Das genau war meine Frage, die ich dem Anwalt stellte, der mich extra aus Bremen nach Hamburg hatte einfliegen lassen, um mir hier in der Mitte vom Nichts ein absolut leeres Stück Wiese zu zeigen.
„Letzte Woche war es noch hier“, sagte der verzweifelt.
„Hat es einer mit Helium gefüllt? Oder hat einer vielleicht das Holz gebraucht? Vielleicht ist das hier auch eine mystische Welt und gerade hier und jetzt ist das Haus noch nicht gebaut“, vermutete ich wild weiter.
Ich nahm es mit Humor, ich hatte auch keine andere Wahl. Ich hatte im Übrigen auch nichts zu verlieren, da ich weder den Zwölf-Stunden-Flug hierher noch das Visum geschweige denn das Hotel bezahlen musste. Das war alles durch das Erbe, das ich hier antreten sollte, gedeckt. Einzige Auflage war, ich sollte für die fünf Millionen US-Dollar auch in diesem Haus wohnen, die umliegende Farm bewirtschaften und so das Andenken vom entfernt Verwandten Uronkel Väterlicherseits aufrecht erhalte. Aber das Haus war weg. Oder noch nicht da. Oder nie da gewesen, was auch immer.
Dafür waren andere Dinge da, was durchaus darauf hinwies, dass es hier ein Haus geben könnte. Es gab eine Einfahrt und einen Briefkasten. Es gab eine hier in der Gegend nicht unübliche ellenlange Zufahrt mit Bäumen an der Seite. Dann war da noch der Baum mit einer Schaukel und etwas entfernt eine Art Schuppen oder Scheune.
„Vielleicht ist das ja das Haus“, vermutete ich und zeigte darauf.
„Nein“, antwortet der Anwalt gequält und stöberte in seinen Unterlagen. Nach kurzer Zeit zog er ein Bild aus der Mappe und reichte es mir. Es war Schwarzweiß, vergilbt und zeigte eindeutig ein Haus. Davor stand ein junger weißer Mann und eine Frau indigener Herkunft. Ich drehte das Bild um und hinten stand ein Datum. 1832.
„Wann ist mein Onkel gestorben?“, fragte ich.
Wieder blätterte der Anwalt und reichte mir eine Englische Sterbeurkunde. Das Datum war von letztem Monat. Heinrich Gall Böllkamp war im stolzen Alter von vermutlich 98 Jahren friedlich in seinem Schaukelstuhl eingeschlafen.
Es konnte also alles möglich sein, aber der Mann auf dem Foto war er nicht. Ich fragte mich, ob die beiden Bierernst in die Kamera schauenden Menschen, die garantiert auch mal lachten, die aber bei Belichtungszeiten von Minuten das niemals durchgehalten hätten, schon wussten, dass ihr Enkel oder ihre Enkelin ihren Sohn Heinrich nennen würden. Und Gall war auch kein Unbekannter. Immerhin hieß so einer der Kriegshäuptlinge, die Custer besiegt hatten. 44 Jahre, nach dem das Foto geschossen wurde.
„War das hier mal Indianergebiet?“, wollte ich wissen und sah wieder auf das grüne Gras vor meinen Füßen, wo eigentlich eine Veranda sein sollte.
Wieder raschelte es hinter mir und wieder bekam ich ein Dokument in die Hand. Oben drauf stand eine Abtrittserklärung. Irgendein unbedeutender Irokesenstamm namens Eri hatte diese Land Heinrich Böllkamp verkauft, für ein Sou. Und wahrscheinlich durften sie danach in eine staubtrockene Einöde ziehen, sich mit Pocken verseuchte Decken überziehen und mit Alkohol vor sich hin vegetieren. Brachte mich das alles weiter bei meiner Frage nach dem verlorenen Haus? Natürlich nicht.
„Herr Bull, ich habe mal eine gewichtige Frage an sie? Wie soll ich ein Erbe antreten und vor allem ein Land pflegen, wenn das Objekt, das da für notwendig ist, nicht da ist. Und überhaupt, wer erbt, wenn ich das alles hier ablehne?“
„Das sieht das Testament nicht vor“, beschied der Mann. „Dann würde dieser Ort an den Staat fallen.“
„Aber woher wusste der Alte, dass es mich gibt?“
Wieder rascheln und die nächste Urkunde landete in meinen Händen. Meine Geburtsurkunde angeheftet an eine handschriftliche Notiz, die etwas krakelig und mit vielen englischen Worten drin als letzter Wille betitelt war.
„Das Testament wurde zu meiner Geburt aufgesetzt?“
Der Zettel beantwortete diese unnötige Frage und brachte mich dem Haus und allem keinen einzigen Schritt näher.
„Ist das Haus vielleicht nur eine Metapher?“ Fragte ich. „So in etwa wie das Haus von Wales. Das ist ja eine Familie.“
Diesmal hörte ich kein Rascheln. Ich drehte mich zum Anwalt, der mich eher Ratlos ansah.
Also noch einmal die Frage: „Können hier in dieser Gegend Häuser wegfliegen?“
„Das ist hier noch nie passiert“, wusste er verwirrt zu berichten. „Das ist eher im mittleren Westen üblich. Und meist geht noch mehr kaputt.“
Ich nickte verständig. Kein Sturm der Welt nahm ein Haus weg und hinterließ eine frische saftige wohlgeschnittene grüne ... Wiese.
Ich sah mich um. An der Stelle, an der das Haus hätte stehe müssen, war die Wiese wie beschrieben. Aber der Rest des Grundstücks war Wildwuchs. Das brachte mich auf eine neue Idee.
„Was sind hier alte historische Häuser ohne Grundstück Wert? Hier werden doch Häuser auf LKWs verfrachtet?“
„Tinyhouses“, beschied der Anwalt.
Minihäuser, dachte ich.
„Und gilt es auch, wenn ich mir hier selber eines baue?“, fragte ich vorsichtshalber und bückte mich nach einem auffällig roten Stein im ansonsten weißen Quarz der Einfahrt.
„Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nur dieses Haus sein darf“, sagte der Anwalt.
Frustriert warf ich den Stein vor mir auf die Wiese und hörte einen blechernen Ton.
Was um alles in der Welt, dachte ich. Und dann dachte ich an James Bond und Q. Warum auch immer.
„Ich hätte gerne den Schlüssel von meinem Haus.“
Ich bekam eine Art Fernbedienung.
Ich sah den Anwalt an.
„Hier ist irgendwo eine Kamera. Gleich springt Guido Cantz aus dem Busch und alle lachen, stimmt's?“
„Wer?“, fragte der Anwalt verwirrt.
Ich gab auf.
Was immer hier los war, diese Fernbedienung würde es mir enthüllen.
Ich drückte auf den Knopf.