Epilog
Bis dass der Tod uns scheidet
Als ich Max das erste Mal am Hauptplatz der Stadt gesehen habe, hätte ich niemals gedacht, dass wir uns an genau diesem Platz das Jawort geben werden.
Der heutige Morgen zieht an mir vorbei. Ich bin mir nicht sicher, was ich getan und gesagt habe, doch ich bin mir sicher, was ich in wenigen Minuten sagen werde. Ich bin nervös, mein Hals ist trocken. Ich bin aufgeregt, doch wie könnte ich mich an diesem Tag anders fühlen?
Nicht nur die Bewohner von Pelican Town sind anwesend, auch Max’ Freunde und sogar sein Dad sind gekommen, um an unserer Hochzeit teilzunehmen. Auch wenn Max kaum Kontakt zu ihm hat und die beiden nicht unbedingt das beste Verhältnis zu einander haben, ist er hier, um am schönsten Tag im Leben seines Sohnes teilzunehmen. Max’ Dad wirkt uns gegenüber ein wenig steif, beinahe so, als wüsste er nicht genau, was er sagen soll, doch das ist für mich nur nachvollziehbar, immerhin hat er Max schon sehr lange nicht gesehen. An seinen Worten erkenne ich jedoch, dass er sich trotzdem für seinen Sohn freut und er für ihn da sein möchte. Max hat mir nie ausführlich erzählt, was zwischen den beiden vorgefallen ist, vermutlich ist es aber besser so.
Vergangen ist vergangen. Heute widmen wir uns nur der Zukunft. Einer Zukunft, die Max und ich miteinander verbringen.
Alles wirkt perfekt. Die Blumen, das Wetter, die zufriedenen Gäste und die Tatsache, dass Max sich – Yoba sei Dank! – für einen Anzug und gegen das schulterfreie Kleid entschieden hat. Er hat bis zum heutigen Tag immer wieder davon gesprochen. Beinahe hätte ich geglaubt, dass es sich doch nicht um einen Scherz handelt und er tatsächlich dieses dämliche Kleid tragen möchte, doch er wollte mich zu meinem Glück nur verarschen. Nicht dass es falsch wäre, Kleider zu tragen, es ist nur so, dass Max eindeutig nicht der Typ dafür ist.
Nun steht mein Mann vor mir, in einem Anzug, der wirkt als wäre er ihm auf den Leib geschneidert worden, mit einem Lächeln auf den Lippen, das mich beinahe blendet. Er sieht heute noch besser aus als sonst und das ist eine Kunst. In ein paar Minuten wird die Zeremonie losgehen.
„Du raubst mir den Atem, Sebastian.“
Verlegen antworte ich ihm: „Hast du heute schon in einen Spiegel gesehen? Du siehst umwerfend aus.“
„Wenn ich besser aussehe als sonst, dann weil ich wunschlos glücklich bin. Du machst mich heute zum glücklichsten Mann auf diesem Planeten.“
„Kann nicht sein, der bin ich bereits“, spreche ich leise, was Max nur noch mehr zum Strahlen bringt.
„Ich liebe dein Lächeln. Dich so zu sehen bedeutet mir alles.“
Max beugt sich zu mir, wir geben uns einen letzten Kuss. In wenigen Minuten werden wir uns das Jawort geben. Vor Aufregung muss ich schon wieder zur Toilette, doch ich habe nicht mehr viel Zeit.
„Ich muss mal.“
„Schon wieder? Bist du sicher, dass es dir gut geht?“
„Ja“, antworte ich schnell. „Das ist die Aufregung.“
„Wehe, du verschwindest aus dem Toilettenfenster und haust ab. Ich warne dich, Sebastian!“, ruft Max mir noch nach. Er ist so albern. Als ob ich an diesem Tag weglaufen würde. Und überhaupt: Wohin sollte ich laufen? Gut, in einem hat er Recht, ich bin oft weggelaufen, aber das habe ich lange hinter mir. Eilig verschwinde ich noch einmal im Saloon.
Ich erleichtere mich und wasche mir im Anschluss die Hände. Als ich aufsehe, erblicke ich nicht nur mein Gesicht, sondern auch das von Sam im Spiegel.
„Hey“, begrüßt er mich etwas verlegen.
