Drehen wir die Uhr vierzig Jahre zurück. 1980 nannte sich dieses Jahr der Spaziergänge. Natürlich dachte ich zu der Zeit gerne an einen Spaziergang im Grünen mit meiner Freundin. Aber! Träume entsprechen nicht immer der Realität. Zwei Jahre zuvor wurde ich gemustert und für tauglich befunden. Junge Männer mussten dann zu einer Organisation, die viele Spaziergänge im Grünen machte und zu diesem Zweck auch olivgrüne Kleidung an die Wehrpflichtigen ausgab. Manche nannten diese Organisation "Trachtengruppe Oliv" und andere "Den Ernst des Lebens". Ich hatte dort gewisse Anpassungsschwierigkeiten, die auch manchen tieferen Eindruck hinterließ.
Nein, nicht die Sparziergänge im Grünen waren das Problem, sondern die zwanghaften Wohngemeinschaften mit mir unbekannten Wesen. Zumeist waren die anderen jungen Männer recht kräftig, was in so einer Einheit gewisse Vorteile brachte, sie waren zumeist recht trinkfreudig und sprachen eine mir wenig vertraute Sprache. Trotz strengster Ermahnungen von unseren Vorgesetzten, meldeten sich bereits am ersten Abend sechs oder sieben Jungmänner zu einer Strafeinheit nach dem sie bedingt durch zu viel Bier, einen verbalen Zwist später dann mit Fäusten austrugen und eigentlich robust gebaute Schränke und Betten demolierten. Ich kam von der Penne und ahnte nicht, dass es mehr als ein Abenteuer werden würde.
Unser Halbgott, ein Hauptfeldwebel hatte den Ruf ein routinierter Schleifer zu sein, der einen gewissen Hang zur Härte, Disziplin und einer unzureichenden Wortauswahl besaß. Pissfresse, Arsch und Warmduscher waren freundliche und eher liebevolle Ausdrücke. Aber er konnte eben auch extrem ungehalten werden, wenn ihm Rotärsche (frische Wehrpflichtige) nicht den rechten Respekt zollten, Scheiße bauten oder seiner Meinung nach auffällig waren. Aber neben all dieser Härte war dieser Mann extrem ehrlich und stand zu seinem Wort. Alle, die auf seinen speziellen Spaziergängen durch das Grün, das Kriechen durch Tunnel, die mit reichlich Dreck und unangenehm duftenden Flüssigkeiten gefüllt waren und den Spaziergängen mit Gepäck keinerlei Schwächen zeigten durften Donnerstags gegen 17:00 Uhr, die Kaserne verlassen und die restlichen Kameraden durften den Freitag und noch manchen Samstag die Spinte auf Hochglanz polieren, kleinere Ausflüge in die Natur machen und eben nicht zu ihren Freundinnen reisen.
Schon damals waren in den ersten Wochen längere Märsche unzulässig. Das hielt unseren Halbgott jedoch nicht davon ab, diese durchzuführen. Natürlich durften wir nach drei Tagen den ersten längeren Ausflug in die Botanik machen. Zunächst acht Kilometer Spaziergang zum Übungsplatz. Dort angekommen, wurde einem ein leckeres Getränk gereicht, also Quensch mit Salz. Es war zu dieser Zeit nicht einmal halb Neun. Dort angekommen übten wir das Pionierballtet, also das Tarnen und Eingraben in den feuchten Waldboden. Hey, das hat Spaß gemacht. Danach wurde eine Runde gelaufen über den liebevoll gestalteten Hindernisparkour. Nein, es ist nicht zu verwechseln mit dieser modernen Sportart in fescher Kleidung, sondern eher ein wenig rustikaler. Also rein ins Schlammloch, kriechen, robben, klettern, hangeln, wieder klettern, wieder Schlammlochtunnel und dann die Mutprobe, also ein Sprung über eine Z-Drahtrolle in den Dreck dahinter hinein. Wer dies nicht wagte, bekam halt Abzüge in der Haltungsnote und durfte an Freitag die Liebe des Hauptfeldwebels zu winzigsten Details kennen lernen.
Aber nach diesen ersten zarten Übungen gab es eine kurze Mittagspause, in der einem liebevoll das Mittagessen in das Feldessgeschirr kredenzt wurde. Zumeist eine deftiger Eintopf mit Würstchen. Alle, die es wagten zum Sani zu gehen, weil sie Blasen oder sonstige Kleinigkeiten plagten übernahmen damit mehr oder minder freiwillig den Dienst in den Nasszellen des Militärs, die gerade nach solchen Tagesausflügen immer übermäßig dreckig waren.
