Ich bin kein normaler Passagier. Ich leide an einer extremen Flugangst, auch Aerophobie genannt. Ihr werdet fragen, wie sich dies äußert. Klar wahrnehmbar ist Herzrasen, feuchte Hände, Atemnot und Schwindel. Während mehrerer Jahre vermied ich jegliche Flugreisen. Vermutlich hängen die Symptome mit einem totalen Kontrollverlust zusammen. Obwohl Fliegen als sicherer gilt als z. B. Autofahren.
An diesem Tag musste ich geschäftlich nach New York. Von Berlin aus, war dies nur mit dem Flugzeug zu bewerkstelligen. Mein Arbeitgeber hatte für mich ein Ticket in der Businessklasse gebucht. Dies war gegenüber der Holzklasse eine deutliche Verbesserung. Mein Sitzplatz war am Gang und so hatte ich zusätzlich noch mehr Beinfreiheit. Ich saß nun an meinem Platz und versuchte, mich mit langsamem ein- und ausatmen zu beruhigen. Mein Puls raste, obwohl wir immer noch bewegungslos auf der Startpiste standen.
Mittlerweile fütterte der Co-Pilot, Hans Müller, im Cockpit diszipliniert den Bordcomputer mit den aktuellen Flugrouten und weiteren Daten. Da er nicht so routiniert ist auf dem Flugzeugtyp „Boeing 777“, muss er ständig die Checklisten auf seinem iPad abrufen. Aufmerksam und geduldig ging er Punkt für Punkt durch. Der erste Kontrollpunkt ist die Funktionskontrolle der Leuchten im Cockpit, dann Überprüfung der Anzeigen auf Plausibilität und drücken einer Fehlkombination zwecks Erzeugung einer „Error Meldung“. Auch dies funktionierte einwandfrei. Nach einer weiteren Viertelstunde ist der Co-Pilot beim letzten Kontrollpunkt angelangt. Alles schien in bester Ordnung zu sein.
Der Kapitän auf diesem Flug ist Fritz Meyer. Er gilt als ruppiger und kurz angebundener Typ Mensch. Mal sehen, wie der Flug mit ihm wird. Hans stieg aus dem Flugzeug aus und lief zum Kapitän hinüber. Dort fragte er: „Ist bei dir auch alles in Ordnung?“ Dieser antwortete: „So weit sieht alles gut aus. Am Rumpf hat das Flugzeug einige Kratzer. Aber nichts Gravierendes, was uns vom Abheben abhalten würde. Und bei dir?“ „Alles bestens!“, erwiderte Hans. Sie begaben sich zurück an ihre Plätze und führten das obligatorische Briefing durch. Fritz informierte Hans darüber, dass er heute den Start leiten würde. Ausgerechnet unter seiner Beobachtung den Abflug durchzuführen, waren deutlich erschwerte Bedingungen. Die Flugzulassung sollte keinesfalls verloren gehen. Fritz machte die Durchsage an die Fluggäste: „Liebe Passagiere, in wenigen Augenblicken werden wir die Starterlaubnis erhalten und werden danach starten. Unser Flug nach New York wird 7 Stunden und 55 Minuten dauern, je nach Windunterstützung sogar kürzer. Wir bitten Sie, sich anzuschnallen und angegurtet zu bleiben, bis das entsprechende Zeichen erlischt. Die Flugbegleiter werden jetzt mit der Demonstration der obligatorischen Sicherheitsanweisungen beginnen. Ich wünsche ihnen einen guten Flug. Danke, dass ihr unsere Fluggesellschaft gewählt habt“.
Die Durchführung der Sicherheitsanweisungen ist für mich immer ein schwieriger Moment. Diese wird auch ihre Gründe haben und ich fühlte mich wieder unwohl. Meine Hände waren schweißnass. Ich vergewisserte mich, dass die Sauerstoffmaske ordnungsgemäß verstaut war. Der Pilot startete das Luftschiff. Durch die dröhnenden Triebwerke ging ein Zittern durch den ganzen Rumpf des Fliegers. Ich spürte einen Druck auf meinen Ohren. Aber dies ging relativ schnell vorbei. Auf den Bildschirmen konnte ich die Flughöhe in Echtzeit mitverfolgen und diese stieg rasant an. Beim Hinausschauen aus dem ovalen Fenster wurde mir noch mehr bewusst, wie groß die Steigrate war. Die Landschaft wurde immer kleiner und sah bald so aus wie im Miniaturland.
