VÖLLIG ERSCHÖPFT ERREICHEN die Freunde das Kyffhäuser-Denkmal. Keine Sekunde zu früh, bis ich ohnmächtig geworden wäre. Das war ein Aufstieg, mein lieber Scholli! Es ist jetzt bereits Nachmittag und von Gollum ist keine Spur mehr zu sehen.
»Wir müssen ihn suchen. Er kann sich nur hier irgendwo verkrochen haben«, ist sich Legolas sicher und starrt in den Wald zurück.
»Ich denke, er hockt irgendwo in diesem Monument«, widerspricht Gimli seinem elbisch-unverderblichen Freund und richtet seine Axt dem Denkmal entgegen.
»Es tut mir leid, aber ich kann heute nirgendwo mehr suchen. Weder dort drin, noch im Wald. Ich brauche dringend Schlaf, sonst kippe ich gleich um«, keucht Susi kraftlos.
Wenn mich jemand fragen würde, was bekanntlich niemand tut, wie ich weiß, würde ich Susis Vorschlag annehmen.
»Mir geht es nicht besser. Wir sind seit Tagen unterwegs und haben kaum geschlafen. Wir sollten uns zunächst ein Plätzchen zum Verschnaufen suchen und dann weitersehen«, stimmt ihr Max zu.
Eru preise dich, Maximilian Winter!
»Und vor allem etwas essen! Ich falle gleich vom Fleisch«, behauptet Gimli und tut so, als würde er seinen Gürtel enger schnallen.
Legolas stimmt den Forderungen seiner Kameraden glücklicherweise zu und sie setzen sich in das kleine Museum am Denkmal und essen von dem bescheidenen Proviant, das sie dabei haben. Danach decken sie sich zu und schlafen endlich einmal friedlich ein. Die Mägen sind allerdings eher schlecht als recht gefüllt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand wie Gimli damit zufrieden ist.
Wir schliefen etwa 8 Stunden ohne Störungen durch. Das hätte ich absolut nicht erwartet, wo doch eigentlich immer etwas passiert. Doch bereits gegen Mitternacht sollte der friedliche Schein bereits wieder zerstört werden, als wir von geisterhaften Gesängen geweckt werden.
»Was ist das? Hört ihr das auch? Wer singt denn hier so schief und wo ist der Zwerg?«, fragt Chnum und sucht Gimli überall.
So ein massiver Zeitgenosse kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.
»Ich weiß nicht, aber ich bin auch nicht sonderbar scharf darauf, nachzusehen«, gibt Susi verschlafen zu und dreht sich noch einmal um.
»Ich suche ihn, bevor dieser ungestüme Wicht wieder irgendeine Dummheit anstellt«, schlägt Legolas vor und macht sich auf die Suche nach seinem Freund.
Vielleicht hatte ich recht und Gimli war noch hungrig. Bestimmt ist er auf der Suche nach einem Mitternachtssnack. Es müsste ja auch irgendwo eine Art Kantine oder so was hier oben geben. Ja, dort vorne! Bistro Kaiser Picknick. Doch das ist nicht der Weg, den der Elb auf der Suche nach Gimli einschlägt. Wo geht er denn hin?
Legolas folgend schleichen letztlich doch alle anderen Abenteurer aus dem Museum, um nachzusehen, wo der Zwerg ist und vor allem, wer da so schräg singt. Sie brauchen gar nicht lange zu suchen, da finden sie Gimli, den Frauenhelden, umzingelt von lauter merkwürdigen Weibern, die ihm ein Lied singen. Aus dem Brunnen neben ihm schweben weitere bleiche Damen und reichen ihm ein sonderbares Getränk.
Ich dachte wirklich, ich hätte in dieser Geschichte schon alles gesehen, aber dieser kuriose Anblick setzt allem die Krone auf.
»Was macht er denn da? Und was sind das für Frauen?«, will Max wissen, der seinen Augen genauso wenig nicht trauen kann, wie ich.
»Das sieht ihm mal wieder ähnlich. Schöne Frauen und berauschende Getränke und er mitten drin«, knurrt Legolas und schlägt sich gegen die Stirn.
Gimli fängt derweil an, ein heiteres Lied zu singen, wie es bei Zwergen üblich ist:
»Way! Hey! Up your axes!
Way! Hey! Up your axes!
Way! Hey! Up your axes!
Early in the morning!
What shall we do with the drunken dwarves? What shall we do with the drunken dwarves? What shall we do with the drunken dwarves?
Early in the morning!«
Wieder einmal sollte diese gesellige Runde ein jähes Ende finden. Als die geisterhaften Ladys Gimli gerade mit sich in die Tiefe des Brunnens ziehen wollen, springen die anderen ihrem Freund sofort zu Hilfe.
