"Haben Sie erbarmen, junge Frau. Geben Sie einem armen, alten Mann ein paar Kronen!" Mit einem freundlichen Lächeln ließ Mira eine Hand voll Münzen in die Schale des Bettlers fallen. Seinen ausgiebigen Dank winkte sie einfach ab und ging schnellen Schrittes weiter durch die geschäftigen Straßen von Celest.
Genüsslich sog sie die Frühlingsluft ein, als sie zwischen den hohen Wohnhäusern an Läden voll appetitlicher Leckerein vorbei marschierte. Wie so oft überkam sie das Verlangen sich eine getrocknete Goldbaumfrucht oder kandierte Nüsse zu gönnen, doch heute hatte sie dafür keine Zeit. Auf dem Fleischmarkt bog sie links ab, dann führte sie eine steile Treppe hinauf zum Forum.
In dem Gedränge war es für die kleine Menschenfrau schwierig ihr Ziel auszumachen, doch Ihre Füße kannten den Weg. Je näher sie der kleinen Taverne in einer Ecke des Forums kam umso mehr musste sie ihre Beine davon abhalten immer schneller zu laufen.
Die Menschenmenge teilte sich für einen Moment und ihr Herz pochte schneller, als sie einen Blick auf die groß gewachsene Gestalt erhaschte, die davor stand. Auf sie wartete. Jetzt gab es für sie kein Halten mehr.
Eine Handbewegung, ein kurzes Wort und schon stand sie vor der Elfe und konnte sie aus der Nähe betrachten. Sofort stieg ihr ein verführerischer Geruch wie feuchtes Moos und Tannennadeln in die Nase. Ob er natürlich war, oder bloß eine Illusion vermochte sie nicht zu sagen, aber er löste in ihrem Bauch ein Gefühl von tausend Schmetterlingen aus.
Ihr Gegenüber trug einfache Sandalen an den Füßen, deren Schnürung bis zur Mitte ihrer langen Waden reichte. Ihre große, aber schlanke Figur steckte in einem blauen Sommerkleid, dessen leichter Stoff elegante Falten warf. Mira musste sich zwingen den Blick von dem Ausschnitt abzuwenden und beäugte stattdessen die fein gearbeitete Halskette aus Messing, die auf den zierlichen Schultern lag. Es war eindeutig zwergisches Schmiedewerk, aber mit dem elfischen Symbol für Frieden und Gleichgewicht verziert.
Sie hob den Blick Zu dem schneeweißen Gesicht, das von kompliziert geflochtenen, goldblonden Haaren umrahmt war. Mira hätte sich am liebsten für immer in den großen, waldgrünen Augen verloren und sie wurde rot als sie sich fragte wie es sich wohl anfühlen würde diese vollen Lippen zu küssen.
"Hallo? Hörst du mir eigentlich zu?", Katalinas aufgebrachte Stimme riss sie aus der Betrachtung.
"I- ich war von deinem tollen Outfit abgelenkt", stotterte Mira verlegen. Verdammt, warum musste sie jetzt schon alles falsch machen? Aber wenigstens das Kompliment schien der Elfe gefallen zu haben, denn sie konnte beobachten wie sich deren spitze Ohren in einem verräterischen Rot färbten.
"Äh, danke, ich... dein Kleid ist auch schön", stammelte Katalina zurück. Sie brauchte einen Moment, um sich wieder zu fassen und Mira konnte nicht anders als daran zu denken wie süß sie dabei aussah. Verdammt, konnten ihre Wangen denn endlich aufhören zu glühen? "Jedenfalls wollte ich dir sagen dass es gefährlich war auf diesem vollen Platz zu teleportieren. Du hättest dich oder jemand anderen ernsthaft verletzen können", schalt sie schließlich mit strenger Stimme.
"Ich weiß, aber ich konnte es nicht erwarten hier zu sein." Miras Kopf musste inzwischen aussehen wie eine reife Tomate. Im nachhinein viel auch ihr auf wie dumm diese Aktion gewesen war. Aber in dem Augenblick war es die einzig logische Aktion gewesen. Was war nur los mit ihr?
Auch die Andere sah sehr verlegen aus. "Hoffen wir einfach dass dich keine Stadtwache gesehen hat. Wollen wir reingehen?"
Bevor sie noch mehr Blödsinn anstellen konnte folgte Mira Katalinas Aufforderung und betrat die gemütliche Gaststube. Ihr Blick schweifte über die kleinen Tische, die überall im Raum verteilt standen. Die Taverne war vor allem bei Studenten beliebt, die hier einen gemütlichen Rückzugsort von dem Stress an der Universität suchten. So fielen sie kaum auf als sie sich zu einem etwas abseits stehenden Tisch in einer Ecke setzten.
