Prismin atmete tief durch und wandte ihre Schritte Richtung Gebirge. Mit etwas Glück würde sie hier reinen Feenstaub finden, zumindest aber die Lebensschimmerblume.
Ihre Gedanken kreisten weiter um die Geschehnisse in Masquera. Bald würde sie zum Lebensfunkentempel zurückkehren müssen. Sie hatte das Gefühl, rein gar nichts zur Rettung der Pseudonyme und ganz Belletristicas beitragen zu können. Acht Zutaten waren einfach zu viel, auch noch so schwierig zu findende Zutaten. Reinen Feenstaub? Eine seltene, rote Blume? Das Vulkangestein war ja eigentlich schon ein Ding der Unmöglichkeit!
Betrübt kam Prismin zu den Ausläufern der Berge. Die Laubwälder wurden zu Mischwäldern, langsam wurden die Nadelhölzer immer mehr. Sie versuchte, auf ihren Weg zu achten, doch das gelang ihr kaum. Öfters dachte sie daran, die Geisterwelt nochmals um Hilfe zu bitten, doch sie zweifelte an der Sinnhaftigkeit.
Am Abend, kurz bevor Prismin rasten wollte, schimmerte wieder Hoffnung in ihren regenbogenfarbenen Augen. Dort, an einem bemoosten Felsen, wuchs eine glitzernde kleine Blume – Lebensschimmer. Sie pflückte die Blume vorsichtig.
Aus dünnen Zweigen flocht Prismin eine kleine, stabile Kugel, um die zerbrechliche Blume sicher zu verwahren. Die Kugel steckte sie in einen Lederbeutel, den sie sicher an ihrem Gürtel verstaute.
Prismin haderte weiter mit sich und blickte in die Sterne. Die Blume hatte sie doch noch gefunden. Nun gut – sie würde die Geister ein zweites Mal um Hilfe bitten! Hoffentlich würden sie ihr einen Weg weisen können.
Prismin begann mit dem magischen Trance-Gesang. Sie nahm die drei magischen Kräuter zu sich und bat die Geister um Hilfe und Führung. Sie sagte ihnen eindringlich, warum ihr Anliegen so wichtig sei.
Bald schlief sie ein.
Im Traumland angekommen fand sie sich in einem Visionstraum wieder. Es war dunkel und schwarz, sie stand auf einem lehmigen Untergrund. Um sie herum tauchten Masken aus der Dunkelheit auf. Große und kleine, kunstvoll verzierte und ganz schlichte. Hinter den Masken blickten sie grüne Augen, himmelblaue Augen, braune Augen und rote Augen an. Doch dann veränderten sich die Augen. Einige wurden blau, eisblau wie die Augen der Pseudonyme.
Prismin wusste nicht, was das hier bedeuten sollte. War etwa schon alles verloren? Die Angst überfiel sie.
Die Masken begannen, um sie herum zu tanzen. „Wähle! Wähle die Maske, wähle die richtige! Du musst sie unter uns allen finden, sonst ist alles verloren!“
Die Masken drängten sie, zu wählen, doch Prismin ließ sich nicht zu einer Entscheidung drängen. Sie durfte nicht irgendeine Maske wählen. Musste sie diese Maske vielleicht hier finden und nicht in Masquera, wie sie ursprünglich gedacht hatte?
Die Masken tanzten weiter und riefen ihr zu, sie solle sich entscheiden. Da entdeckte Prismin eine Maske, blau wie ein Bergsee mit rot-schwarzen Verzierungen. Die Maske tanzte mit den anderen Masken, die eine Hälfte fröhlich und lachend, die andere Hälfte weinend und trübsinnig. Da wusste Prismin – dies war die richtige Maske!
Sie pflückte die blaue Maske aus den vielen Masken heraus. Die Stimmen verstummten, bis auf die blaue Maske verschwanden alle anderen. Dann fiel sie in eine weitere Vision. Sie wusste, dass sie in einer anderen Zeit war, sie sah eine andere Person. Sie war diese Person, doch sie konnte ihre Taten nicht steuern. Bruchstücke von Erinnerungen flossen auf sie ein. Eisblaue Augen, Kälte. Ein Weg, eine Suche. Feenstaub, Lebensschimmer und immer die blaue Maske. Zum Schluss sah sie Blut auf Gestein und wusste: dieser Sucher hatte seine Zutaten nicht mehr zum Lebensschimmertempel bringen können. Er hatte gelebt, als die Winterdämonen das letzte Mal die Pseudonyme vergiftet hatten.
Prismin erwachte in der Morgendämmerung, umgeben vom Gesang der Vögel. Sie wusste, welchen Pfad sie jetzt gehen musste, auch wenn sie noch nicht wusste, was sie am Ende erwarten würde.
So schnell sie konnte stieg sie weiter ins Gebirge hinauf, bis kaum noch Laubbäume zu sehen waren. An einem großen Felsen kam sie auf eine kleine Lichtung, bewachsen mit hohen Berggräsern und Blaubeersträuchern. Dort im Gestrüpp fand sie verwitterte Kleidung und ein menschliches Skelett mit einem gespaltenen Schädel. Aus ihrer Vision wusste sie, dass dies das Werk der Pseudonyme gewesen war.
Bei dem Skelett lagen mehrere Beutel und Gefäße. Zu ihrer Überraschung waren einige Glasgefäße darunter, alle noch intakt. In einem runden Glasgefäß fand sie leuchtenden Feenstaub. In zwei länglichen Glasröhren fand sich gut verschlossen eine klare Flüssigkeit. Das eine Gefäß war blau markiert und mit einem alten Symbol für böse Geister, das andere mit einem Symbol für freundliche Geister. Die Tränen des verseuchten und des gesunden Pseudonyms!
Prismin konnte ihr Glück kaum fassen. Da hatte sie alles verloren gehabt – und nun fand sie hier so viele Zutaten!
In einer weiteren, runden Glaskugel fand sie feine Asche. Maskenrauch, dachte sie bei sich. Auch er war ein Sucher gewesen – es gab keinen anderen Grund, feine Asche mit sich zu tragen. Ein Stück Vulkangestein fand Prismin ebenfalls, doch vor lauter Freude berührte sie es, bevor sie daran dachte, dass es von keinem Menschen berührt werden sollte. Kurz machte sie sich Sorgen – doch sie hatte ja noch ihr eigenes Gestein!
Etwas abseits in den Blaubeersträuchern fand Prismin schließlich auch das letzte, wonach sie gesucht hatte. Verwittert, alt und mit tiefen Rissen lag dort eine blaue, lachende Maske.
Prismin wandte ihre Schritte weg vom Gebirge, den Vulkanen zu. Um Masquera würde sie einen großen Bogen machen, ebenso um alle Menschen, die ihr begegnen könnten. Sie wollte auf keinen Fall einem Pseudonym begegnen!