Der Chip
Werner kam auf mich zu und sagte „Wir haben den Chip repariert und mit vielen Updates versehen. Ich werde ihn gleich wieder aktivieren.“ Er lächelte. Ich sagte: „Warte noch kurz, warte noch!“ „Was ist denn los“ fragte Werner in seiner emotionslosen und doch so freundlichen Art. „Werner, diese Erinnerung, ich habe gerade so viele Erinnerungen in mir!“ „Die sind gleich wieder weg“, sagte Werner „gleich geht es dir wieder gut!“. Was war geschehen? Nach dem Lichtblitz war alles anders geworden, seitdem fühlte ich mich wohl, mir ging es gut, ich konnte sehr klar denken und hatte immer das Bedürfnis zu lächeln. Auch meine ständigen Schmerzen waren wie weggeblasen, aber das war nicht mehr mein wirkliches Ich. Sie mussten mir wohl nach dem Lichtblitz am Teich diesen Chip eingepflanzt haben, der meine Gedanken und Emotionen steuerte. Jetzt, da er ausgeschaltet war kam mir alles wieder. Ich erinnerte mich an jede Einzelheit: das Ding im Garten, der Spitze Bleistift, das Mittagessen in der Kantine des Geheimdienstes, der Professor Aufschnaiter und sein sonderbarer Vortrag, die Fahrt zum Aischgrund und und und ... es war entsetzlich. Ich erhob mich gerade aus dem Stuhl um aufzustehen als Werner aufgeregt rief: „Pass auf, du hängst noch an der Lebenserhaltung, deine Schädeldecke ist noch offen.“ Ich ließ mich in den Stuhl zurückfallen und begann hemmungslos zu weinen. Im Hintergrund des OP-Zimmers befand sich ein großes Aquarium. „Lass mich mit ihm sprechen“ sagte der alte Karpfen. „Das geht nicht, sein Chip ist nicht aktiviert“ meinte Werner. „Dann hol doch den Universalübersetzer.“ Werner verschwand kurz und kam mit einem kleinen Gerät wieder, das er an mein Ohr hielt. „Was habt ihr mit mir gemacht? Was habt ihr nur mit mir gemacht?“ schluchzte ich in das Gerät. „Hör mir zu!“ sprach der Karpfen „nicht jeder Mensch hat dieses Privileg wie du ..“ „Was denn für ein Privileg? Was ist mit meinem Leben?“ „Was willst du“, sprach der Karpfen „du warst glücklich die letzten Jahre, du bist gesünder als du es je warst. Und hast einmal an die anderen gedacht?“ „Wieso denn an die anderen? Was ist mit meiner Familie?“ fragte ich. „Deiner Familie geht es sehr gut, sie lieben dich. Aber schau doch mal in die Welt!“ „Wieso, was ist denn mit der Welt?“ „Schau dir doch mal die Fortschritte der letzten Jahre an. Seitdem die Menschen aufgehört haben zu streiten, seitdem sie zusammenarbeiten. Soviel an Not und Elend ist verschwunden, die Menschen arbeiten konstruktiv zusammen, sie arbeiten zielstrebig an Lösungen für das Klimaproblem, das Ernährungsproblem, sie arbeiten daran, den Lebensraum auch für andere Arten zu erhalten, perverse Sitten wie das Fressen von Karpfen sind seit Jahren verboten. Wo meinst du denn, dass diese Änderungen herkommen? Von nichts? Von den Menschen selber?“ „Ich weiß es nicht" antwortete ich. „Wir haben vielen geeigneten Menschen an wichtigen Positionen auf der ganzen Welt diese Chips einpflanzen lassen, so wie dir. Du hast eine sehr wichtige Position in der Regierung übertragen bekommen, weißt du das nicht?“. Dann setzte der Universalübersetzer aus und ich hörte nichts mehr außer einem Rauschen und Krächzen. "Wir sollten uns mal Gedanken über die Ausschreibungsrichtlinien zur Beschaffung von diesen Geräten unterhalten, was ist das wieder einmal für ein billiger Mist!" fluchte Werner um gleich danach wieder zu lächeln. Ich wusste nicht, was ich denken oder fühlen sollte. „Werner" sagte ich, "warte nur noch einen kleinen Moment, dann kannst du den Chip wieder aktivieren.“ Ich weinte immer noch. Dann kam das Operationsteam auf mich zu und ich versank in eine kurze Narkose. Als ich erwachte lächelte mich Werner an – und ich lächelte zurück. „Bist du wieder da?“ sagte er.“ "Was war denn los?“ fragte ich. „Alles in Ordnung, sagte er, dein Chip hat erst nicht richtig gearbeitet und wir mussten dich ohne Chip kurz aufwecken, du warst ziemlich verwirrt.“ „Verwirrt? Ich? Das kann ich mir gar nicht recht vorstellen.“ Ich ging zum Aquarium und sprach mit dem alten Karpfen über die Pläne zur Errichtung eines neuen Teiches in der Gemeinde aus der ich stammte und dass wir jetzt auch einen umweltgerechten Weg entwickelt haben um auch in Saudi-Arabien und Katar Teiche anzulegen damit es den Menschen dort auch bald besser geht.
Kleine Anmerkung: Natürlich war es mir als Fisch ein großes Anliegen, einiges ins rechte Licht zu setzen. Zwei der Zitate vor den ersten Kapitel stammen aus dem Melvinssong "A history of bad men", dessen surreale Atmosphäre einen wichtigen Teil meiner Inspiration geliefert haben.