Rating: P12 (CN: Trauma, Sklaverei)
Nach dem Prompt „Pinselohrschwein [Tierische Dreißig]“ der Gruppe „Crikey!“
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Der Hof war anders als alle, die Antó bisher gesehen hatte. Es fehlten die ummauerten Barracken, die für gewöhnlich am äußeren Rand der Felder lagen, zu beiden Seiten der Straße zum Herrenhaus, doch außer Sicht für die feine Gesellschaft. Nah an der Arbeit, fern vom Herd.
Das war nur eine der vielen Merkwürdigkeiten, die der Leoparden-Zentaur erlebte, während er seinen neuen Herren folgte. Beispielsweise hatten während der Reise stets Ochsen den Karren gezogen. Antó war niemals eingespannt worden. Und dann war da noch der Fakt, dass seine beiden neuen Besitzer sich ein Zelt teilten ... Auch wenn sie das außerhalb der Grenzen Nikuwes heimlich gemacht hatten, erst nach Einbruch der Nacht. Seitdem sie das Inselreich im Dreistromgebiet erreicht hatten, stellten sie das eine Zelt auch am Tage schon auf.
Nun hatten sie den Hof vor sich, der Antó ebenfalls verwirrte. Das war keine Plantage, wie die Celyvari sie sonst führten. Stattdessen gab es verwilderte Wiesen, von Gattern umrangt, die vielleicht noch niemals eine Harke gesehen hatten.
Wäre das seine Aufgabe? Hatten die beiden Elfen den Hof neu erstanden und wollten nun von ihm, dass er hier ordentliche Felder anlegte? Antó konnte nicht umhin, bei dem Gedanken zu seufzten. Er war zu alt für solche harte Arbeit! Deshalb hatten ihn die Elfen schließlich auch so preiswert erstanden. Mit dreißig Jahren hatte sich der Preis für den Leoparden-Zentaur halbiert.
Ja, das musste die Erklärung sein. Der Hof war neu und würde erst noch zu einer Plantage anwachsen. Eigentlich poetisch. Antós Leben hatte auf einer Farm begonnen, deren Schicksal bereits besiegelt gewesen war. Ausgerechnet durch den schlimmen Unfall, der ihm noch vor der Geburt den Vater genommen hatte, war die Farm aufgelöst worden. Die Sklaven wurden jedoch erst nach einigen Jahren umverteilt, sodass Antó die Arbeit auf der verlorenen Plantage kennengelernt hatte.
Nun würde er seine letzten Tage auf einer erblühenden Farm verbringen. Eigentlich wäre er jetzt ein Agyomo, einer der hochgeehrten Männer über Dreißig, die in seinem Volk in hohen Ehren standen. Doch das interessierte die Sklavenhalter nicht.
"Hast du Durst?", fragte Jean, als sie in den Schatten des großen, rustikalen Gebäudes eintauchten.
"Ähm. Ein wenig", sagte Antó vorsichtig. Das war auch so etwas, das ihn irritierte. Wieso waren die beiden stets so freundlich zu ihm?
"Ich hole dir etwas!" Jean sprang vom Wagen und lief ins Haus. Er war der Jüngere der beiden, blond und ebenso blass wie Pierre, der Rothaarige, der den Wagen nun zu einem Schuppen an der Seite führte. Antó beeilte sich, ihm zu folgen. Sicher wären seine Herren zornig, wenn er bei dieser Arbeit nicht wenigstens half.
Zunächst musste Pierre ihm jedoch zeigen, wie man die Ochsen striegelte und welches Futter sie bekamen. Dazu wurde eine Mischung aus verschiedenen Gräsern abgefüllt. Antó versuchte stumm, sich die genaue Zusammensetzung zu merken.
"Du bist sicherlich müde", sagte Jean, der mit einem Becher Wasser zurückkam. Antó trank es rasch und zugleich bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie durstig er wirklich war. Jeans Worte erschienen ihm wie eine Falle, was er bestätigt sah, als Pierre sich einmischte.
"Nein, wir sollten ihm direkt alles zeigen."
Jean runzelte die Stirn. "Bist du sicher? Das war eine lange Reise." Manchmal waren die Jüngeren so freundlich. Mit den Jahren veränderten sie sich. Immer.
"Ja, ich bin sicher." Pierre wartete kaum, dass Antó den Becher geleert hatte. "Komm, Junge!"
