Sie war mir sofort aufgefallen, so unbekümmert wie sie gewesen war, so frei. Ich hatte mich direkt in ihr Lächeln verliebt, das mich bezauberte. Ich wollte sie einfach nur beschützen.
Zum ersten Mal, als sie zu mir kam, war sie noch sehr jung gewesen, so wie ich auch. In ihrem weißen, leinernen Kleidchen sah sie mich neugierig an, und ich war mir sicher, dass sie sah, was ich bin. Aber anstatt wie die meisten anderen schreiend vor mir wegzulaufen, lächelte sie nur, nahm ihre Krone aus Blumen ab und setzte sie auf mein Haupt. Danach verschwand sie wieder.
Es dauerte ein paar Wochen und sie begann häufiger zu kommen. Sie setzte sich zu mir, lehnte sich sogar an mich und erzählte mir unbekümmert von ihrem Leben. Anfangs verstand ich sie nicht, waren wir doch zu verschieden, aber je mehr sie die Worte ihrer Sprache benutzte und mit ihren kleinen Händen Zeichen dazu machte, um so mehr ihrer Worte verstand ich. Sie erzählte, wie sie über das Meer gekommen waren mit den langen Stämmen aus Holz. Sie erzählte von den neuen Höhlen in der Nähe des Strandes, die ihr Vater und ihre Brüder gebaut hatten und wo sie jetzt mit den ihren wohnte. Von ihrer Mama erzählte sie, die dem kleinen Bruder die Brust gab, nachdem er in diesem neuen Land das Licht der Welt erblickt hatte. Sie erzählte von ihrem Vater, der hier nach den "Anderen" suchte, die hier - der Sage nach - wohnen sollten. Ich hörte gerne den Klang ihrer hellen und sanften Stimme.
Leider sah ich sie immer nur in den Monaten des Sommers. Im Winter, wenn mit der Kälte auch die weiße Decke des Todes kam und alles überdeckte, war ich auf der Jagd, draußen auf dem Eis. In dieser Zeit musste ich mir meine dicke Reserve zulegen für die Tage im Sommer, damit ich keine Stunde mit ihr versäumte. Aber wenn dann wieder die Nächte kürzer und die Tage länger wurden und das grüne Wunder des Frühlings sich mit Knospen durch die Decke kämpfte, wartete ich an unserem Platz, da, wo sie mich zum ersten Mal gesehen hatte.
Als sie älter wurde, wurde sie nachdenklicher. Nun lächelte sie nicht immer. Manchmal sprach sie von den Anstrengungen, wenn der Vater von der Jagd wiederkam und die schweren Felle für die Händler bereitet werden mussten. Bei manchen der Felle bekam sie auch Angst und sie sei dann immer froh, wenn sie mich hier noch anträfe, und ich verstand ihre Angst.
Dann kam der Tag, als sie zum ersten Mal die Laute brachte und mit ihrem Spiel mein Herz noch mehr berührte. Von da an wäre ich so gerne bereit gewesen, ihr die wahre Natur meines Seins zu zeigen, sie in die Arme zu nehmen und sie meine ganze Liebe spüren zu lassen, aber keiner meines Volkes hätte das akzeptiert. Meine Liebe zu ihr musste ein Geheimnis bleiben. Vor ihrem Volk und dem meinen. So blieb mir nur, ihrem Spaß am Spiel mit der Laute beizuwohnen, und meine sehnsuchtsvolle Liebe hinter meinem Fell und meinen Klauen zu verstecken und sie zu bewundern. Ihr Körper in ihrem weißen Kleid war makellos, ebenso wie die goldenen Locken und ihr Gesicht, das sich im Sommer immer mehr mit diesen lieblichen Punkten füllte, je älter sie wurde.
Doch dann kam der Tag, als sie nicht mit einem Lächeln zu mir kam, sondern mit Augen voller Entsetzen. Ihr Kleid war voller Blut, an ihren Armen und Beinen waren Zeichen des Kampfes. Sie sah aus wie auf der Flucht vor Wölfen, doch es war ihresgleichen, die sie verfolgten. Sie hatte fast meine Höhle erreicht, da warfen sie sie zu Boden, rissen an ihrem Kleid, lachten über ihre Blöße und doch wehrte sie sich schreiend unter ihnen, obwohl sie weiter auf sie eindrangen.
Ich konnte das nicht zulassen, nicht vor meiner Höhle, nicht bei meinem Engel Fröja, die mein Herz vor so vielen Jahren erobert hatte. Und ich zeigte mich diesen Menschen mit all meiner Stärke, mit all meiner Macht und mit all meiner Gewalt. Sie hatten keine Chance. Die, die das Glück der Flucht noch hatten, würden von dem grau-weißen Monster reden, das sich aus der Höhle erhoben hatte und mit riesigen Pranken und spitzen Zähnen über sie gekommen war - ungestüm und brutal. Aber als ich mich zu ihr umdrehte, wich auch sie zurück. Kein Lächeln zierte ihr Gesicht und mein Herz füllte sich mit Trauer.
Ich nahm ihr zerrissenes Kleid auf und drängte sie in mein Reich. Eifersüchtig bewachte ich den Eingang, um sie an der Flucht zu hindern. Als der Schlaf sie dann endlich gefunden hatte, schlich ich mich fort, hin zu ihren Höhlen. Von weiten roch ich bereits den Rauch. Ich traf nur noch auf Tod und Zerstörung. Ich konnte nicht verstehen, wie die Wesen ihrer Art sich gegeneinander wenden konnten. Ich fand zwischen dem, was ihrer zerstörerischen Wut nicht zum Opfer gefallen war, Fröjas Laute und einige ihrer Kleider. All dies legte ich in einen Korb und trug ihn zurück zu meinem Reich.
Am Abend kam der Älteste meines Volkes. Er hatte sie längst in meiner Höhle gerochen und schüttelte den Kopf. Er sagte mir, dass ich mich nicht hätte einmischen dürfen. Ich hätte dem Schicksal seinen Lauf lassen müssen und dass sie für die unseren eine Gefahr sei, so wie es ihr Vater gewesen war. Er sagte, dass es gut sei, dass er durch die Seinen gemordet worden war und dass ihre Art ebenso sei. Sie sei da nicht anders. Ich solle sie verstoßen, oder ich wäre nicht mehr Teil meines Volkes. Aber ich konnte es nicht.
Dann teilte er mir mit, dass er keine andere Wahl habe, als den Bann über mich zu legen. Keiner unseres Volkes dürfe sich mehr mit mir einlassen, als ob das noch einen Unterschied machen würde, nicht seit dem Tag, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Er nahm mich in den Arm und hoffte für mich, dass sie es wert sei. Er wünschte mir ewige Sonne und fette Beute. Dann verließ er mich für immer - und ich war ohne Volk. Aber ich hatte ja sie.
Ich ging in die Höhle zu Fröja, die auf einem Fell ausgestreckt lag. Ihr weißer Körper leuchtete in der Dunkelheit und offenbarte ihre ganze Unschuld. Ich legte mich an ihren kalten Körper in der Gestalt der Liebe und umfing sie von hinten, damit sie keine Angst mehr haben müsste. Und in dieser Nacht, als sie erkannte, wer und was ich bin, schenkte sie mir ihre ganze Liebe.
Heute lächelt Fröja wieder und spielt auf ihrer Laute, obwohl sie weiß, dass keiner von uns beiden je wieder zu seinem Volk zurückkehren kann. Aber das war sie mir von Anfang an wert.