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Nach dem Prompt „Star“ der Gruppe „Crikey!“
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"Cheffe?"
Cozimo sah auf, als der Küchenjunge das Tablett immer noch nicht entgegen nahm. "Aristofane, was machst du? Die Kunden warten!" Gleichzeitig scannte er die vielen Bestellzettel, die auf der Theke lagen und kontrollierte die Tür des obersten Ofens. Die Pizza dort würde nicht mehr lange brauchen.
"Cheffe ..." Der Küchenjunge war blass, er wrang die Hände. "Hinten steht ein Mann, er ... er sagt, er wäre Anlieferer. Aber heute ist doch gar keine Lieferung ..."
"Nimm." Cozimos Stimme war mit einem Mal tonlos. Endlich nahm Aristofane das Tablett. Cozimo ließ den Jungen stehen, ohne ihm zu sagen, an welchem Tisch die Getränke erwartet wurden. Er drängte sich an seinem Sohn vorbei, der gerade mit der großen Pizzaschaufel hantierte, und trat in das enge Lager, ein schmaler Raum neben der Treppe zum Wohnbereich, an dessen Ende die Hintertür lag.
Diese stand einen Spalt offen, breit genug, dass Cozimo einen teuren Lederschuh erahnen konnte. Schweiß stand ihm auf der Stirn, der nicht an der Ofenhitze lag. Er zog den Bauch ein, als er sich an den Regalen vorbeiquetschte.
Hinter der Tür ragte ein Mann auf, breiter als der Türrahmen und zweieinhalb Köpfe größer als Cozimo. Finster sah er auf ihn herab, die Mundwinkel nach unten gezogen. Er deutete über die Schulter.
"Zwanzig Pakete."
"Ich ... ich kann so viel Wein nicht bezahlen", murmelte Cozimo. Besorgt musterte er die Kartons mit dem schicken Rebenmuster auf der Seite. Die Bemalung der Kisten hatte eine größere Qualität als der Wein, doch im Preis zeigte sich das nicht. "Wir haben keinen Platz, die Gäste trinken einfach nicht so viel ..."
"Du sollst ihnen ja auch keinen anderen Wein anbieten."
"Das tue ich nicht!" Cozimo hob beschwichtigend die Hände. "Aber ich habe noch sieben volle Kisten. Ich kann zehn kaufen, ja? Zehn."
"Ich habe zwanzig Pakete", wiederholte der Verkäufer.
Cozimo atmete zittrig durch. "Bitte, ich ... ich habe keinen Platz und kein Geld."
"Aber einen schönen Laden hast du. Deine Familie wohnt darüber, nicht wahr?" Ein freudloses Lächeln verzog die Lippen des Mannes. "Dein Sohn ist sehr fleißig ..."
Cozimo seufzte. Er trat zurück in den Laden und leerte die Kasse, während seine beiden Angestellten ihm schweigende Blicke zuwarfen. Nachdem er sich die Stirn abgetupft und einige letzte Münzen aus seiner Tasche gefischt hatte, ging er ins Lager und öffnete den Tresor unter der Treppe unter dem wachsamen Blick des schweigenden Bergs. Der Mann hatte dunkle Augen, die sich nicht zu bewegen schienen. Ob er überhaupt blinzelte?
"Für wie viel reicht das?", fragte Cozimo, als er die Münzen überreichte.
Der Mann betrachtete das Kleingeld auf seinen Handflächen eine ganze Weile stumm. "Achtzehn Kisten. Die drei hier sind Anzahlung für die neunzehnte. Für den Rest komme ich morgen wieder."
Cozimo nickte, während ihm das Herz sank.
Er kehrte nach vorne zurück.
"Aristofane, bring die Lieferung rein. Du musst vielleicht ein bisschen quetschen."
"Vater ..."
Cozimo legte dem Bäckerlehrling eine Hand auf den Arm, während sein Küchenjunge nach hinten eilte. "Du musst die Leute überzeugen, einen Nachtisch zu bestellen. Fang mit der großen Gruppe an, biete ihnen einfach nochmal die Karte an."