Folgsam trabte er den Elfen nach, auf weichen Leopardenpfoten. Selbst als Zentaur war Antó kleiner als die beiden Elfen. Der Leopardenkörper war nur wenig größer als es eine echte Raubkatze gewesen war. Einmal hatte jemand gesagt, dass sein Oberkörper höchstens der eines Zwerges sein konnte. Zwerge waren noch einmal preiswerter.
Es ging an weiten, verwilderten Wiesen vorbei hinter das Haus. Hier traf Antó endlich auf Bedienstete, die ihre Herren winkend grüßten.
Er sah noch weitere Akrofi, deren Zentaurenanteil jedoch Gazellen glich. Es waren drei ältere Männer, die offenbar gerade die Früchte eines Limettenbaumes ernteten. Dann gab es Frauen und Kinder der verschiedensten Völker. Die Kinder rannten durch ein Gehege, das recht mittig auf dem hinteren Hof lag. Dichte Büsche verdeckten den Zaun beinahe.
Wüsste Antó es nicht besser, würde er sagen, dass die Kleinen Spaß hatten. Die Kinder lachten und quiekten, dann quiekte noch etwas anderes. Er hielt den Atem an, als etwas Rotes aus dem Gebüsch schoss und eines der Kinder umwarf. Welche Teufelei war das? Hatte er einen jener berüchtigten Höfe erreicht, wo die Sklaven im Kampf gegen wilde Tiere antreten mussten?
Allerdings verhallte das Gelächter nicht. Während seine Pfoten ihn automatisch weiter trugen, sah Antó, wie das gestürzte Kind sich aufsetzte und die Arme um den Angreifer schlang. Dieser entpuppte sich als ein Schwein mit rötlichem Fell, einem weißen Aalstrich auf dem Rücken und hellen, langen Ohren, die fast aussahen, als hätten sich Vögel auf das Fell des Tieres gesetzt.
Das Schwein stieß den Kopf gegen die Brust des Jungen, bis dieser ihm den Rüssel kraulte. Dann ließ sich das Schwein auf die ausgestreckten Beine des Kindes fallen. Andere der Tiere tauchten nun auf, die die umhertollenden Kinder jagten, aber die beiden ließen sich in ihrer Zweisamkeit nicht stören. Antó bemerkte, dass dem Schweinchen ein Hinterlauf fehlte, und dem Jungen einige Finger, vermutlich von einem Unfall. In beiden Fällen waren es alte Verletzungen, um die man sich offenbar gut gekümmert hatte.
"Das ist unsere erste Auffangstation", erklärte Pierre. "Mit den Pinselohrschweinen hat alles angefangen. Mein Mann liebt diese Tiere."
"Sie sind so knuffig!", warf Jean ein.
Antó hörte kaum zu. Er betrachtete die Leute auf dem Hof. Eine der Frauen hatte ein Holzbein. Eine andere war scheinbar blind, doch sie hatte einen Esel an der Seite, der sie zu führen schien. Einige der Sklaven jäteten Unkräuter, doch bei manchen konnte er nicht erkennen, zu welchem Zweck sie in der Sonne saßen. Arbeiteten sie überhaupt?
"Aber wir haben schnell gemerkt, dass wir mehr tun wollen. Wir haben immerhin das Geld - wobei das auch nicht so viel ist, wie wir gerne hätten. Wir haben Pläne, um alles zu erweitern. Mehr Weiden für Tiere, mehr Platz, mehr Gelder ... irgendwann mehr Land. Für den Moment konzentrieren wir uns darauf, diejenigen zu retten, die unsere Hilfe am dringendsten benötigen."
"Retten", wiederholte Antó. Er war es gewohnt, dass seine Besitzer großartige Reden schwangen, wenn sie ihn kauften. Sie wollten sicherstellen, dass ihnen ihre Sklaven gehorsam zum Hof folgten, anstatt Fluchtversuche zu unternehmen. Also hatte er die Worte der beiden Elfen weitestgehend abgetan.
Was ihn in Nikuwe nun allerdings erwartete, waren verletzte Sklaven, die anderswo als wertlos 'entsorgt' worden wären, und neben den Pinselohrschweinen noch einige andere Tiere: Esel, Gazellen, Affen und Rinder. Von ihnen hatten einige erkennbare Verletzungen, andere sahen vollkommen in Ordnung aus. Dann fiel sein Blick auf ein abgemagertes Pferd.