»Werdet ihr wohl meinen besten Freund in Ruhe lassen, ihr Weibervolk!«, schimpft Legolas, der gerade noch die Bartspitze des Zwerges packen kann.
Die Damen erschrecken sich und kreischen fürchterlich. Vor lauter Panik lassen sie den armen Gimli endlich los, welcher daraufhin aus seinem Trancezustand erwacht.
»WAS? WER? WO BIN ICH EIGENTLICH?! Wer sind diese Frauen? Zu Hilfe!«, schreit Gimli panisch, als er sich bewusst wird, dass er nicht mehr im Museum ist.
»Ganz ruhig Gimlilein, wir sind ja da«, beruhigt Max den aufgebrachten Zwerg.
Die ominösen Weiber wollen gerade ungestraft in den Brunnen verschwinden, da versucht Susi, sie daran zu hindern.
»Hey, wartet! Wer seid ihr denn überhaupt? Und was wolltet ihr von unserem Gimli?«
Eine der durchscheinenden Mädels tritt hervor und spricht mit weinerlicher Stimme.
»Wir waren einst normale Frauen. Doch warf man uns vor langer Zeit in diesen Brunnen, um den Geist, der dort drin leben soll zu besänftigen. Was die Menschen jedoch nicht wussten - in diesem Brunnen hat es nie einen Geist gegeben und wir wurden alle umsonst geopfert. Seitdem sind wir ruhelos und erscheinen alle 50 Jahre an der Oberfläche, um uns einen mutigen Mann zu suchen, der uns erlöst und unseren Platz im Brunnen an unserer statt einnimmt. Es hätte fast funktioniert, doch sollte wohl nicht sein. Wir werden nie unsere ewige Ruhe erhalten.«
»Das ist ja wirklich ein schlimmes Schicksal. Aber wir möchten unseren Gimli auch nicht verlieren. Es tut mir leid für euch«, zuckt Susi mit den Schultern.
Mehr hat sie nicht zu sagen? Ich meine, wann spricht man denn schon mal mit Geistern? Ach, ja richtig. Durch Meister Barbarossa haben sie bereits Vorkenntnisse sammeln können.
»Ich bin mir sicher, dass ihr irgendwann einmal erlöst werdet. Bestimmt nicht mehr heute, aber vielleicht schon in den nächsten 50 Jahren. Ich wünsche euch, dass ihr Erfolg habt«, meint Max feierlich und will damit erreichen, dass diese gruseligen Damen so schnell wie möglich wieder in ihrem Brunnen verschwinden und sich auf das Jahr 2056 freuen.
»Ich danke euch und hoffe, dass ihr Recht behaltet. Wir müssen jetzt wieder zurück in die dunkle Einsamkeit. Lebt wohl, meine Freunde. Ich bin froh, mal wieder mit jemandem gesprochen zu haben, der aus Fleisch und Blut besteht.«
Die Geister schweben mit klagenden Gesängen zurück in den tiefen und düsteren Brunnen. Doch den Freunden bleibt wie immer nicht viel Zeit, die armen Seelen zu bedauern, denn Legolas sieht schon den nächsten schlafraubenden Grund hinter einer Mauer auftauchen: Gollum.
»Dort ist er! Los, ihm nach, bevor er uns wieder entwischt!«, ruft der wackere Elb und flitzt davon.
Gollum flieht derweil in Richtung der großen Aussichtsplattform des Denkmals, die Freunde dicht auf seinen plattfüßigen Fersen.
»Es ist viel zu dunkel, ich kann ihn nicht mehr sehen«, beklagt Chnum die ungünstigen Witterungsverhältnisse.
Eine Verfolgungsjagd bergauf war schon schlimm, aber eine bei Nacht ist nicht viel besser.
»Vielleicht sehen wir seine reflektierenden Augen. Haben wir denn keine Taschenlampe dabei? Susi? Hey, wo willst du denn hin?« Max sieht, wie sich seine Freundin heimlich davon schleicht.
Was hat die denn jetzt vor? Wir hatten uns doch geeinigt, keine Alleingänge mehr!
»Ich glaube, ich habe eben etwas gesehen. Da hinten, beim Kaiser Wilhelm-Denkmal, da ist er!«, kreischt Susi.
Offenbar hat sie den richtigen Spürsinn. Immerhin trägt Gollum ihren Ring bei sich, nicht wahr?
Die fünf laufen zu ihr, um Gollum zu schnappen. Doch der Kriecher ist bereits viel zu hoch gekrabbelt, als dass sie ihn erreichen könnten.
»Ich klettere ihm nach. Wartet hier unten auf mich«, verkündet Legolas selbstlos und nimmt die schwindelerregende Verfolgung auf.
Ich kann gar nicht hinsehen!