Eine große Feiergesellschaft würde nicht so schnell ablehnen, dass die Speisekarte gebracht wurde, denn sie wussten ja nicht, ob ihre Freunde nicht noch was wollten. Simple Psychologie. Wenn die Karte einmal da war, würde schon jemand ein Tiramisu oder einen Wein oder einen Espresso bestellen.
Und wenn einer den Anfang machte und andere Gäste die Nachspeisen sahen, würden sich mehr Begeisterte finden. Nur so würde am Ende des Tages überhaupt etwas Geld für Cozimos Familie überbleiben.
Er stellte sich an den Ofen, während sein Junge loseilte. Er brauchte einen Moment, um sich wieder zu fassen, und die Arbeit mit dem Pizzateig vermochte ihn immer zu beruhigen.
⁂
Es war nicht leicht gewesen, eine Audienz bei Daniela Candida di Sticelli zu bekommen. Cozimo hoffte inständig, dass er keinen Fehler machte. Die weiche Mütze in den Händen drehend trat der Bäcker durch die reichverzierte Tür der Gräfin, die für sein Gebiet zuständig war.
Es gab nicht mehr viel zu verlieren. Wenn ihn jemand beobachtet hatte, wie er eintrat, würde das Folgen haben. Aber das gleiche würde geschehen, wenn er bald nicht mehr zahlen konnte.
"Euer Name war Cozimo Colavito, nicht wahr?" Die Gräfin kam ihm entgegen und reichte ihm die Hand, dann dirigierte sie ihn zu einer Sitzecke mit sechs gemütlichen, blauen Sesseln mit silberbeschlagenen Kanten.
Der Star ihrer Familie blitze silbern auf dem Wappen, das über ihrer Brust angenäht war. Ihr Gewand teilte sich passend in blaue, rote und violette Streifen, verwoben mit silberdurchwirkten Fäden.
"Ich ... danke Euch vielmals ... dass ich hier sein kann", stammelte er nervös. "Ich ... es ist eine große Ehre für einen einfachen Bäcker wie mich. Und ... und für meine Familie, dass Ihr ... Eure wertvolle Zeit für ... uns aufwendet, also ... "
"Ihr habt ein Anliegen." Die Gräfin lächelte, während sie sich ihm gegenüber setzte. "Dafür habe ich immer Zeit."
Cozimo schluckte. Es gab kein Zurück mehr. Seinem Sohn und Aristofane hatte er geraten, die Stadt zu verlassen. "Es ist die Mafia, Euer Gnaden."
"Die Mafia?" Die Gräfin runzelte die Stirn. "Sie sind wieder aktiv?"
"Noch immer, Herrin. Also ... sie haben ihr Vorgehen geändert. Sie verkaufen jetzt Wein. Wer nicht kauft, den bedrohen sie. Also kauft man zu Preisen, die man den Kunden kaum erklären kann." Er tupfte sich die Stirn ab. "Es ist ... kein guter Wein, er geht nicht gut weg."
"Aber es ist ein Kauf?" Nachdenklich sah die Gräfin zum Fenster. Es war spät, und Stare sammelten sich in einem nahen Baum, ehe sie zu ihrem Schlafplatz fliegen würden. Ihr Schwarm wuchs, während Cozimo von seinem Leid berichtete.
"Da können wir nichts machen", sagte die Gräfin schließlich. "Ihre Drohungen sind natürlich verboten, aber es gibt keine Beweise. Solange ein Handel abgeschlossen wird, ist alles rechtens. So leid es mir tut, Herr Colavito ... die Stadtwache kann da nichts unternehmen."
Er seufzte schwer. Lang und breit hatte sie ihm die Gesetzeslage erläutert, dass es den Beweis einer illegalen Tätigkeit geben musste. Die Gräfin sah ihn gequält an, voller Reue, dass sie nicht mehr tun konnte. Doch trotz ihrer Macht waren ihr die Hände gebunden.
