Mir war völlig bewusst, dass ich das nie hätte tun sollen. Früher oder später wird sie es herausfinden und dann ist die ganze Sache gelaufen. Doch ich konnte mich damals einfach nicht beherrschen. Erstens war ihr Anblick zu himmlisch und zweitens hatte ich schon eine ordentliche Menge Alkohol intus. Das entschuldigt natürlich keinesfalls mein Verhalten und ich wünschte die Zeit zurückdrehen zu können. Im Nachhinein war das wahrscheinlich die schlechteste Entscheidung meines Lebens. Anfangs hatte ich mir noch gedacht, dass es halb so schlimm wäre, da ich ja in aller Heimlichkeit ein Gespräch mit der hübschen Frau an der Bar führte, aber dann fiel mir auf, dass es besser gewesen wäre, meiner Frau zu gestehen, was ich verbrochen hatte.
Es sind nun mittlerweile fast vier Monate vergangen, seit ich diese umwerfende Frau angesprochen habe und meine Ehefrau hat immer noch nichts bemerkt. Meine Nervosität steigt von Tag zu Tag; wenn das so weitergeht wird sie noch Verdacht schöpfen und dann wird sie so lange recherchieren bis sie herausfindet, warum ich mich in letzter Zeit so komisch benehme. Letztens hat sie mich beim Abendessen sehr skeptisch angeschaut. Gut, es könnte auch sein, dass ich mir das nur eingebildet habe, aber möglicherweise weiss sie es vielleicht schon oder ist zumindest kurz davor, die Sache aufzudecken.
Während ich darüber sinniere, ob ich ihr mein Geheimnis gestehen oder doch weiterhin in aller Heimlichtuerei leben soll, schreckt mein Handy mich aus meinen Gedanken hoch. Ängstlich fische ich es aus meiner Hosentasche und starre auf das Display. "Vanessa" steht dort. Sie hat es also herausgefunden, denn sonst würde sie auf keinen Fall anrufen, solange sie noch auf der Arbeit war. Vorsichtig swipe ich nach rechts hinüber und lege das Handy an mein Ohr. Geduckt sitze ich auf meinem Stuhl, denn ich erwarte eine ellenlange Standpauke. Doch stattdessen meldet sich eine heitere Vanessa. Verblüfft blinzle ich ein paarmal, bis mir auffällt, dass sie mir eine Frage gestellt hat.
"Sorry, ich habe dich nicht verstanden. Kannst du das noch einmal wiederholen?", sage ich und kann immer noch nicht glauben, dass meine Ehefrau am anderen Ende des Apparats mich nicht anschreit.
"Ja klar. Ich wollte dich fragen, ob du dieses Wochenende mit mir ins Kino gehen möchtest. Das konnten wir ja nun die letzten drei Monate nicht wegen dieses blöden Coronavirus."
Ich nicke, dann fällt mir ein, dass sie mich ja nicht sehen kann.
"Äh ja, das können wir gerne machen. Welcher Film steht denn auf dem Programm?", frage ich sie und versuche meine Stimme möglichst entspannt herüberzubringen.
"Ist irgendwas? Deine Stimme ist so zittrig", meint sie.
Verdammt. Warum bin ich so nervös? Sie hat es doch gar nicht herausgefunden.
"Hallo, bist du noch da?", meldet sich meine Frau wieder zu Wort. "Sag doch etwas!"
"Jaja, mach dir keine Sorgen um mich. Ich bin nur kurz etwas abgeschweift, weil ich so müde bin."
"Okay. Dann bis später", sagt sie und legt auf. Sie hat gar nicht auf eine Antwort meinerseits gewartet. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Wahrscheinlich ist sie mir doch auf die Schliche gekommen und jetzt tut sie einfach so, als ob gar nichts wäre. Wetten, dass sie mich am Wochenende im Kino vor allen anderen Leuten blossstellen wird. Ich muss noch heute Abend mit ihr reden und mich bei ihr entschuldigen.
Den restlichen Nachmittag kann ich mich kaum auf meine Arbeit konzentrieren. Mein Chef hat schon gemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmt, denn er schaut zwischendurch skeptisch herüber. Super, noch ein weiterer Grund nervös zu sein. Nach einer halben Ewigkeit ist es 17:00 Uhr und ich kann mich endlich aus dem Staub machen. Ich bete, dass mein Chef mich nicht zur Seite nimmt, um ein ernstes Wörtchen mit mir zu reden. Glücklicherweise hat der liebe Herrgott mich erhört und ich komme ungeschoren aus dem Büro davon.
Auf dem Heimweg überlege ich, wie ich Vanessa meine Tat gestehen soll, ohne dass ich wie der reinste Betrüger dastehe. Doch mir will einfach nichts Gutes einfallen. Es ist unverzeihlich, was ich angestellt habe.
Schliesslich ist es so weit. Ich stehe vor meiner Haustür, klaube den Schlüssel aus der Hosentasche und drehe ihn im Schloss um. Vorsichtig öffne ich die Tür. Drinnen vernehme ich klassische Musik. Mozart oder Beethoven vermute ich. Ich trotte die Treppe hinauf und laufe direkt ins Schlafzimmer, woraus die Musik tönt. Als ich dort ankomme, bleibt mir fast die Luft weg. Vanessa liegt auf dem Bett und zwar nur mit Unterwäsche bekleidet. Ich bewege meinen Mund wie ein Fisch auf und ab. So kann ich ihr doch unmöglich sagen, was vor drei Monaten vorgefallen ist.
"Ich, ähm, also ich muss...", stammle ich und werde rot.
"Wieso so schüchtern?", fragt sie mich. "Hast du vergessen, wie ich aussehe."
"Nein. Das ist es nicht. I-ich muss wirklich mit d-dir reden", stottere ich. "Es ist s-sehr dringend."
"So dringend, dass du deswegen auf Sex verzichten musst?", sagt sie und streicht mit ihren Händen über ihre Brüste.
Mir wird ganz warm im Gesicht. Ich schlucke einen grossen Kloss in meinem Hals hinunter, dann schütte ich mein Herz aus.
"Es tut mir so unfassbar leid, Vanessa", beende ich mein Geständnis. Gebannt warte ich auf ihre Reaktion, doch diese ist gänzlich anders als ich es mir vorgestellt habe. Weder weint sie, noch schreit sie mich an, noch verlässt sie wütend das Schlafzimmer. Nein, stattdessen lacht sie. Und zwar so laut, dass ich fürchte das Haus würde bald zusammenfallen, wenn sie nicht bald damit aufhörte.
"Warum lachst du?", frage ich dümmlich. "Solltest du nicht zornig auf mich sein."
"Wieso denn auch? Du hast ja nur mit der Frau gesprochen. Du hast es ja nicht mit ihr getrieben. Auch wenn du vielleicht ein bisschen mit ihr geflirtet hast, ist das kein Grund sich solche Sorgen zu machen."
"Dann habe ich mir also in den letzten vier Monaten unnötig Kummer bereitet", bemerke ich und stosse einen Seufzer der Erleichterung aus.
"Worauf wartest du noch?", fragt Vanessa mit einem verführerischen Lächeln. "Mir wird noch kalt, wenn du nicht bald zu mir ins Bett springst."
Das liess ich mir natürlich nicht zweimal sagen.