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Nach dem Prompt „Elster / Die Zahl 19“ der Gruppe „Crikey!“
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Es war der Beginn ihres neunzehnten Ausbildungsjahrs. Ava Gazzarotti hatte sich auf diesen Tag vorbereitet, trotzdem war sie nervös. Dies war vielleicht nicht die Abschlussprüfung, doch bis zu dieser wären es nur noch zwei flüchtige Jahre. Jedenfalls, wenn alles gut lief. Ansonsten würde sie drei weitere Jahre an der Akademie bleiben müssen, eine wahre Schande. Und sollte sie diese Prüfung dann zwei weitere Male nicht bestehen ...
Ava verdrängte die düsteren Gedanken entschlossen. Sie würde nicht versagen! Es wurde Zeit für ihr erstes Gesellenstück, ein Schmuckstück, das sie an nur einem Tag unter dem wachsamen Blick der Prüfer anfertigen musste. Danach durfte sie die Robe mit dem simpleren Elsterwappen tragen und in zwei weiteren Jahren, nach der Meisterprüfung, wäre sie des Namens Gazzarotti würdig. Eine Meisterrobe, Ruhm und Prestige, all das wartete auf sie. Solange sie diese Prüfung bestand, die aus ihrem Familienzwei bisher niemand bestanden hatte. Ava hatte doppelt so hart gearbeitet wie ihre Mütter und Väter vor ihr. Sie wollte zurück zum direkten Stammbaum, ein Teil der Familie sein, die nicht in Vergessenheit geraten war. So hatte sie es auch an die Schule geschafft, hatte sich Schritt um Schritt bewiesen.
Eine ehrgeizige junge Elfe, wie sie es war, hatte bereits Aufsehen erregt. Ava stünden alle Türen offen, solange sie niemandem Grund gab, an ihrer Eignung zu zweifeln. Ihre Eltern wären so stolz auf sie. Ihre Großeltern wären so stolz! Ihre Urgroßeltern, die sich damals vom Familiengeschäft abgekehrt hatten ... nun, das war eine andere Geschichte, aber denen würde sie es damit ebenfalls zeigen!
Mit einem unangenehmen Druck im Magen betrat sie die Prüfkammer. Ihre Werkzeuge und Materialien lagen bereits auf dem Tisch. Erleichtert stellte sie fest, dass alles durch die Prüfung gekommen war. Natürlich, sie hatte sich mehrmals vergewissert, dass sie sich im Rahmen der Regeln bewegte. Aber ein gewisser Zweifel war bis zu diesem Moment geblieben.
Sie lächelte und nickte den Prüfern zu. Neun Handwerksmeister waren es, die sie mit reglosen Gesichtern beobachteten. Sprechen war während der Prüfung verboten, sowohl ihr als auch den Prüfern. Wenn sie eine Frage stellen musste, könnte das Punktabzug bedeuten.
Ava sortierte die Feilen und die schwarzen und weißen Edelsteine, dann begann sie mit der Arbeit. Sie erhitzte Silber, goss es in die Bronzeform, die sie selbst gestaltet hatte. Während die Esse in der großen Steinkammer erkaltete, verblassten auch die orangen Lichter, die die Flammen auf die hohen Tribünen mit dem schweigenden Tribunal geworfen hatten.
Ava legte den Silberdraht mittels Magie auf das langsam kühlende Silber. Es musste nun schnell gehen, denn sie hatte sich entschieden, auf Kleber zu verzichten, um die Prüfer zu beeindrucken. Mit einer Pinzette setzte sie die Steinchen in ihre Fassung. Ein jedes hatte seinen speziellen Platz und musste richtig gedreht sein. Wochenlang hatte sie mit einer kalten Silberfassung geübt, die Steine bis ins kleinste Detail verinnerlicht. Erinnerungsvermögen und schnelles Setzen gehörte zu den Fähigkeiten, mit denen sie Eindruck schinden wollte.
Zuletzt demonstrierte sie ihren Glasguss, bei dem sie Sand und ein wenig Farbe über der Esse schmolz. Schweiß lief über ihr Gesicht, nicht nur wegen der Hitze. Dies war der Teil, wo sie improvisierte. Sie hatte nicht vorher gucken können, wie sich ihre Steine unter Glas machen würden. All das basierte nur auf Erfahrung und Berechnung. Wenn sie sich getäuscht hätte ...
Verbissen arbeitete sie weiter, setzte eine glatte, leicht gewölbte Oberfläche mit grünen und blauen Effekten über das Bild aus schwarzen und weißen Steinchen. Das Glas kühlte schnell. Ava achtete kaum auf das Bild, sondern machte weiter. Sie fädelte die Kette durch die Fassung, schlang das blassviolette Tuch um den Anhänger, demonstrierte die richtige Schleifenbindetechnik.
Schließlich war es vorbei. Sie trat vor. Ihre Finger begannen zu zittern, nachdem sie ihre Angst während der Arbeit hatte unterdrücken können. Zaghaft schob sie das Tuch zurecht und hielt den Anhänger ins Licht, um ihn den Prüfern zu präsentieren.
Dass sie vor dem Tisch stand, war das Signal, dass sich die neun Zuschauer rühren durften. Ein leises Raunen ging durch die Reihen. Nervös sah Ava zu ihrem Anhänger.
Die Kette zeigte eine Elster im Flug auf den Betrachter zu, die Flügel ausgebreitet. Jede Feder war filigran ausgearbeitet. Die Edelsteine verliehen ihr das Muster, durch die Erhebungen wirkte es besser und lebendiger als in einem Mosaik. Das leicht gefärbte Glas sorgte für den typischen, öligen Schimmer des Gefieders, der sich sonst kaum in ein Bild bannen ließ. Im Griff ihrer bebenden Hand wirkte der Vogel geradezu lebendig.
Leiser Applaus verkündete, dass Ava bestanden hatte. Danach berieten die Prüfer über ihrem Gesellenstück und riefen sie schließlich zurück. Wenngleich eine lange Liste an Verbesserungen folgte - der Anhänger war für eine Kette etwas zu groß und schwer, der Silberdraht einmal gebrochen, das Glas nicht gleichmäßig - erhielt Ava am Ende eine sehr gute Note. Mit beschwingtem Gang, ihr Gesellenstück um den Hals, trat sie hinaus. Im Kopf machte sie bereits Pläne, wie sie ihre Fehler in Zukunft vermeiden konnte.