Hans war nach der Anspannung des Starts unter den Achseln nass und er wischte sich den perlenden Schweiß von der Stirn. Soweit war alles gut gegangen. Der Captain hatte anerkennend genickt. Er schien äußerst zufrieden zu sein und fügte an: „Du kannst am Ziel auch noch die Landung leiten!“ Der Flug verlief ereignislos.
Nach rund einer Stunde ertönte ein Piepsen und das rechte Triebwerk zeigte eine „Errormeldung“. Beim Kapitän bildeten sich dicke Schweißperlen auf der Stirn und er rief lauthals: „Das gibt es doch nicht. Das kann nicht stimmen! Kannst du dies nachschlagen?“ „Ja, mache ich sofort. Das iPad meldet, bei einem Triebwerksausfall sei die Taste mehrmals zu drücken. Bei Fortbestehen des Problems sei das Triebwerk ganz auszuschalten. Fritz, ich glaube, dass Triebwerk ist hin. Wir müssen eine Landung einplanen“. Fritz antwortet genervt: „Wir sind etwa 80 Flugmeilen vom nächsten Flughafen entfernt. Bitte melde unser Bedürfnis dort bereits an.“ „Flugtower von London Heathrow, bitte melden! Hier spricht der Co-Pilot von Flug AA sieben, zwei, drei, fünf.“ „Verstanden, antworten!“, ertönt es vom Tower in englischer Sprache. „Verstanden, wir kämpfen mit einem Triebwerksausfall und erbitten Notlandung in Heathrow.“ „Verstanden, sind besondere Vorkehrungen zu treffen?“ „So weit sieht alles noch gut aus, würde jedoch die Sicherheitsvorkehrungen der Stufe 1 empfehlen.“ „Okay, werde ich so veranlassen und wir melden uns wieder!“ „Danke, Ende!“ Dann ertönte ein unkontrolliertes Piepsen und drei Error-Leuchten fingen an, wild zu blinken. „Das gibt es doch nicht! Wir haben auch noch ein Druckproblem im Flugzeug.“ Hans griff hastig nach seiner Sauerstoffmaske. Auch Fritz stülpte sich diese über den Mund. „Eine Durchsage des Kapitäns, aufgrund eines Unterdrucks in der Kabine bitten wir sie, die heruntergefallenen Sauerstoffmasken sofort anzulegen und sich anzuschnallen. Es besteht kein Anlass zur Beunruhigung!“
Ich saß kreidebleich in meinem Sitz und konnte die Unruhe im Flugzeug mit den Händen greifen. Die Sauerstoffmaske hatte ich mir über den Mund angelegt und versuchte möglichst ruhig weiter zu atmen. Ich verfluchte meine Kaderstellung und, dass ich diese Flugreise angetreten war. Das Flugzeug machte einen Schwenker. Die Zahlen der Höhenangaben begannen zu purzeln: 9000 m, 8499 m, 7800 m,
7200 m, 6893 m und dann stabilisierte sich die Maschine. Ich zitterte am ganzen Körper. Dieser Flug war schlimmer als die Geisterbahn an einer Kirmes.
Ich machte ein kurzes Stoßgebet. Da ertönte bereits wieder eine Durchsage des Kapitäns: „In wenigen Augenblicken werden wir aufgrund von diversen Zwischenfällen den Landeanflug auf London Heathrow vornehmen. Bitte weiterhin angeschnallt bleiben!“ Das Flugzeug begann einen unsanften und unkontrollierten Sinkflug.
Ich erwachte von meinem eigenen Hilfeschrei. Schweißgebadet richtete ich mich im Bett auf. Meine Flugangst hat durch diesen Albtraum noch mehr zugenommen. Leider ist der nächste Flug bereits in wenigen Wochen vorgesehen.
Prompt: Disziplin