„Hey. Ist irgendwas?“
„Nei-ja…“ Sam atmet durch. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich unheimlich stolz auf dich bin. Dein Outing, die Hormonsache, die Operation, einfach alles… Ich weiß, dass ich in den letzten Monaten nur noch eher eine Nebenrolle in deinem Leben gespielt habe, aber ich wollte, dass du weißt, dass du mir unheimlich viel bedeutest und ich unendlich froh bin, dass du jemanden gefunden hast, der dir alles gibt, was du brauchst.“ Sam wischt sich über die Augen. „Ich freu mich so sehr und es ist so peinlich, dass ich heule, aber ich bin so verdammt glücklich, Seb. Du hast das alles verdient.“
Ich verziehe meine Lippen und beiße meine Zähne fest zusammen. Ich darf nicht heulen. Das ist so… zu spät. „Mann, bring mich doch nicht zum Heulen. Was soll Max sagen, wenn ich ihm verheult das Jawort gebe.“ Sam breitet seine Arme aus, in die ich Augenblicklich flüchte. „Ich hab dich lieb, Sam. Es tut mir leid, dass du das Gefühl hast, dass wir uns-“
„Sch… Lass es. Es geht um dich, nicht um mich. Wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann geh da raus und heirate deinen Traummann. Und vielleicht… könntest du mich beim nächsten Billardspiel ja gewinnen lassen, was meinst du?“
„Niemals“, antworte ich lachend. Sam drückt mich fest, auch ich drücke ihn.
„Komm, es wird Zeit, dass du unter die Haube kommst. Nicht, dass Max es sich noch anders überlegt.“
„Tz, als ob. Er hatte eher Angst, dass ich wieder weglaufe.“
Sam lässt von mir ab, doch er hakt sich bei mir ein. „Jetzt kannst du nicht mehr weglaufen.“
„Das will ich ausnahmsweise auch gar nicht.“
Sam führt mich nach draußen auf den Hauptplatz. Der Autopilot übernimmt meinen Körper. Ich registriere nicht, was ich eigentlich tue, doch ich weiß, dass ich gleich ‚ja‘ sagen muss. Ich stehe Max gegenüber. Vor uns sind unsere Gäste versammelt. Max kämpft ganz klar mit seinen Tränen. Es erleichtert, dass auch er seine Emotionen nicht ganz unter Kontrolle halten kann. Der Tag ist emotional aufwühlend und zwar für jeden von uns.
Die Worte des Bürgermeisters nehme ich nur am Rande wahr. Ich bin nervös, aufgeregt und ein wenig verlegen. Die viele Aufmerksamkeit, die ich heute bekomme, kann ich kaum verarbeiten. Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt und obwohl mir durchaus bewusst war, dass es heute nur um Max und mich geht, würde ich am liebsten verschwinden, zusammen mit meinem Mann natürlich.
„Ja, ich will“, spricht Max mit ruhiger Stimme. Er holt mich wieder etwas in die Realität zurück, als er meine Hand drückt. Wahrscheinlich habe ich ihn in den letzten Minuten wie ein Verrückter angestarrt.
„Ja, ich will“, antworte ich, als der Bürgermeister auch mir die Frage stellt, ob ich Max heiraten möchte.
Max beugt sich zu mir, um mich zu küssen. Dieser Tag ist wie ein Traum. Ich erwidere den sanften Kuss. Um uns herum feiern und applaudieren die Leute.
Unser Hochzeitsessen findet auch da statt, wo wir bereits unsere Verlobung gefeiert haben: Im Stardrop Saloon. Alles um mich herum wirkt etwas gedämpft auf mich. Die Realität bricht erst wieder auf mich herein, als Max meine Hand nimmt und wir der Party und dem Trubel um uns herum eine Weile entfliehen. Wir haben noch ein wenig Zeit, bis das Essen serviert wird.
Mein Verlobter, nein mein Mann, hebt mich hoch, er küsst meine Nase, ehe er mich wieder abstellt. Ich sinke gegen seinen Brustkorb und atme tief durch. Dieses Parfum… es ist neu… Normalerweise merke ich so etwas viel schneller.
„Ist alles okay?“, fragt Max mich, als er durch meine Haare streicht.
„Nein, also ja, ich bin nur…“
„Ausgelaugt? Ja, ist ganz schön viel los, was?“
„Ja, irgendwie… Keine Ahnung, das alles hier kommt mir so unwirklich vor. Ich meine…“ Vorsichtig löse ich mich von meinem frisch gebackenen Ehemann. „Du stehst gerade vor mir und du siehst so gut aus in deinem Anzug und mit deiner hübschen Ansteckblume…“ Ich stupse besagte Ansteckblume mit meinem Finger an. „…ich kann nicht fassen, dass das alles kein Traum ist.“
Lächelnd hebt Max meine Hand an. Ich sehe auf den Ring, den er mir angesteckt hat. Mein Ehering. Das alles ist doch verrückt.
„Es ist kein Traum. Du darfst genießen, dass dir etwas Gutes passiert, Sebastian.“
Ich nicke. „Das tue ich. Weißt du, was ich noch genießen werde? Die Torte.“
„Oh ja, die Torte“, wiederholt Max grinsend.
