Rating: P16 [CN: Folter, Tod]
Nach dem Prompt „Wiedehopf“ der Gruppe „Crikey!“
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"So. Wer von euch dreien sagt mir jetzt, wo der Schlüssel zum Weingut liegt?"
Jacomo Paterniti sprach sanft, während er, die Hände hinter dem Rücken gefaltet, vor den Knienden auf und ab marschierte. Sein schwarzer Anzug war teuer, die Stiefel makellos. Wären da nicht seine Handlanger hinter ihm, die blutigen Messer in den Händen, würde dieser dickliche, etwas ältere Herr einen väterlichen Eindruck erwecken. Sein dunkles Haar war an den Schläfen ergraut und bereits schütter, saß jedoch ordentlich gekämmt. Sein Schnurrbart war gepflegt und er trug weiße Handschuhe.
Nun musterte er die drei Knienden aus grauen Augen. Der dürre Prinz schluchzte ohne Unterlass. Seine ältere Schwester versuchte, ihr Zittern hinter einer stoischen Miene zu verbergen. Der alte Gärtner sah zornig zu Jacomos Handlangern auf. Einer von ihnen musste den letzten verbliebenen Schlüssel haben. Jacomos Leute hatten die drei abgefangen, als sie sich ins Herrenhaus hatten retten wollen.
Jacomo nickte seinen Leuten zu und sie ergriffen den jungen Prinzen an den Armen.
"Ich weiß nichts, bitte!", kreischte er sofort. Er war noch viel zu jung für das hier.
"Wo ist der Schlüssel?", fragte Jacomo sanft, während er einen Schlagring überstreifte.
"Ich habe ihn nicht!", heulte der Junge.
"Einer von euch muss ihn haben." Jacomo holte aus und schlug dem Jungen in den Magen. Ächzend sank der verwöhnte Prinz zu Boden.
"Nein! Felipo!", rief seine Schwester unter Tränen. "Lasst ihn in Frieden."
"Sie als nächstes", befahl Jacomo seinen Leuten.
Die Prinzessin wurde vor ihn gezerrt. Mit einem langen Messer strich er ihr die Haare aus dem Gesicht. Sie war ganz ansehnlich. Die älteste Tochter der Capelli, die seines Wissens nach bald hätte verheiratet werden wollen. Auf der Schulter ihres grünen Kleids prangte eine aufwändige Stickerei des Familienvogels, ein brauner Wiedehopf mit aufgestelltem Kopfgefieder. Der Rock war gestreift wie die Flügel des Vogels.
Jacomo ließ das Messer dorthin gleiten. Das Mädchen erzitterte, obwohl sie den Kopf stolz erhoben hielt.
"Wo ist der Schlüssel?", fragte Jacomo sanft.
"Von mir erfahrt Ihr nichts!"
"Weißt du, Kind, ich bewundere deinen Mut. Lass mich ... dir eine Geschichte erzählen." Jacomos sanfte Sprechweise hatte die Menschen schon immer in ihren Bann gezogen. Auch das zitternde Mädchen konnte sich dem nicht erwehren.
"Eine Fabel. Es geht um eine Familie von Wiedehopfs. Diese dreisten Vögel beanspruchten die Wiesen als ihr Königreich, die doch dem Adler, dem König aller Vögel, gehörten."
Die junge Capelli zitterte. Eine Träne rann über ihre Wange.
"Aber der Adler duldete diese Dreistigkeit nicht." Jacomo ließ den Blick über die weiten Hänge streifen. Die Weinberge waren dunkelblau unter den Sternen und in der Nähe rotgeprenkelt vom Widerschein des Feuers, das die Gebäude vor den Mauern des Hofs verzerrte. Dummerweise hatten sich die Bediensteten ins Innere des Anwesens retten können.
"Es nisten viele Wiedehopfs in diesen Hainen, oder?", fragte Jacomo das Mädchen. "Sicherlich hast du schon einmal beobachtet, was so ein Adler mit einem so kleinen Vogel anstellt. Genau das werde ich nun mit dir machen, wenn du mir den Schlüssel nicht gibst."
Sie blinzelte und neue Tränen liefen. Er konnte sehen, dass ihr vorgespielter Mut gänzlich erloschen war. "Ich habe ihn nicht", hauchte sie. "Ich weiß nicht, wo er ist. Mutter und Vater wollten ihn mir nicht anvertrauen."
"Zeig mir den Inhalt deiner Taschen!", befahl Jacomo.
Hastig zog das Mädchen alles hervor und legte es bereitwillig in seine ausgestreckten Hände. Der Schlüssel war mit mächtigen Zaubern belegt, die verhinderten, dass man ihn mit Gewalt oder von einer Leiche nehmen konnte. Jacomo beugte sich begierig über alles, was ihm das zitternde Mädchen übergab. Edelsteine, einen schützenden, verzierten Dolch, Schmuck ...
Unzufrieden wandte sich Jacomo dem dritten zu, dem Gärtner. Würden Orfeo und Zelinda Capelli den einzigen Schlüssel zu ihrer Festung einem alternden Diener überlassen?
Jacomo trat vor, als hinter ihm ein Schrei ertönte. Er wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie einer seiner Männer - Alberto - in Flammen aufging.
Vor ihm stand der junge Felipo, in der Hand einen kleinen, goldenen Schlüssel, den er dem Unglücklichen auf die Brust gesetzt hatte. Er wirbelte blitzschnell herum und berührte damit auch die restlichen vier Männer. Nur zwei konnten überhaupt zurücktaumeln. Einem stellte die Schwester ein Bein, dem letzten warf Felipo den Schlüssel nach, als dieser davonrennen wollte.
"Du."
"Ich." Felipo lächelte grimmig. Er keuchte. "Du hast in deiner kleinen Rede über Adler und Wiedehopfs ein entscheidendes Detail vergessen."
"Aber es stimmt, dass Adler ein gefährlicher Feind für den Wiedehopf sind", fuhr Cecilia fort. "Wenn deshalb einer in der Nähe ist, und es für eine Flucht zu spät ist, halten diese Vögel still. Sie breiten die Flügel aus und tarnen sich, sodass der Adler sie nicht mehr vom Boden unterschieden kann."
"Und die Gefahr, die man nicht sieht ... nicht wahrnimmt", sagte nun wieder Felipo, "ist die größte Gefahr."
Jacomo knurrte unwillig, aber schon nicht mehr überrascht, als die kräftigen Arme des alten Gärtners ihn von hinten umfassten. Cecilia riss einen Streifen von ihrem grünen Kleid ab, um ihm damit die Hände zu binden.
"Die Herrschaft des Adlers ist jetzt vorbei", zischte sie dabei. In den Zweigen sangen die Vögel ihres Hauses triumphierend, als wüssten selbst die Wiedehopfs, dass ein Sieg errungen worden war.