An einem warmen Sommertag fängt diese Geschichte an. Ich und Christian haben gerade das Abitur bestanden und erhalten als Geschenk von unseren Eltern eine Reise nach Paris. Am zweiten Tag in dieser lebendigen Stadt sind wir im Warenhaus Lafayette und schlendern im Lichtermeer des Konsums. In der Parfümerieabteilung mit einem durchdringlichen Rosenduft in der Luft erspähen wir zwei junge hübsche Damen. Christian stößt mich mit dem Ellenbogen und sagt aufgeregt: „Hey, hast du die zwei Frauen dort gesehen? Du kannst perfekt Französisch. Wetten, dass du sie nicht anquatschst!“ Dies stachelt mich an und ich versuche, auf Französisch mit der schwarzhaarigen Halbinderin zu sprechen. Mir fällt nichts Schlaueres ein, als sie zu fragen, ob sie mit uns Tee trinken wollen. Wie müssen wir lachen, als sie antwortet, dass sie nur Deutsch spricht. Aber dieser einfache Satz ermöglicht uns, beide Frauen näher kennenzulernen und für ein Abendessen abzumachen.
Am Abend treffen wir uns beim „Pont Neuf“. Ich werde mit der dunkelhaarigen Halbinderin Esther schlemmen gehen und Christian mit der blonden Sabine, je in ein separates Restaurant. Im Lokal zündet der Kellner den Docht der weißen Kerze an und es wird ein wunderschöner und romantischer Abend. Wir erzählen uns gegenseitig von unserer Jugend und den letzten Jahren in der Schule. Ich streichle ihr zärtlich über den Handrücken. So geht die Zeit blitzschnell vorbei. Ich habe mich in sie verliebt, da sie sympathisch ist und anders als die Mädchen, die ich kenne. Als wir unsere Adressen austauschen, wird mir nochmals bewusst, wie schwierig diese Beziehung sein wird. Sie wohnt im hohen Norden in Hamburg. Es trennen uns über 1000 km! Mal sehen, was daraus wird. Zum Abschied küssen wir uns intensiv und versprechen, uns so rasch wie möglich zu schreiben.
Ich nehme die Metro, es ist bereits kurz vor Mitternacht. Meine Gedanken sind immer noch bei diesen tiefen Liebesgefühlen. Ich bin einerseits glücklich, aber andererseits traurig bei der Aussicht, wie lange es gehen wird, bis ich sie wieder sehe. Dabei kullern ein paar Tränen hinunter. Bei der Station in der Nähe meines Hotels steige ich als einziger aus. Ich laufe etwas verunsichert durch die gespenstische Anlage. Weiter oben sitzen zwei Schwarze. Ein Clochard schläft liegend auf der unbequemen Sitzbank. Auf der Höhe der beiden Schwarzen stehen diese zackig auf. Sie rufen auf Französisch: „Hé, stop, arrête-toi mon petit!“ Der eine zückt ein Messer aus der Tasche und fuchtelt damit herum und will mein Geld und meine Wertsachen. Meinen goldenen Ring wollen sie auch. Da sage ich etwas frech: „C’est du toque“, er sei also unecht. Sie glauben mir dies und geben sich mit meinem Bargeld zufrieden. Ich erhalte noch einen Fußtritt in den Hintern mit dem Befehl: „Fous le camp“, also hau ab. Am ganzen Körper zitternd begebe ich zum Ende des Metroganges. Der Weg ist mit einem Eisengittertor mit einem riesigen Vorhängeschloss verbarrikadiert. So bin ich gezwungen umzukehren und laufe wieder in Richtung meiner Peiniger. Kurz vorher kann ich einen Quergang nehmen und eile zitternd zum Ausgang. An der frischen Luft bin ich komplett desorientiert und frage die nächste Person nach dem Weg. Es ist eine ältere hässliche Frau, die mir sagt: „Si tu couches avec moi, je te montre le chemin“. Also es ist eine Prostituierte, die mir den Weg zeigen will, aber nur, wenn ich mit ihr schlafe! Ich bin entsetzt und flüchte. Mit viel Mühe finde ich in diesem verwirrten Zustand das Hotel.
Im Hotelzimmer angekommen stelle ich fest, dass Christian nicht da ist. Da meine Geldbörse leer ist, will ich diese auffüllen. Rasch tippe ich den Code an der Tastatur vom Minisafe ein. Darauf erhalte ich umgehend in roter Farbe die Meldung „E r r o r“ begleitet von einem durchdringenden unangenehmen Piepton. Beim zweiten Versuch wiederum die gleiche Anzeige. Mir kommt es so vor, als ob die Farbe blutroter leuchtet und das Piepsen schriller ist. Ich habe ein komplettes Blackout. Keinesfalls will ich aufgeben und versuche es ein letztes Mal. Das Piepsen und die Meldung bewirken, dass meine Nerven blank liegen. Entnervt werfe ich sprichwörtlich das Handtuch, entkleide mich und gehe ins Bett. Wenig später kommt Christian. Er scheint glücklich zu sein. Ich frage ihn nach dem Code für das Stahlfach. Er antwortet relativ gleichgültig, dass er diesen nicht kenne, da er ja nichts darin habe. Er fügt noch an, dass sein Abend wunderschön war. Morgen würde er mir den Rest erzählen.
Ich probiere zu schlafen. Relativ bald träume ich, wie ich vor einem riesigen Banksafe stehe. Dort versuche ich, den Code zu knacken. Die Eingabe ist falsch. Die Buchstaben prasseln vom Himmel hinunter: ein „E“ gefolgt von zwei dunkelroten „R“, ein scharlachrotes „O“ und ein drittes rostrotes „R“. Diese erschlagen mich fast. Anschließend verschwinden sie wieder am Horizont und verfehlen mich dabei nur knapp. Währenddessen schrillt die Alarmglocke ohrenbetäubend. Ich bin gelähmt in Kauerstellung und bleich vor Angst. Dabei halte ich mir mit beiden Händen die Ohren zu. Mein halbes Leben spult sich vor meinen Augen ab wie ein alter schwarz-weiß Film. Zwei Polizisten in blauen Uniformen stürmen den Raum und sagen: „Jeune homme, ceci était une grande erreur!“ Die Handschellen klicken. Vor meinen Augen sehe ich das Wort „Error“, dass sich vor lachen verbiegt.
Am nächsten Tag erwache ich komplett gerädert. Die Erlebnisse vom letzten Abend waren zu viel: meine allererste Liebe, der Überfall, die abscheuliche Prostituierte und der Banksafe, der sich partout nicht öffnen ließ. Ich stehe auf und versuche es wieder. Wie zu erwarten ist, erscheint in hellroter Farbe „E r r o r“. Ich bin den Tränen nahe. Wir müssen heute heimreisen und mein Pass ist im Safe. Christian ist ganz entspannt im Bad und putzt sich gut gelaunt die Zähne. Ich denke okay, mache ich dies auch. Beim Anblick der Kölnischwasser Flasche und der Zahlenprägung 4711 fällt mir siedend heiß der Code wieder ein. Am Tresor tippe ich rasch die folgende Zahlenfolge: „0“, „0“, „4“, „7“, „1“ und „1“. Mit einem erlösenden Pfeifton öffnet sich der Safe und ich bin überglücklich. Nun kann nichts mehr schiefgehen!