Nach dem Prompt „Sommersteinpilz / Bärengedenktag“ der Gruppe „Crikey!“
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»Wo die weisen Bären gehen,
hoch droben, wo die Winde wehen,
der Berg aus Tannenwipfeln bricht,
dort in des langen Tages Licht,
liegt ein Geheimnis gut verborgen,
ruht still wie Nacht weit vor dem Morgen,
doch wagst du dich empor, mein Kind,
verrät es dir der Sommerwind.
Ist man erst dort, so will man meinen,
ein Wunder müsst' weitaus größer erscheinen.
Sie sind von unscheinbarer Gestalt,
doch die Pilze sind mächtig, klug und uralt.
Und denkst du sie wachsen allerorten,
so sind sie nicht grundlos als heilig erkoren.
Kein Pilz gleicht jenen hoch auf dem Berg.
Nur ein kleiner Bissen, dann siehst du ihr Werk.
Bete, Kind, bitte um ihre Gaben,
sie erlauben, dass reine Herzen sich laben.
Dann tanzen Farben so hell durch die Nacht,
erglühen in all des Regenbogens Pracht,
Es entstehen dann mit schillernden Schwingen
Gestalten aus Licht und Luft, es erklingen
die zartesten Lieder wie Feengesang.
Sie durchtanzen die Luft, zieh'n dich in den Bann.
Sieh ihnen nur zu, und du wirst erkennen
Schiffe und Dörfer, kannst sie benennen.
Familien siehst du, glücklich vereint,
und Gesichter lachen, nicht eines weint.
Kein Schwert wird aus der Scheide gezogen,
es wird nicht bedroht, beschimpft, gelogen.
Denn jene Welt ist zum Frieden bereit,
das ist's, was die Bärentatze dir zeigt.
Verblasst die Vision, dann musst du bald gehen,
hinab, wo nur grausame Winde wehen.
Das Leid, das dort wartet, zerbreche dich nicht,
bewahre dir des Pilzzaubers Licht.
Dies ist uns're Ehre und unsere Bürde,
kein Schamane sie leichtherzig aufnehmen würde.
Dein Los ist das Streben nach Seifenwelttraum.
Doch erreichen wirst du ihn im Leben kaum.«
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Auf dem Archipel von Vinpalla, auf der Insel Edden, wächst eine besondere Unterart der Steinpilze. Diese haben eine bräunliche Zeichnung auf dem Schirm, einen Kreis mit abgehenden Strahlen, welcher von oben an eine Sonne, von der Seite aufgrund der Form der Strahlen jedoch mehr an eine Bärentatze erinnert - was den Namen des Pilzes inspirierte: 'Bärentatze' oder 'Sonnenpilze'.
Diese Pilze haben die Eigenschaft, dass ihr Saft, gekocht und getrunken, zu intensiven Visionen führt, welche eine bessere Version der Realität darstellen, in Form von schillernden Blasen, in deren Innerem winzige Gestalten, sogar ganze Städte gespiegelt werden, die wirklich existierenden Personen gleichen - sogar welchen, die der Trinker vorher gar nicht kannte! Sie scheinen unterbewusstes Wissen freizusetzen, denn Erkenntnisse aus diesen Visionen können genutzt werden, um reale Konflikte zu schlichten, indem man den Eingebungen folgt. So gibt es Berichte, dass Prozesse über Diebstahl zu einem guten Ende gebracht werden konnten, weil ein Druide durch den Trank darauf kam, einen wichtigen Zeugen zu suchen, dessen Existenz zuvor gar nicht bekannt war. Aus den Visionen ging auch oft hervor, mit welcher Bezahlung der Groll eines Betrogenen getilgt werden konnte.
Darum gehören die rituellen Tränke des Pilzes zur Ausbildung als Druide. Die Anwärter steigen im Sommer, wenn die Sonne kaum untergeht, hinauf und bereiten sich das Getränk zu, um die erste Vision zu erhalten.
Trotz aller positiven Wirkungen wird der 'Bärentrank' nur selten genutzt. Einerseits ist die Population der Pilze gering, jedoch ist es für die Druiden auch eine schwere Bürde, eine bessere Version der Welt zu kennen, da diese für sie größtenteils ein unerreichbarer Wunschtraum bleiben wird. Viele Erdwesen sind nicht zu den Kompromissen bereit, die für die Erfüllung der Visionen nötig wären, und ein Druide kann sie nicht alle überzeugen.