"Oh!" Pierre bemerkte das Tier im gleichen Moment. "Die muss neu sein. Entschuldigt mich, bitte." Er eilte hinüber, um sich das braune Tier anzusehen, welches von einem weiteren Sklaven gefüttert wurde.
"Neu?", fragte Antó zögerlich. Er war immer noch unsicher, ob er überhaupt das Wort ergreifen durfte. Doch er musste dieses Wunder einfach hinterfragen. "Wer hat sie gekauft, wenn ihr nicht hier wart?"
"Nun, unsere erdvölkischen Rettungsfälle natürlich." Jean lächelte. "Ihr erhaltet hier ein wenig Taschengeld. Es ist kein wirklicher Lohn, das können wir uns einfach noch nicht leisten, aber vieles gibt es hier auch umsonst: Um Nahrung oder Unterkunft braucht ihr euch nicht zu sorgen. Aber vielleicht hat der Besitzer des armen Tieres es auch umsonst abgegeben. Pamella kann beispielsweise sehr überzeugend sein." Er deutete auf eine füllige Frau, die aus der Küche kam und Pierre mit weiten Armbewegungen und lautem Geschrei von dem 'armen Pferd' verscheuchte. "Sieh sie dir später an, sie braucht Ruhe! Was fällt euch eigentlich ein, hier anzukommen und niemandem Bescheid zu sagen?"
Mit großen Augen sah Antó zu, wie eine Schwarze den Celyvari mit einem Küchentuch jagte.
Er zuckte zusammen, als Jean seine Schulter berührte. "Das ist sicherlich alles viel für dich. Ich schätze, Pierre hatte seinen Grund, wieso er dir zuerst alles zeigen wollte. Lass dir alle Zeit, die du brauchst. Von unserer Seite aus kannst du dir auch für immer Zeit lassen und einfach nur hier leben. Wenn du irgendwo helfen willst, wirst du immer jemanden finden, der dich einweist, aber du musst natürlich nicht arbeiten. Essen gibt es bei Sonnenuntergang, auch hier draußen. Und dein Zimmer liegt drinnen im ersten Stock, ich kann es dir jederzeit zeigen."
Antó war sprachlos. Ein eigenes Zimmer? Keine Arbeit? Er fragte sich, ob er einen Sonnenstich hatte.
"Vielleicht gehst du am besten zu den anderen Akrofi", schlug Jean vor, der zu ahnen schien, wie überfordert Antó war. "Ich hoffe, dass ihr euch gut verstehen werdet. Sie sind alle ... wie nennt ihr es noch? Agyomo? Verzeih, ich lerne immer noch. Aber wie ich es verstanden habe, benötigt ein Agyomo für manche Rituale drei Zeugen, die ebenfalls Agyomo sind. Sie werden sich also sehr freuen, dich kennenzulernen."
Ein freches Lächeln huschte über das Gesicht des Elfen.
Antó versuchte, sich das vorzustellen. Jemand, der in ihm nicht den Ersatz sah, den ein Herr für einen verstorbenen Freund gekauft hatte, sondern der sich ernsthaft freute, ihn zu sehen. Ein Ort, wo er nicht eine entstandene Lücke füllte, sondern einen eigenen Platz einnahm.
Konnte das wahr sein? Es erschien ihm zu schön, um mehr als ein Traum zu sein. Doch als er sich umsah, begriff er endlich, was fehlte.
Es gab keine Peitschenträger. Keine Mauern. Keine Zäune, jedenfalls keine, die er nicht überwinden könnte. Es lag keine Magie irgendeiner unsichtbaren Barriere in der Luft.
Die schwülfeuchte Luft im Dreistromgebiet wurde nur von Zikaden und Gelächter gestört. Er sah erneut zu den Sklaven, die müßig im Schatten der alten Bäume saßen, zu den versorgten Tieren, zu Pierre, der vor der Frau namens Pamella ins kühle Haus floh, und zu dem Jungen im Schweinestall. Er hatte den Kopf auf den Rücken des roten Schweins gelegt und strich etwas Dreck vom Rüssel des Tieres, das so zutraulich wie ein Hund war.
Antó lächelte langsam. Er war ein Tiermensch - er wusste, dass Tiere sich niemals täuschten.
"Ich danke euch. Ich denke nicht, dass ich viel Zeit brauchen werde."
Jean klopfte ihm auf die Schulter. "Herzlich Willkommen, mein Freund. Ich werde mal nachsehen, ob Pierre Hilfe benötigt. Und morgen kümmern wir uns darum, deine Ketten abzukriegen."