Kurz nach dem Dinner folgten sämtliche militärischen Fortbewegungsarten im Gelände, also durch Dreck krabbeln, dem Erklimmen eines Baumstammes mit behelfsmäßiger Ausrüstung, und dem obligatorischen Versteckspielen im Dreck. Im Anschluss wurde noch einmal ein kleiner Wettkampf veranstaltet, der natürlich über den Parkour führte. Gegen 15:00 Uhr wurde das Gepäck aufgenommen und wir wanderten mit kleinen Umwegen zurück zu unseren wenig liebevoll gestalteten Schlafstätten. Natürlich auf Zeit! Zehn Kilometer in neunzig Minuten. Nette Menschen mit Schulterklappen brüllten zwischendurch immer wieder Fliegeralarm und all so einen Blödsinn. Natürlich nur an Stellen, die weder eben noch trocken waren. In der Kaserne angekommen, gab es zehn Minuten Duschzeit und danach wurden die Bräute (damals das G 3) der Soldaten geputzt, bis sie wieder glänzten, wie fabrikfrische Ware. Diese netten Herren, die zuvor dafür gesorgt hatten, dass diese Gewehre dreckig wurden, inspizierten diese nach den Spaziergängen gründlich und mit viel Raffinesse. Mit ein wenig Übung bekam man es recht gut hin, aber andere Teilnehmer hatten halt nicht so viel Glück. Sie putzten lange, bis weder Flugrost noch zu viel Öl die Waffen zierten. Erst danach durfte man in sauberer Montur das Abendbrot in der Kantine genießen.
Nein, es gab dort keine netten Kellner, sondern lange Schlangen vor der Essensausgabe, um sich Brot, Wurst und Käse auf einen Teller zu werfen, dazu einen Apfel und an Glückstagen gab es auch mal was Leckeres. Danach Kleiderappell - und wehe, die Stiefel glänzten nicht wie ungetragene Schuhe im Schuhgeschäft. Kannte man die Tricks, dann war es nicht so arg. Aber einige junge Männer dachten, die Vorgesetzten würden nicht den letzten Krümel der Botanik finden. Nein, sie fanden immer etwas, außer, man hatte sich zuvor für etwa 20 DM ein Paar Ersatzstiefel in einem Militärladen gekauft. Abends wurde dann in gemütlicher Runde gelernt, das Berichtsheft geführt und auch schon mal eine Gerstenkaltschale genossen. Dieses Ausflüge in die Natur wiederholten sich jede Woche und wurden stetig im Schwierigkeitsgrad gesteigert. Später, also in der Stammeinheit machten wir weitere Ausflüge, an einem Tag 55 Kilometer und am nächsten Tag zurück, natürlich auf den eigenen Füßen.
Ich gebe es zu, ich bin ein Warmduscher, ein Weichei und kein Freund von diesen militärischen Spaziergängen im Grünen gewesen. Zumal diese angeblichen Halbgötter, die einem jederzeit das Wochenende versauen konnten, oftmals recht abnorme Ausdrücke für Menschen erfanden, die nicht den größten inneren Drang verspürten, Freude für diese Art der Ausbildung zu empfinden. Ich war froh, als die Grundausbildung oder der Fick ein Ende hatte. Noch ahnte ich nicht, was mich später erwarten würde.
Nein so schlimm wie in diesem Film war es nicht: https://www.youtube.com/watch?v=XRkyKYz5SYM
Dennoch, es gab auch mehrere Selbstmord und die Erniedrigung von Menschen während meiner Dienstzeit. Spaziergänge im Grünen erinnern mich immer wieder an diese merkwürdige Zeit, als man glaubte die Russen würden jeden Moment Deutschland überfallen. Man wurde gedrillt, bis man manchen Wahnsinn wirklich glaubte.
Erst später wurde mir bewusst, was das Wort Drill bedeutet. In den militärischen Gebetsbuch ZDV 3/11 steht es sogar. "Der Soldat soll an die Grenzen der physischen und psychischen Belastbarkeit herangeführt werden. Wie fremdartig wirken dann Bücher, wie: Ich bin dann mal weg von Harpe Kerkeling. Dort wandern Menschen friedlich durch die Natur.