Gleißend helles Licht breitete sich explosionsartig aus.
Nichts war zu erkennen. Die Schatten waren auf die Kristallrose niedergedroschen und die Rose hatte sich ihnen unbeirrt entgegengestreckt. Sie war ebenso bereit alles herzugeben.
So plötzlich wie das Licht aufgekommen war, so war es auch wieder verschwunden. Angespannte Stille legte sich über das Land. Unvermittelt ertönte ein knackendes Geräusch. Als das Licht verebbt war, hatten sich Reste der Schatten schützend in Ritzen und Lücken versteckt. Die Kristallrose stand augenscheinlich an Ort und Stelle, als wäre nichts geschehen. Allein die Anspannung des Aufeinanderschlagens der Mächte lag noch in der Luft...
Doch dann knackte es erneut. Ein riesiger Riss zog sich mit einem Mal durch die Kristalle der Rose, bröckelte gefährlich und breitete sich zuckend wie ein Blitz aus. Und dann geschah es. Binnen weniger Sekunden zerbrach die Kristallrose. In tausend kleine Scherben zerfiel sie und sogleich erlosch ihr regenbogenfarbenes Licht. Ein Wind wehte von der einstigen Rose fort, als würde sie ein letztes Mal aufatmen, ehe auch sie verstarb.
Kurz blieb es auf Calysso still, nahezu friedlich. Dann huschten die Schatten zaghaft sowie verblüfft wispernd herbei. Hatten sie es tatsächlich geschafft? Ein vorderer Schatten zuckte mit einem Mal zurück. Sofort hielten alle anderen inne. Dann, ganz vorsichtig und behutsam, tastete sich der Schatten erneut vor. Da lag etwas. Dort, wo einst die Kristallrose stolz gestanden hatte, lag ein kleines Wesen zwischen den verblassten Scherben.
Und da war es dann wieder. Ein seichtes Licht voller Wärme und Farben.
Entsetzt und zugleich fasziniert richteten sich die Schatten auf und beugten sich weit in den Himmel ragend über das Wesen. Eine kleine Funken-Fee lag auf dem dunklen Erdboden. Sie schien zu schlafen. Kurz hielt der vordere Schatten inne, dann stupste er sanft die kleine Fee an. Sofort zuckten er und seine Brüder ein Stück zurück.
Doch anstatt den Schatten zu verletzen, rekelte sich die kleine Fee nur.
Allmählich erwachte sie aus ihrem Schlaf und streckte sich schließlich gähnend, dann schlug sie die Augen auf. Zunächst nahm sie die Schatten nur verschwommen wahr und musste mehrmals blinzeln. Dann blickte sie ihren Mitbewohnern voller Neugierde entgegen.
Die Schatten waren aber nach wie vor unsicher und wichen zurück, als die kleine Fee mit wackelnden Beinen aufstand. Doch dies entging ihr nicht und so versuchte sie zu den Schatten zu gehen. Aber die waren schneller. Also versuchte die Fee es erneut, aber wieder waren die Schatten schneller und ließen den Funken Licht nicht an sich heran.
Enttäuscht ließ die kleine Funken-Fee die Flügel hängen.
Dabei bemerkte sie jene zum ersten Mal. Fasziniert musterte sie die zwei Gebilde an ihrem Rücken, sie waren fein und zart – und vor allem waren sie aus Kristallen geschaffen.
Unsicher bewegte die junge Ekyria ihre dezent transparenten Schwingen. Sie kamen ihr seltsam schwer und unbeweglich vor. Verwirrt runzelte die junge Fee die Stirn und musterte ihre Flügel genauer. Etwas war anders.
Da schnappte Ekyria fasziniert nach Luft. Dunkle Musterungen zierten ihre Schwingen und prägten feine Muster in die farbenfrohen Kristalle.
Ekyrias Herz machte vor Freude einen Sprung – sie fand den Anblick wunderschön.
Das mittlerweile neugierige Gewisper seitens der Schatten, zog schließlich Ekyrias Aufmerksamkeit auf sich. Entschlossen stapfte sie zum erneuten Male auf die finsteren Bewohner zu – welche sofort Reißaus nahmen. Mit der kleinen Fee überfordert zogen sich die Schatten auf die Kronen der Bäume und zwischen die Ritzen der Felsen zurück. Empört schnaubte die Funken-Fee auf. Sie wollte doch nur diese interessanten Gestalten kennenlernen! Voller Empörung und Entschlossenheit setzte sich Ekyria demonstrativ im Schneidersitz hin. Wenn sie nicht auf die anderen zukommen könnte, dann müssten die eben früher oder später zu ihr kommen! Hoffte sie zumindest.
Aber die Schatten sahen das ganz anders!
Früher oder später – wann sollte das schon sein? Für sie gab es die Zeit weiterhin nicht. Es gab nur die Aufgabe, die alte Welt Calysso im Finsteren zu behalten und wenn da eine trotzige Funken-Fee ein Fleckchen mit Licht bedeckte, dann sei es eben so. Unbeeindruckt verharrten also die Schatten an Ort und Stelle. Und allmählich begannen Ekyrias Beine zu Schmerzen.
