"Kennen Sie diese Frau?", fragte der Polizist ein zweites Mal. Als nach einer Weile immer noch keine Antwort kam, stampfte er mit einem Fuss so stark auf den Boden, dass Jonas vor Schreck fast vom Stuhl gekippt wäre. Langsam hob er seinen Kopf und schaute den Polizisten aus unbeeindruckten Augen an.
"Nein, noch nie gesehen", log Jonas und zuckte dabei nicht mit der Wimper.
Der Polizist betrachtete ihn einen Moment lang, danach meinte er:
"Und warum haben Sie dann so lange gebraucht um mir zu antworten? Haben Sie für einen kurzen Augenblick vergessen, wie man den Mund aufbekommt?"
Jonas verdrehte genervt seine Augen.
"Ich war nur kurz mit meinen Gedanken an einem anderen Ort. Nur weil ich Ihnen nicht sofort antworte, heisst das noch lange nicht, dass ich Sie anlüge."
"Sie sind ein elender Lügner. Als ich Ihnen das Foto zeigte, hatten Sie für einen flüchtigen Moment die Augen aufgerissen. Ich arbeite nun schon seit fünfundzwanzig Jahren als Kriminalkommissar. Denken Sie wirklich, dass mir eine solch offensichtliche Lüge nicht auffallen würde".
"Ich habe die Augen nur kurz aufgerissen, weil die Frau auf dem Foto so bildhübsch ist", verteidigte sich Jonas.
"Genau und ich bin Donald Trump!", sagte der Polizist sarkastisch. "Hören Sie mir zu! Wenn Sie mich noch einmal für dumm verkaufen wollen, dann können Sie was erleben".
"Das klingt aber interessant. Schenken Sie mir ein Ticket für den Freizeitpark oder was kann ich erleben?", fragte Jonas mit gespielt unschuldiger Miene. Kriminalkommissar Bäumle war kurz davor in tausend Stücke zu zerbersten. Dieser verdammte Jonas brachte ihn regelrecht zur Weissglut. Doch egal wie sehr er versuchen würde, ihn um seinen Verstand zu bringen, er würde sich nicht von ihm provozieren lassen und ihm schon gar kein Sterbenswörtchen glauben.
"Sie halten sich aber auch für ganz witzig, was?", sagte Bäumle und versuchte dabei seine Stimme im Zaum zu halten.
"Ach, Herr Polizist. Nun spielen Sie doch nicht die beleidigte Leberwurst. Ich versuche die angespannte Situation doch nur etwas aufzulockern."
"Die Situation muss nicht aufgelockert werden, Sie Clown. Die Frau auf dem Foto wird seit fast zwei Wochen vermisst und das wissen Sie ganz genau", antwortete Bäumle und lief dabei ungeduldig im Raum hin und her.
"Das ist ja schrecklich! Hoffentlich ist ihr nichts Ernsthaftes zugestossen", rief Jonas aus.
"Sie können mir nichts vormachen, also gestehen Sie doch jetzt einfach, dass sie etwas mit dem Verschwinden dieser Frau zu tun haben", sagte Bäumle und blickte Jonas mit wütenden Augen an.
Doch dieser erwiderte den Blick unbeeindruckt und meinte dann:
"Schauen Sie, Herr Polizist. Ich möchte Ihnen wirklich gerne weiterhelfen, aber ich habe mit der Sache absolut nichts zu tun. Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass ich diese Frau kennen sollte?"
"Weil Sie der Exmann sind. Kurz nachdem sie Sie wegen eines anderen Mannes verlassen hatte, hatten Sie sich an ihr gerächt oder warum sollte sie sonst so kurz nach Ihrer Trennung vom Erdboden verschwinden."
"Was weiss ich und ausserdem habe ich sie verlassen, daher macht es gar keinen Sinn, an ihr Rache ausüben zu wollen". Kaum zu Ende gesprochen, bemerkte Jonas seinen Fehler. Kriminalkommissar Bäumle offenbar auch, denn dieser stiess einen triumphierenden Ruf aus:
"Ha, Sie kennen die Frau also doch."
"Ja, ich gebe es ja zu. Die Frau hier auf dem Foto ist meine Exfrau, aber mit ihrem Verschwinden habe ich nichts zu tun, das müssen Sie mir glauben", antwortete Jonas mit weinerlicher Stimme.
"Soso, jetzt versuchen Sie also mitleiderregend zu wirken. Wenn Sie tatsächlich nichts mit dem Verschwinden dieser Frau zu tun haben, wieso wollten Sie sich nicht nach ihr erkundigen? Es ist immerhin Ihre Exfrau und jeder normale Mensch würde fragen, was denn mit ihr geschehen sei, ausser der Verhörte weiss es bereits."
"Ich interessiere mich nicht so sehr für andere Menschen, deshalb habe ich nicht gefragt, was mit ihr passiert ist", verteidigte Jonas sich.
"Es handelt sich hierbei um ihre Exfrau. Sie wollen mir doch nicht etwa weismachen, dass diese Ihnen völlig egal ist. Ausserdem konnte ich an Ihren Gesichtszügen sehr gut erkennen, dass sie keineswegs erstaunt waren, als ich Sie über das Verschwinden Ihrer Exfrau informiert hatte. Worte können lügen, aber Gesichter sprechen Bände."