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Nach dem Prompt „Afrikanischer Schlammspringer [Tierische Geschichten mit Schlammspritzern]“ der Gruppe „Crikey!“
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Die schlammigbraunen Wasser an der Küste von Qualafina spülten um die Wurzeln der Mangroven. Das Laub bot Schutz vor den sengenden Sonnen, das Wasser Kühlung an diesem Tag, da beide Gestirne auf die Welt niederbrannten.
"Wieso waren wir noch nie hier?", fragte Lucille.
Statt einer Antwort legte Maurice nur den Arm um ihre Schultern. Der junge Mann hatte sich die gleiche Frage gestellt, doch im Moment war er vor allem froh, dass sie einen sicheren Ort gefunden hatten. Es war der perfekte Platz für ein junges Pärchen wie sie.
Seit einem halben Jahr waren Maurice und Lucille heimlich zusammen. Selbst ihre Eltern wussten noch nichts, denn noch immer stand die Unsicherheit zwischen ihnen, ob dieser Traum Bestand haben würde. Doch vor allem durften ihre celyvarischen Herren nichts davon wissen.
Den Bediensteten waren Affären untersagt. Es gab keine Gesetze, doch es war eine der vielen ungeschriebenen Regeln, die die Kinder rasch hatten lernen müssen. Auf den Inseln von Qualafina waren sie dem Elend auf dem Festland entkommen. Die Familien verrichteten Arbeit, die im Gegensatz zu Bergbau und Feldarbeit mehr als leicht war, dafür gab es guten Lohn sowie Unterkunft und Essen. Es war ein Paradies, doch für dieses Glück gab es einen hohen Preis, den die Castianer erst nach und nach gelernt hatten.
Ein Tanz auf Glasscherben. Die neuen Herren gaben ihren Dienern Namen, die sie leicht aussprechen konnten. Die Arbeit mochte nicht schwer sein, doch man musste früh aufstehen, jederzeit verfügbar sein, kam spät ins Bett. Immer musste man die steifen, celyvarischen Kleider tragen, die Uniform, wie sie hieß.
Trotzdem war es um Welten besser als das Festland. Die größte Gefahr lag in den unausgesprochenen Regeln. Wenn die Lords und Ladies erfuhren, dass zwei Diener einander zu sehr mochten, wurden diese getrennt und auf andere Inseln versetzt. Dieses Schicksal wollten Maurice und Lucille nicht erleiden. Sie wollten es ihren Familien ebenso ersparen, die sich sicher schämen würden.
Da war der Mangrovenwald ein Glücksgriff.
"Wir sollten öfter herkommen", stellte Lucille fest, als sie unter den breiten Kronen durch das fleckige Licht spazierten, zwischen schlanken Stämmen und hohen Luftwurzeln.
"Hm." Maurice betrachtete das Spiel des Lichts auf ihrem dunklen Haar und lächelte versonnen.
"Wir müssen nur aufpassen, dass wir unsere Schuhe danach reinigen!" Lucille hatte gemerkt, dass der braune Boden sich als Schlick auf ihren Schuhen festsetzte, Spritzer den Saum ihres Kleides und Maurice' Hose benetzten.
"Wir können sie im Wasser waschen, am Rand des Waldes", sagte er und zog sie wieder enger an sich, um einen Kuss zu erhaschen.
Lucille blieb stehen. Umgeben vom Rauschen der Blätter und dem leisen Geplätscher versanken sie in ihrem Kuss. Lucille ließ die Hände unter Maurice' Hemd gleiten. Er suchte einen trockenen Platz, wo sie liegen könnten, doch er sah nichts. Ohne den Kuss groß zu unterbrechen, drängte er sie stattdessen an die Wurzeln eines Mangrovenbaums.
Das Wummern erschien ihnen zunächst das Schlagen ihrer Herzen zu sein. Dann realisierte Maurice, dass der Lärm hinter ihm erklang. Platschende Schläge, fast wie laute Schritte, kamen rasch näher. War ihnen jemand gefolgt? Ein anderer Diener oder gar einer der Vorarbeiter? Erschrocken wirbelte er herum.