"Kann ich Ihnen schon etwas bringen?", fragte sie ein herbeigeeilter Kellner. Mira, die schon wieder in Katalinas Anblick vertieft gewesen war, wurde von der Frage aus dem Konzept gerissen. "Ich, äh, nun..." Zum Glück kam ihr die Blonde zur Hilfe: "Wir nehmen jede einen Goldbaumtee. Und eine Menükarte bitte."
Als der Kellner mit der Bestellung in die Küche verschwand fragte Mira erstaunt: "Woher wusstest du dass das mein Lieblingsgetränk ist?"
"Das war nicht schwierig zu erraten. Auf der Universität läufst du doch immer mit einer Flasche davon herum", lächelte die Angesprochene. Mira wünschte dieses Lächeln würde ewig anhalten.
"Aber trotzdem... es ist nicht so als hättest du mich besonders oft getroffen. Oder überhaupt wahrgenommen." Die Beiden studierten in unterschiedlichen Fachbereichen. Mira war eine Arkanologin, die sich mit den alten Teleportationsportalen befasste und Katalina studierte die telepathische Kunst der Illusion. Noch dazu blieben die Rassen auf dem Campus eher für sich. Mira hatte ihren Schwarm noch nie ohne deren elfische Freundinnen gesehen. Das hatte nicht unbedingt dabei geholfen den Mut aufzubringen sie zu diesem Date einzuladen.
"Du bist mir eben besonders aufgefallen", meinte Katalina gelassen, doch wieder wurde sie von ihren Ohrenspitzen verraten. Mira fragte sich ob ihr die Illusionistin genauso oft heimlich nachgestarrt hatte wie sie selbst.
"Was hat dich eigentlich dazu gebracht mich doch noch zu fragen?, wechselte die Elfe nun das Thema.
"Meine Freundin Tamara", gestand Mira zögerlich. Eigentlich hatte sie nicht darüber sprechen wollen. "Meine Schwärmerein dürften ihr irgendwann zu nervig geworden sein also hat sie gemeint ich solle es endlich hinter mich bringen." Kurz und Schmerzhaft, hatte ihre Freundin gesagt. Dass Katalina tatsächlich zustimmen würde hatte keine der beiden erwartet.
"Es ist schön dass du eine Freundin hast die dich so unterstützt", befand die Größere. "Meine Freundinnen denken immer noch ich würde dich nur an der Nase herum führen."
Bei den Worten fühlte Mira ihre Zweifel wieder aufsteigen. Die selbe Befürchtung hatte sie geplagt. So sehr sogar, dass sie beinahe nicht aufgetaucht wäre. "Das... das tust du aber nicht wirklich, oder?", fragte sie unsicher.
"Natürlich nicht", kam sofort die eingeschnappte Antwort. "Hältst du mich etwa für so eine hinterhältige-" Sie wurde von dem Kellner unterbrochen, der mit den Getränken ankam.
Als er gegangen war traute sich keine der Beiden das Gespräch wiederaufzugreifen. Katalina starrte abwesend in die bunte Menükarte. Sie sah ehrlich gekränkt aus. Verdammt, jetzt war Mira erneut eine Dummheit geschehen. Vielleicht wäre es wirklich besser wenn sie einfach den Mund hielt.
Aber nein. Sie wollte das Gespräch nicht einfach an diesem Punkt belassen. "Ich wollte dich nicht beleidigen", fing sie in beschwichtigendem Tonfall an. "Es scheint nur zu perfekt. Du bist eine Frau und eine Elfe. Ich hätte mir nie im Leben träumen lassen dass du an mir Interesse haben könntest." Sie gehörten dem gleichen Geschlecht aber unterschiedlichen Rassen an. Diese Verbindung würde sogar auf der eher liberal eingestellten Universität argwönisch betrachtet werden.
Katalina schien dieses Geständnis tatsächlich umgestimmt zu haben. Ihr Blick war deutlich weicher, als sie von der Karte aufsah und Mira direkt in die Augen blickte.
"Ich verstehe was du meinst. Glaube ja nicht dass ich mir darüber nicht auch schon den Kopf zerbrochen habe. Aber ich kann nur zu dem Schluss kommen dass wir beide bereit waren die Feindseligkeit meiner Freundinnen auf uns zu ziehen als du mich direkt vor ihnen um ein Date gefragt hast. Also was soll uns da die Meinung von ein paar Fremden interessieren? Im Leben geht es darum die Entscheidungen zu treffen, die einen selbst am glücklichsten machen. Nicht irgendwelche dahergelaufenen Idioten."
