Ich konnte es nicht mehr ertragen, diese Leben, die nichtssagenden Freunde, die Verantwortung für mein Erbe. Die Erwartung meiner Familie. Die viele Arbeit. Ich hatte das Gefühl, mir platz der Schädel.
Drei mal in zwei Jahren hätte mich der Stress ins Krankenhaus gebracht und ich fühlte, dass es wieder soweit war. Ich brauchte den totalen Break. Aber wie sollte das Geschehen? Wie sollte ich es schaffen, komplett und vollständig unterzutauchen. Ich war doch so gut vernetzt. So gar mein Auto war immer online und würde meinen Standort verraten. Mein Handy, ohne das ich nicht leben könnte, zeigte jeder Zeit meinem Standort an, damit meine Sekretärin Termine besser planen konnte. Meine Kreditkarte würden aufzeichnen, wo ich was getan hatte und in Städten würde schon alleine mein Gesicht auffallen, dafür war ich zu bekannt. Also was tun?
Wenn ich verschwand, würde meine Frau unter Garantie die Polizei rufen. Die würden mein Leben auf den Kopf stellen. Nach Gründen für mein verschwinden suchen. Niemand verschwand einfach so, ohne Grund. Wie tief würden sie bohren? Würden sie die Affäre von vor zwanzig Jahren finden? Die Tochter, die an Krebs gestorben war, ohne vorher zu erfahren, dass ich zu feige war, mich ihr zu offenbaren? Würden sie den Anfang meines Geschäftes entdecken, den Grund meines Reichtums, weil ich den Grossvater meiner toten Tochter über den Tisch gezogen habe? Ich kam mir damals so schlau vor. Als ich die Verträge unterschrieben hatte, hatte ich die Maske fallen gelassen. Und ich hatte sie ausgelacht wegen ihrer gutgläubigkeit. Der Grossvater hatte sich das Leben genommen, das ließ mich kalt. Seiner Tochter verschwand und tauchte unter. Wahrhaftig, aber ich hatte auch nicht nach ihr gesucht. Und dann vor drei Tagen, mit der Morgenpost, da kam der Brief mit ihrer Todesanzeige. In einer Woche würde sie beerdigt. Keine Ahnung, warum das mich so traf. Vielleicht weil sie mein einziges Kind war, meine Frau wollte sich nicht mit so einem Blag die Figur versauen. Ich fühlte, dass ich dorthin musste. Aber ich als ich selber konnte es nicht. Also musste ich verschwinden. Ich verließ einfach alles. Das Auto stellte ich einfach an die Straße, der Motor lief, der Schlüssel steckte, meine Papiere, mein Geld und mein Handy auf dem Beifahrersitz. Mit etwas Glück würde es einer finden und gebrauchen können. Ich trug gute Wanderstiefel , einen Mantel, einen Rucksack mit Essen für eine Woche und schlug mich einfach in eine Gasse der Stadt. Ein Woche würde ich auch brauchen von diesem Ort zum Friedhof zu kommen, wo sie beerdigt wurde.
Es klappte, ich verschwand. Wenn ich mich zum Betteln an Bahnhöfe setzte, mit dem Dreck meiner nächtlichen Quartieren überzogen, konnte ich in weggeworfenen Zeitungen den Fortschritt der Ermittlungen beobachten. Alles nur Vermutungen. Nichts handfestes. Noch klappte alles. Und so kam ich nun hier hin. Dieser einsame Friedhof am Rande einer Kleinstadt. Ich stehe vor dem offenen Grab und sehe nichts, keinen Sarg, keine Urne. Aber ich sehe einen Grabstein. Darauf der Vater meiner Affaire und seine Tochter. Gestorben im gleichen Jahr. Ich verstehe nicht, bis ich aufsehe. Vor mir der Lauf einer Waffe, dahinter ein Gesicht voll kalter Berechnung.
"Danke, dass du gekommen bist, Vater."
Ein gedämpfter Schuss halt über den Friedhof.