Was er sah, konnte er zunächst kaum verarbeiten. Ein riesiges, braunes Ding, höher als ein Zwerg, unförmig bis auf flache ... Füße? Es bewegte sich hüpfend und kam rasch näher. Ein Maul öffnete sich in der glatten Haut und streckte sich nach Maurice.
Lucille riss ihn nach hinten und die Kreatur biss lediglich krachend durch die Wurzeln. Dann grub das Wesen sich mit dem Maul weiter vor.
Maurice und Lucille schrien, während sie sich tiefer in die Mangrove drängten. Sie zerrten sich gegenseitig durch die engen Lücken des Wurzelgeflechts und zu einer Seite hinaus.
Hier sah Maurice den Schwanz des Wesens, das noch größer war als gedacht. Was er gesehen hatte, waren nur Kopf und Brust gewesen, die 'Füße' waren starke Flossen, die eher dünnen Beinchen glichen. Dahinter folgte der Leib eines riesigen Fisches, der mit der Flosse schlug, während er seine Beute suchte.
Auf dem Kopf saßen zwei runde, froschartige Augen, die plötzlich zur Seite sahen. Direkt zu ihnen.
"Lauf!", brüllte er und zog Lucille mit sich. Hüpfend kam die riesige Kreatur hinterher, sperrte das Maul wieder auf.
Wasser platschte, als der schlammige Boden ebenso trübem Wasser wich. Die beiden Kinder rannten Hand in Hand, so schnell sie konnten. Lucille sah über die Schulter.
"Es gibt auf!", stieß sie schließlich keuchend auf.
Sie hielten, außer Atem und aufgeheizt von Panik und dem warmen Wind. Die große Kreatur war langsamer als zwei Erdwesen. Sie blieb im Schatten unter den Bäumen, am Rand der Wasserfläche, deren Umgrenzung kaum zu erahnen war. Nach einem letzten Blick auf die widerspenstige Beute beschloss das Wesen offenbar, dass es die Mühe nicht wert sei. Dann wackelte es mit dem gesamten Körper und vergrub sich innerhalb von Augenblicken im Schlick, sodass nur noch die Augen über das Wasser sahen. Auf den ersten Blick zwei graubraune Steine, wie sie überall auf der flachen Erde der Mangroven lagen.
Maurice ließ den Blick erneut durch den Wald schweifen. Ja, solche Steine gab es überall. Nur waren es keine Steine! Wenn man darauf achtete, merkte man, dass es immer zwei nebeneinander waren, dass sie alle auf unheimliche Weise die gleiche Größe hatten.
Lucille umklammerte sein Hemd so fest, dass es sicher Spuren davontragen würde. Ihr Atem ging noch immer schnell, ansonsten rührte sie sich nicht. Er spürte, wie sie zitterte.
"Ganz ruhig", flüsterte Maurice. Sanft zog er sie mit sich.
Ihre Schritte schmatzten und platschten im Schlamm. Wellen kräuselten sich im Schattenspiel unter den Baumkronen. Die Schatten der Blätter hatten eine rote Aura vom Licht der zweiten Sonne, die diese Tage noch heißer werden ließ.
Schritt für Schritt bewegten sie sich zwischen den falschen Steinen hindurch, schlugen Bogen um jedes Paar. Sie atmeten erst auf, als die Felsen der Klippen vor ihnen lagen, fester Boden, ein Pfad nach oben.
Hier oben gab es eine kleine Quelle, einen Wasserfall. Während sie ihre Kleidung säuberten, beruhigten sich die beiden ein wenig. Dann, als sie auf einer Klippe in der Sonne saßen und sich trocknen ließen, kicherte Lucille.
"Was?"
"Ich dachte nur gerade ... Wir sollten doch nicht öfter herkommen."