Mira viel vor Erleichterung ein Stein vom Herzen. So wie Katalina es darstellte war es tatsächlich unglaublich einfach. Sie mussten einfach nur tun was ihre Herzen wollten. Und ihr Herz wollte nichts sehnlicher als Katalina.
Der Rest des Abends fühlte sich an wie ein Traum. Sie bestellten ihr Essen und redeten über alles was ihnen einfiel. Sie tauschten sich über ihre Studien, Professoren und Komilitonen aus. Mira lernte dass Katalina Nadelbäume und Schnabelhörnchen liebte, weil sie diese an ihren Geburtswald im Norden des Reiches erinnerten. Die Eltern der Elfe hatten ihre Kinder in verschiedene Städte geschickt um zu studieren und ein besseres Leben zu führen, als es in der Provinz möglich war. Doch insgeheim vermisste sie ihre Heimat. Mira hingegen erzählte wie sie nach dem Tod ihres Vaters vom Anwesen ihrer Mutter fortgelaufen war, um bei ihrer Tante aufzuwachsen.
Dann begannen sie sich gegenseitig ihre magischen Fähigkeiten vorzuführen. Mira schaffte es, das Blumenkörbchen des Nachbartisches zu sich zu teleportieren. Den Strauß hielt sie Katalina als Geschenk entgegen. Diese warf ihr daraufhin eine Kusshand zu und ließ dabei rot leuchtende Herzchen durch die Luft schweben, die zwischen ihnen zu kreisen begannen. Auch wenn sie wusste dass die Herzchen nur in ihrem Kopf existierten konnte die Menschenfrau nicht widerstehen den Arm auszustrecken um eines zu berühren. Kurz hielt es seine Form, doch dann verblasste das Trugbild und sie sah nur noch die Elfe, die sie amüsiert musterte.
Als sie die Taverne schließlich verließen hatte die Dämmerung schon eingesetzt. Die Stadt war deutlich ruhiger geworden. Die Märkte waren wie leergefegt und in den Gassen spazierten nur vereinzelte Grüppchen und genossen die kühle Abendluft.
Katalina ließ es sich nicht nehmen Mira noch bis nach hause zu begleiten, wogegen diese auch keinen nennenswerten Widerstand leistete. Viel zu schnell kamen sie vor der Tür des schicken Gebäudes an, in dem sie ein Zimmer gemietet hatte.
Auf der Schwelle drehte sie sich zu der Elfe um. Gerade als sie dazu ansetzte etwas zu sagen beugte sich diese blitzschnell zu ihr herunter und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen.
Miras Verstand schien unter der Berührung hinwegzuschmelzen. Für einen Moment stand sie wie versteinert da, doch dann verblasste die Welt um sie herum und sie ließ sich darauf ein, schlang die Arme um die schmalen Hüften der Größeren. Die gesamte Welt schien nur noch aus dem verführerischen Duft, der Körperwärme und dem Druck auf ihren Lippen zu bestehen. Sie glaubte gleich vor Glück explodieren zu müssen. Katalina, ihre Katalina, hatte sie geküsst! Und es fühlte sich so viel besser an als sie es jemals erwartet hätte.
Als sie sich schließlich wieder von einander lösten stand Mira eine Weile nur wie vom Schlag getroffen da, während ihre Sinne langsam wieder zurückkehrten.
"Das... war intensiv", gab sie schließlich von sich.
Die Elfe sah sie besorgt an: "Alles in Ordnung bei dir?"
"Alles gut, ich brauche nur einen Moment um das zu verarbeiten." Mira hatte noch nie zuvor eine Frau geküsst. Genau genommen hatte sie noch nie jemanden geküsst der solch eine Reaktion bei ihr ausgelöst hatte.
"Nimm dir ruhig Zeit. Soll ich dich allein lassen?"
"Nein, warte!", sie wollte nicht dass Katalina jetzt schon ging. Sie drückte die Elfe erneut fest an sich: "Ich... ich habe heute Abend wirklich genossen."
"Ich auch", antwortete diese leise. Mit einer Hand streichelte sie liebevoll Miras Haare. "Ich würde das gerne wiederholen."
"Ich auch. Wie wäre es mit diesem Feentag?"
"Das klingt gut."
"Dann ist es abgemacht", widerwillig lösten sie sich wieder von einander. Zum Abschied küssten sie sich erneut, diesmal etwas kürzer. Dann trennten sich ihre Wege. Beide schon voll Vorfreude auf ihr Wiedersehen in zwei Tagen.