„Du hast die Entscheidung des Rates gehört. Es ist unmöglich!“
In der Abenddämmerung streiften Gerbot und Radfire durch die menschenleeren Gassen der Stadt. Steelside war ein Ort, der seinen Namen verdiente, ein Mikrokosmos aus Stahl. Hier gab es alles, was es zum Überleben der Menschheit gebraucht hatte. Das oberste Prinzip dieser stadtgewordenen Fabrik war es, die Außenwelt fernzuhalten. Als die beiden Brüder geboren wurden, gab es bereits niemanden mehr, der mit eigenen Augen gesehen hatte, was dort draußen geschah. Alles was blieb waren fremde Erinnerungen, die mit der Zeit von Mythen und Legenden nicht mehr zu unterscheiden waren. Je weiter dieser jüngste Tag in der Vergangenheit lag, desto wilder wurde spekuliert, was es in Wahrheit gewesen sei, das die letzten Überlebenden dazu verleitete, diesen gewaltigen Zufluchtsort aus der nackten Erde wachsen zu lassen.
Gerbot interessierte das kaum. Was er wissen wollte, war in seinen Augen viel relevanter: Was war heute dort draußen? Er blickte auf die riesige stählerne Mauer, welche die gesamte Stadt kreisförmig einschloss. Es war ihm unmöglich festzustellen, wo ihr kaltes, trauriges Grau in das dunkle Orange des Abendhimmels überging. Die Existenz des Schutzwalls war für alle Bewohner der Stadt eine natürliche Konstante. Sein Anblick war omnipräsent, er garantierte die Sicherheit der Menschen. Einige der religiöseren Einwohner Steelsides hatten sogar einen Kult gegründet, der den Wall als sein Heiligtum betrachtete und seine Erbauer zu Ikonen erhob. Für Gerbot waren das alles hoffnungslose Spinner. Ja, möglicherweise war es der Schutzwall, der ein Überleben der Menschheit überhaupt noch ermöglichte, aber möglicherweise verbarg sich die Welt, in der es sich wirklich zu leben lohnte, hinter seinem metallenen Körper.
„Der Rat kann mich kreuzweise“, sagte Gerbot und ließ seiner Verachtung für dieses verknöcherte, kaum legitimierte Staatsorgan freien Lauf. „Es gibt ein Tor. Also ist es möglich, es zu öffnen. Also werde ich – werden wir – es öffnen. Ich bin es leid zu warten. Wenn diese uralten Sturköpfe die Chance auf eine lebenswertere Zukunft wegwerfen wollen, müssen wir uns eben selbst helfen. Bist du bereit, mit mir zu kommen, Bruder?“
„Wohin auch immer du gehst, Bruder.“
Der Entschluss war gefasst. Das größte Abenteuer ihres Lebens lag nun vor ihnen.