Eine sanfte Brise wehte durch meine Haare. Normalerweise hätte ich sie wahrscheinlich nicht bemerkt, aber heute tat ich es. So wie alles andere auch.
Mir fiel auf, dass die Steine unter meinen Sneakern knirschten, als ich am See entlanglief. Ich hörte das Wasser leicht am Ufer plätschern. Ich spürte die Sonne auf der Haut, und ließ mich von ihr wärmen. Ich hörte, wie der Wind durch die Blätterkronen der vereinzelten Bäume strich. Hörte aus der Ferne einen Hund bellen. Ich genoss diese Idylle so unfassbar.
Ich spürte, wie meine Lungen endlich wieder die Luft zum Atmen bekamen, nach der ich mich so lange so sehr gesehnt hatte. Auch wenn ich noch etwas unsicher auf den Beinen war und wahrscheinlich bald eine Pause brauchte, konnte ich nicht aufhören, bis über beide Ohren zu grinsen.
Ich drückte Alex‘ Hand fester und lehnte meine Schulter an ihn, während wir den kleinen Spazierweg entlangliefen. Er hatte schon seit wir das Auto verlassen hatten, meine Hand nicht mehr losgelassen.
Er tat mir so unglaublich gut. Ich glaube, ihm selbst war das nicht einmal bewusst. Wir sprachen auch kein Wort. Aber das brauchten wir auch nicht.
Denn er wusste, wie überwältigt ich gerade von allem sein würde. Und das war ich. Ich war zwar schon immer ein Naturmensch gewesen und verbrachte jede freie Minute am liebsten draußen, aber das hier übertraf alles. Um Längen.
Aber im Grund waren auch immer die Menschen am wertvollsten, die sich gar nicht bewusst waren, wie viel Gutes sie taten. Einfach nur dadurch, dass sie da waren.
Ich konnte es nicht fassen, dass ich mich endlich wieder in der Natur bewegen konnte und nicht mehr an mein Bett gefesselt war.
Fast einen Monat war dieser Zustand mein Alltag gewesen. Und deshalb war es jetzt umso schöner. Ich fühlte mich endlich wieder wie ein ganzer Mensch.
Ein Mädchen tauchte in meinem Blickfeld auf. Sie lief ihrem Hund hinterher, der zielstrebig zum See rannte. Ich musst unwillkürlich kichern, als er sich ins Wasser stürzte und mit seinen Bewegungen unkontrolliert Wasser um sich warf.
Ich lächelte, als auch mich Wasserspritzer auf der Haut trafen und genoss das Gefühl der Kühle verbunden mit der Wärme der Sonnenstrahlen.
Als ich zu Alex aufsah, bemerkte ich erst, dass er mich musterte. Ich konnte nicht anders, ich musste abermals lächeln und erwiderte seinen sanften Blick. Ich musste gar nichts sagen. Er verstand auch so.
Verstand, wie viel Wert mir dieser kleine Spaziergang im Grünen nach all der Zeit war. Verstand, was gerade in mir vorging und wie dankbar ich ihm für alles war. Das konnten ohnehin keine Worte der Welt ausdrücken.
Er ist mir während der Zeit meiner Krankheit nie von der Seite gewichen. Machte diesen schweren Weg für mich so viel einfacher. Auch wenn wir beiden nicht gewusst hatten, wie es für mich ausgehen würde, hatte er in allen Momenten Mut und Kraft und Stärke für uns beide gehabt. Ganz egal wie unfair und wütend und enttäuscht ich von dieser Welt war. Er hatte immer meine Hand gehalten.
Auch dann, wenn ich es nicht verdient hatte.
Ich sah ihn und sah in seine dunklen Augen. Genau die Augen, in die ich mich schon bei unserem ersten Treffen unwiderruflich verliebt hatte.
Sein sanfter Blick streifte meinen und ich hatte das Gefühl, ich konnte nie wieder aufhören zu lächeln.
Früher, bevor ich Alex getroffen hatte, machte ich mir nichts aus Blicken und Augen. Ich wusste nicht, wie es sich anfühlte, wenn man sich darin verlor. Doch seit er in mein Leben trat, wurde ich eines Besseren belehrt. Und ich wollte es wieder und wieder. Diese dunklen Augen, die mir auch noch nach vier Jahren den Atem raubten.
Eine kleine Wolke schob sich vor die Sonne und verdeckte sie einen kleinen Moment. Sofort wurde die Landschaft in einen kühleren Ton getaucht und ich fröstelte ein wenig. Doch dieser Moment war nach ein paar Sekunden vorbei und erneut konnte ich die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut spüren.
Unwillkürlich verlangsamte ich meine Schritte. Ich wusste, dass ich mich bald hinsetzen musste, um die aufkommenden Schmerzen abzuwehren. Nur wollte ich so lange es ging, in diesem Moment verharren.
„Geht’s dir gut?“, Alex Stimme war nur ein Wispern, aber ich verstand sie neben meinem Ohr klar und deutlich. Ich blickte abermals zu ihm und nickte voller Glück.
„Mehr als das.“