Das Grinsen bringt mich dazu, ihn mit verengten Augen anzusehen. „Wir haben darüber gesprochen. Du drückst mir keine Torte ins Gesicht“, erkläre ich streng. „Mit Essen spielt man nicht.“
„Tu ich nicht, versprochen. Jayson meinte, dass es lustig wäre und dass viele das machen, aber ich weiß genau, dass du da anderer Meinung wärst.“
Grinsend streiche ich über Max’ Bauch. „Wäre ja schade, wenn ich an meinem Hochzeitstag wieder Witwer wäre, oder?“
„Ja… Hochzeit und Beerdigung in einer Woche, das geht ganz schön ins Geld.“
„Das ist weniger das Problem, Dad kann mir da bestimmt aushelfen“, antworte ich grinsend.
„Oh Mann, verstehe, der Plan steht also schon. Ich sollte mein Testament ändern und ein Video aufnehmen indem ich dich als Täter entlarve, sollte ich unter mysteriösen Umständen ums Leben kommen.“
„Wie witzig du bist“, meine ich aus einer undefinierbaren Mischung zwischen Sarkasmus und Belustigung.
„Deswegen hast du mich geheiratet.“ Max beugt sich zu mir, um meine Stirn zu küssen. „Komm, wir machen eine kleine Pause.“
Max führt mich zu der Bank nicht weit vom Saloon. Er setzt sich und bietet mir einen Platz auf seinem Schoß an. Natürlich setze ich mich, mein Mann legt sofort seine Arme um mich.
Er seufzt, doch noch bevor ich nachfragen kann, erklärt er, was in seinem Kopf vorgeht: „Ich denke schon den ganzen Tag über meine Zeit hier in Pelican Town nach. Mann, was haben wir beide alles durchgemacht, bis wir endlich an diesen Punkt kommen durften.“
„Entschuldige, dass ich so überdramatisch war.“
„Entschuldige, dass ich teilweise so ein Idiot war.“
„Ich verzeihe dir, wenn du mir verzeihst“, antworte ich.
„Ist alles schon längst vergessen. Wir haben ja daraus gelernt.“
Max verwickelt mich in einen Kuss. Es ist ein liebevoller Kuss, den ich nur zu gerne erwidere. Ein bisschen Abstand zu dem Hochzeitstrubel zu bekommen tut meinem Kopf verdammt gut. Der Stress fällt von mir ab, ich fange endlich wieder an, zu registrieren, was um mich herum passiert.
Als wir uns voneinander lösen, schweigen wir uns an. Es ist keine peinliche Stille, wir genießen einfach nur den Moment und die stresslose Zeit miteinander. Leider bleibt uns nicht so viel Zeit, wie ich mir erhoffe, denn scheinbar wird schon nach uns gesucht.
„Hey, eure Gäste verhungern, bewegt eure Ärsche“, werden wir von Trevor darauf aufmerksam gemacht, dass es Zeit wird, sich wieder der Feierlichkeiten zu widmen.
„Und ich dachte, dass das unser Tag ist“, scherze ich grinsend, auch mein Mann grinst.
„Tja. Falsch gedacht.“
Max drückt mir noch einen letzten Kuss auf die Wange, ehe er mich schon fast von seinem Schoß scheucht. Kaum steht er auf, reicht er mir die Hand, die ich natürlich sofort annehme.
„Bist du bereit, wieder hinein zu gehen und dich der Party zu stellen?“
Ich nicke. „Ich höre schon eine Torte nach mir rufen.“
„Pass auf, dass du dich nicht zu sehr freust. Wer weiß, vielleicht springt sie dich ja an“, zieht Max mich auf.
„Wehe. Wenn du das tust, dann lasse ich mich morgen wieder scheiden“, drohe ich im Scherz.
„Als ob, das ist dir doch zu aufwändig.“
„Ja, auch wahr.“
Hand in Hand gehen wir wieder auf den Saloon zu. Die Tür steht offen, es ist deutlich zu hören, dass alle Anwesenden sich blendend amüsieren. Es wird geplaudert und gelacht. Ich sehe zu meinem Mann auf, der sich gleich zu mir beugt, um mich zu küssen.
Mit einer Handgeste lässt er mir den Vortritt. Von heute an gehen wir als verheiratetes Paar durchs Leben. Ich spüre Max’ Hand an meinem unteren Rücken. Als ich aufsehe, erblicke ich das strahlendste Lächeln, das ich jemals gesehen habe und weiß, dass ich mich richtig entschieden habe. All meine Taten, Fehler, Zweifel haben mich zu diesem Menschen geführt. Auch wenn der Weg mich oft in tiefe Verzweiflung gestürzt hat, bin ich glücklich, ihn gegangen zu sein.
„Ich liebe dich, Max.“
„Ich liebe dich auch, Sebastian.“