewesen, dass ich seinen Ehering so stark wahrgenommen hatte. Ach. „Ich … ich weiß nicht“, ratlos zuckte Hanna mit den Schultern. „Dass du sehr aufmerksam bist? Dass dir unverfänglicher Smalltalk nicht liegt?“ Sie versuchte mich mit einem lieben Lächeln aufzumuntern, doch ich konnte spüren, wie mein Herz schneller zu schlagen begann. Hinter Hannas Rücken hatte das Objekt unserer Unterhaltung die Bäckerei betreten. Zum Glück hatte er nicht in unsere Richtung gesehen, sondern war direkt zum Tresen gegangen um eine Bestellung aufzugeben.
Hanna hatte sich beim Anblick meines entsetzten Gesichts umgedreht. „Vielleicht bestellt er ja nur etwas zum Mitnehmen und geht dann?“, bemühte sie sich, mich zu beruhigen.
Doch nein. Er wandte sich, nun eine Tasse in den Händen, in das Caféinnere und dabei streifte sein Blick auch den Tisch, an dem Hanna und ich saßen. Zuerst schien er uns nicht wahrzunehmen, dann zeigte sich Erkennen in seinem Blick. Er nickte mit einem Gesichtsausdruck, der eigentlich eher das Fehlen eines Ausdrucks war, und musste sich dann scheinbar sehr intensiv darauf konzentrieren, sein Getränk zu einem Tisch in der Ecke des Raumes zu tragen.
„Oh, Mist“, ich seufzte, war mir mit einem Mal aber sicher, was ich tun musste. „Ich gehe zu ihm hin, und entschuldige mich einfach kurz, dass ich eine Grenze überschritten habe.“ Hanna nickte. Beeindruckt, oder zustimmend, oder beides, oder keins davon. „Tu das! Er wird er wertschätzen. Du wolltest ja nichts Böses …“ Ja. Aber was wollte ich dann?
Als ich dann vor ihm stand war mein Mut dann fast wieder verflogen. Er, noch sitzend, schaute zu mir hoch, und ich hatte den Eindruck, als sei ihm die Situation mindestens so peinlich wie mir. Mit der einen Hand – der, mit dem fehlenden Ring – spielte er am Teebeutelzipfel herum, der noch an seinem Fädchen aus der Tasse ragte.
Ich holte tief Luft. „Es … Ich wollte nur sagen, dass es mir Leid tut. Meine Frage vorhin. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Es ist nur … wenn ich auf der Suche nach Gesprächsthemen bin, dann fallen mir eben manchmal Sachen auf oder ein, die sich nicht wirklich als Themen eignen. Aber dann ist mein Mund schneller als mein Gehirn, und, naja, so endet das dann.“ Für eine Literaturstudentin war das vielleicht wenig eloquent, aber ich studierte die schönen Worte ja mehr, als ich sie selbst produzierte. Und immerhin hatte ich ihm ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Ein kleines, das gleich wieder verschwand. Aber wütend wirkte er auch nicht. Insgesamt viel weicher als in der Uni, und müder.
Müde war auch seine Stimme, als er dann sprach: „Das glaube ich Ihnen, dass Sie nicht absichtlich etwas Unangenehmes ansprechen wollten, so schätze ich sie auch gar nicht ein. Da die Sache wahrscheinlich eh bald die Runde macht, als Dozent ist man ja irgendwie eine Person des öffentlichen Lebens, kann ich Ihnen es ja einfach sagen – sofern Sie dann nicht selbst zu eifrig in der Gerüchteküche tätig sind.“ – „Also, so bin ich wirklich nicht!“, verteidigte ich mich, bis mir auffiel, dass sein Blick eher gespielt streng war. Er fuhr fort: „In der Tat sind meine Frau und ich zur Zeit dabei, eine Scheidung ins Laufen zu bringen. Es hat sich schon ein paar Jahre angebahnt, das schon, was nicht heißt, dass es nicht schmerzhaft und aufwühlend wäre. Das nur als Erklärung, falls ich in den letzten Wochen etwas neben der Spur gewirkt habe.“ Ich schüttelte den Kopf, wurde gleichzeitig von vielen Empfindungen übermannt. „Oh, dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen! Es tut mir nur Leid, dass Sie sich schlecht fühlen. Ich hoffe, es geht bald wieder besser.“ Oh, wie unangenehm. Ich wusste einfach nicht, was man zu einer Scheidung sagte – die meisten meiner Freundinnen nahmen gerade eher so das Projekt „Hochzeit“ in Angriff.
„Ist schon ok. Das Leben hinterlässt nun mal seine Narben auf der Seele, um mal etwas pathetisch zu werden. Doch es gibt ja immer noch gute, freundliche Menschen, die das Existieren von Tag zu Tag netter machen.“