Cozimo fiel aus allen Wolken. Nie hätte er sich träumen lassen, dass eine Person so weit an der Spitze machtlos sein könnte!
Draußen bildete sich eine Wolke über dem Kirchturm der thyrmalischen Kapelle, die entfernt an einen Tornado erinnerte. Stare, die sich zur Nachtruhe begaben. Um ihre Augen vor dem Leid derjenigen unter sich zu verschließen.
⁂
Er hatte nicht gehen wollen. Noch immer empfand er Zorn auf die Gräfin. Außerdem könnte es gefährlich sein, auf einer von ihr einberufenen Feier zu erscheinen.
Doch außer Cozimo waren noch andere Ladenbesitzer in seiner Lage eingeladen worden, und immerhin hatte es in den letzten Tagen noch keine Vergeltung für seinen Besuch bei der Gräfin gegeben. Zwar würde die nächste Lieferung des Weins bald kommen, in zwei, drei Tagen, und Cozimo rechnete halb damit, dass er diesmal nicht nur Geld verlieren würde.
Dennoch ging er schließlich auf die Verkostung. Wenn auch nur, weil die halbe Stadt auch hinging. Man musste Kontakte knüpfen, um irgendwie über Wasser bleiben zu können.
Neben einer Kuhwiese waren große Zelte aufgebaut, um den Besuchern Schatten zu spenden. Cozimo sah mehr als einige andere schlucken, als ihre Blicke die vertrauten Kisten mit dem Rebenmuster fanden. Der Wein würde ihm ebenfalls bitter schmecken. Immerhin wäre er heute umsonst und ein Teil von ihm überlegte, den verhassten Alkohol zu nutzen, um die Welt zu vergessen.
Spatzen pickten im Gras der Weide und landeten dreist auf den grasenden Kühen, um die Besucher jenseits des Zauns mit schiefgelegtem Kopf zu mustern. Die kleinen, schwarzen Vögel waren nicht sehr scheu. Einige ahmten die Glocke des kleinen Botenjungens nach, der morgens mit einem Karren voll Brötchen durch die Straßen fuhr. Nein, scheu waren diese Tiere nicht.
Schließlich erschien die Gräfin. Sorgsam trat sie über den matschigen Feldweg, das Kleid gerafft. Sie wechselte Worte mit diesem und jenem, bedeutete einem Gaukler, seinen Auftritt zu beginnen. Der Mann füllte sich Seifenlauge in die Ohren, dann hielt er sich Mund und Nase zu und blies Seifenblasen aus den Ohren. Cozimo betrachtete das eine Weile und trank noch einen Schluck Wein. Er fragte sich, was er hier tat.
Dann erklangen Rufe. Mehr und mehr Finger reckten sich den Hügel hinauf. Auch Cozimo drehte sich um. Er sah den fernen Weinhang, diesen dunklen Makel seines friedlichen Tals, von wo der verdammte Wein stammte.
Jetzt hing wortwörtlich eine dunkle Wolke über den Rebenbüschen, die wogte und pulsierte. Ein großer Vogelschwarm. Cozimo verengte die Augen und sah mehrere Männer, die die Vögel mit Besen zu vertreiben suchten.
"Stare."
Er drehte den Kopf zur Seite. Die Gräfin hatte sich von ihren Beratern gelöst und war lautlos neben ihn getreten.
"Kuriose Vögel. Sie lieben verschiedene Beeren, die Besitzer der Olivenhaine hatten sich deswegen bei mir beschwert. Offenbar haben die Abschreckungsmaßnahmen gefruchtet und die Vögel haben sich ein anderes Jagdgebiet gesucht." Sie nippte am Wein und verzog das Gesicht. "Viel zu süß! Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich ihnen vielleicht nicht alle Vorräte abgekauft. Tja, nun bin ich schlauer."
Daniela di Sticelli warf Cozimo einen Blick zu, zuckte mit den Schultern und war weitergegangen, ehe er etwas sagen konnte. Nur langsam begriff er, dass die Zeit der Sorgen jetzt vorbei war.