Nach einer Weile gab die Fee schließlich nach.
Aufstöhnend streckte sie die Beine aus und seufzte erleichtert, als sie sich auf den Rücken legte – was sich mit den Flügeln zunächst als gar nicht so leicht herausstellte. Aber letzten Endes lag Ekyria auf dem harten Boden und blickte mit den Armen unterm Kopf gen undurchschaubarer Dunkelheit. Was dort oben wohl war?
Je länger Ekyria gen Himmel blickte, umso mehr Fragen stellten sich ihr.
Was war dort oben? War es überhaupt oben oder war sie oben und "oben" in Wahrheit unten? Warum wollten die Schatten nichts mit ihr zu tun haben? Und warum sahen die Schatten alle gleich aus und nur sie, Ekyria, war ganz anders? Was war Ekyria eigentlich und warum fühlte sie sich mit einem Mal so ... leer?
Eine Veränderung über Ekyria, ließ all ihre Gedanken mit einem Mal erstarren. Wie gebannt starrte die kleine Fee mit weit geöffneten Augen nach oben. Da spiegelte sich etwas funkelnd in Eykrias dunklen Augen.
Ein fahler Schein des Mondes war für einen Bruchteil der Sekunde durch die dunkle Decke gefallen und hatte in der Funken-Fee unvermittelt etwas ausgelöst.
Mit einem Satz war Eykria plötzlich auf ihren kleinen Füßen.
Weshalb wusste sie selber nicht, aber Adrenalin schoss durch ihre Adern und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sie wollte etwas tun. Sie musste etwas tun! Ekyria mochte den Blick gar nicht mehr abwenden und spähte angestrengt mit hoffnungsvollem Herzen nach einem weiteren Schein dieses ihr ähnelnden Lichts. Doch es kam kein weiterer Strahl Mondlicht.
Empört stapfte die Fee auf, dann wirbelte sie umher und preschte los.
Es flüsterte, es raschelte – ja es fauchten glatt die Schatten, während sie der wie wild gewordenen Funken-Fee auswichen. Unbeirrt rannte jene weiter. Sie wollte nach dort oben! Also musste sie höher steigen.
Nahezu entsetzt beobachten die Schatten, wie diese fragile Fee von nur wenigen Stunden Alter sich unvorsichtig an großen Felsen hoch kämpfte.
Zur Mondgöttin! – Sie würde sich noch das Genick brechen! Doch von all den Gefahren wollte Ekyria nichts wissen. Entschlossen kletterte sie immer weiter und konzentrierte sich darauf die höchsten Felsen zu erreichen.
Schließlich ließ sich die Fee erschöpft auf der Spitze eines Felsens auf die Knie fallen. Ihre kurzen Beine waren sicher nicht für solch einen Marsch geeignet. Während ihrer Verschnaufpause, fiel Ekyrias Blick auf ihre Flügel und ihr ging ein Licht auf. Möglichst entschlossen, wenn auch mit einem mulmigen Gefühl, stellte sich die junge Fee an den Rand des Felses. Sie war durchaus ein gutes Stück weit hochgekommen, ein Sturz würde nun lebensgefährlich sein.
Unsicher trat Ekyria einen Schritt zurück und atmete tief durch, dann breitete sie so gut sie könnte die kristallenen Flügel aus. Ungläubig verfolgten die Schatten dies und versammelten sich mit gemischten Gefühlen am Fuße der Felsen. Sie wollte doch nicht etwa springen?
Aber genau das wollte Eykria! Nach einem letzten Atemzug zum Mut fassen, ging sie ein paar Schritte zurück, spannte ihre Muskeln an und preschte dann nach vorne! Mit möglichst viel Kraft drückte sie sich vom Fels ab. Erschrocken zischten die Schatten – ihnen gefiel das gar nicht! Doch Ekyria wollte unbedingt zum Licht.
Im freien Fall versuchte sie mit den Flügeln zu flattern.
Sie strengte sich an so gut sie könnte! Doch ihre ungeübten Kristallflügel konnten mit ihrem Übermut nicht mithalten! Und so fiel sie. Direkt gen harten Boden und Dunkelheit. Zwischen dem Rauschen vom Wind ihres Falles konnte Ekyria dumpf das Zischen und flüstern der beunruhigten Schatten vernehmen.
Und zum aller ersten Mal ihres viel zu kurzen Lebens bekam Ekyria Angst. Sie fühlte sich leer und gleichzeitig voller Panik, als wäre ihr heiß und kalt zugleich. Und so viel sie einfach weiter, von der Angst paralysiert konnte sie sich nicht mehr rühren. So schloss Ekyria die Augen und wartete mit vor Angst schlagendem Herzen auf den schmerzvollen Aufprall ...