So, nun steht mir nichts mehr im Weg. Ich habe für den Mathetest fast meine ganze Freizeit aufgeopfert, wenn ich den jetzt nicht schaffe, weiss ich auch nicht mehr weiter. Nun noch frühzeitig in die Federn und diese Probe wird ein Kinderspiel für mich werden.
Am nächsten Morgen stehe ich so gut gelaunt auf wie selten zuvor und das, obwohl heute ja ein extrem wichtiger Test bevorsteht. Ich esse eine Schüssel Cornflakes und etwas Orangensaft dazu, bevor ich mich auf den Weg zur Schule mache. Es ist ein warmer sonniger Junitag, wodurch sich meine Laune noch mehr steigt. Im Tram lausche ich den munteren Gesprächen der Leute und wundere mich, dass es schon zu dieser frühen Tageszeit so lebhaft vor sich hin und her geht. Im kalten düsteren Winter wäre das kaum vorstellbar. Irgendwann steigt ein guter Freund ins Tram und setzt sich zu mir. Er scheint etwas nervös zu sein, deswegen frage ich ihn, ob alles in Ordnung sei. "Nein, gar nichts ist in Ordnung!", schnauzt er mich an. Erschrocken über seinen Tonfall weiche ich unwillkürlich von ihm. "Sorry, war nicht so gemeint", entschuldigt er sich bei mir und senkt verlegen seinen Blick, "aber dieser Mathetest macht mir echt Angst. Ich habe fast nichts gelernt und jetzt bereue ich es. Wenn ich doch nur nicht so ein faules Schwein wäre". Die letzten Worte richtet er vielmehr an sich selber anstatt an mich. Ich versuche ihn irgendwie zu motivieren, aber nach meinem Pep-Talk lässt er den Kopf immer noch hängen. Schliesslich kommen wir an unserer Haltestelle an, steigen aus und laufen die restlichen zehn Minuten zu Fuss. Dabei schweigen wir beide, denn ich weiss, dass es keinen Sinn hätte meinem Freund gut zuzureden.
Das darf doch wohl nicht wahr sein! Warum habe ich gerade jetzt ein Blackout? Seit gefühlt zehn Stunden sitze ich nun an der gleichen Aufgabe fest. Wie lautet denn nochmal diese blöde Formel? Und muss ich überhaupt die benutzen oder ich verwechsle ich sie mit einer anderen? Obwohl mein Gehirn sich anfühlt als würde es bald in tausend Stücke explodieren, werde ich aus der Aufgabe einfach nicht schlau. Langsam steigt Panik in mir auf und als dann der Lehrer verkündet, dass wir noch fünf Minuten Zeit hätten, kann ich in allerletzter Sekunde einen Schrei unterdrücken. Ich beschliesse die Aufgabe links liegen zu lassen, also nehme ich die nächste in Angriff. Doch nach dem dritten Mal Lesen merke ich, dass ich auch hier keinen blassen Schimmer habe, was vor sich geht. Ich starre verzweifelt auf das Blatt Papier und merke, dass sich meine Augen langsam mit Wasser füllen. Gestern hätte ich diese Aufgabe sicher noch gekonnt, aber ausgerechnet heute streikt mein dummes Gehirn! Endlich klingelt die Pausenglocke und ich stehe so abrupt auf, dass ich fast den Stuhl nach hinten werfe. Lustlos werfe ich den Test aufs Lehrerpult und würdige den Lehrer keines Blickes. Dieser räuspert sich demonstrativ, was mir aber auch scheissegal ist. Plötzlich bemerke ich aus den Augenwinkeln wie mein Freund, den ich heute Morgen im Tram getroffen habe, über das ganze Gesicht grinst. Offensichtlich ist der Test bei ihm sehr gut gelaufen, sonst würde er wohl kaum so dämlich lächeln. Schnell verlasse ich das Zimmer, damit ich mit niemandem reden muss und steuere direkt auf die Toilette zu.
Irgendwo muss ich Dampf ablassen und ich wüsste keinen besseren Ort als diesen, um das zu tun. Nachdem ich mich einigermassen beruhigt habe, realisiere ich, dass ich noch sieben Stunden ausharren muss, bis ich dann endlich nach Hause gehen kann. Innerlich schreie ich vor Wut und Frust, aber äusserlich lasse ich mir nichts anmerken.