Lupetto knurrte und wandte sich dem nahenden Feind zu. Er war bereit Lea zu beschützen, doch eigentlich wollte diese nur weglaufen. Warum nur gelang ihr das nicht? Sie fühlte sich auf einmal wieder entsetzlich schwach und ausgeliefert und starrte den Ritter, mit dem gehörnten schwarzen Helm, nur voller Entsetzen an. Das Pferd schnaubte laut und seine Hufe klangen wie Donnergrollen. Lupetto jedoch wich nicht von der Stelle und fletschte seine Zähne weiter in Richtung des Ritters. Doch dieser beachtete den Wolf einfach nicht und das Huf seines schwarzen Pferdes, traf ihn an der Seite. Lupetto jaulte auf und wurde zur Seite geschleudert. „Nein!“ schrie Lea entsetzt und erst jetzt schien sie aus ihrer Trance zu erwachen. Zorn kochte in ihr hoch und ohne weiter zu überlegen, stellte sie sich dem Ritter mit erhobenen Armen entgegen! „Du elender Mistkerl schrie sie „du hast meinen Wolf verletzt! Wie kannst du nur?“
Sie fuchtelte wild mit den Armen, fest entschlossen den Ritter und sein wildes Reittier zum Stehen zu bringen. Irgendwo in ihren Erinnerungen verborgen wusste sie, dass Pferde normalerweise keine Menschen niedertrampelten. Das hier war zwar eine etwas andere Situation. Doch sie sah einfach nur ihrem Wolf, der reglos an der Seite des Pfades lag und sie wollte nach ihm schauen, so schnell sie konnte. Dafür jedoch musste sie den Ritter aufhalten. So blieb sie einfach stehen und wartete mit einer seltsamen Ruhe darauf, bis dieser bei ihr anlangte. Es sah einen Augenblick wirklich so aus, als würde er sie einfach niedertrampeln, doch kurz vor ihr, bremste der Rappe plötzlich ab und stellte sich auf die Hinterbeine. Seine Vorderhufe wirbelten gefährlich durch die Luft, doch sie schlugen ins Leere. Das Pferd stiess ein lautes wütendes Wiehern aus, das Lea durch Mark und Bein fuhr. Doch sie hatte im Augenblick nur Augen für ihren geliebten Wolf und nahm nur am Rande wahr, wie der Ritter durch das Steigen seines Pferds das Gleichgewicht verlor, nach hinten stürzte und direkt in ein Feld von Brennnesseln landete. Sie hörte ihn wild fluchen, doch es kümmerte sie nicht.
Sie ging zu Lupetto und untersuchte ihn. Der Wolf bewegte sich nun zum Glück wieder und stand auf, wenn auch noch etwas schwankend. Die Stelle, wo der Huf ihn getroffen hatte, war geschwollen und blutunterlaufen. Sie tastete diese ab, doch es schien, als seien keine nennenswerten Verletzungen passiert. Der Wolf bewegte sich nun schon wieder so wie vor dem Unfall. Das schwarze Pferd stand schnaubend da und Lea stellte fest, dass sein Fell von Schweiss durchnässt war. Lupetto drehte sich nun erneut knurrend in die Richtung des Ritters und nahm Angriffsposition ein. Noch immer fluchte der Ritter und versuchte sich aus den Brennnesseln zu befreien. Doch dann fiel sein Blick auf Lea und ein böses, verschlagenes Lachen, drang hinter seinem Helm hervor. „Sieh an, sieh an das kleine, schwache Mädchen versucht die Starke zu markieren. Wie amüsant!“ Er klopfte sich den Schmutz aus seinen Kleidern und kam auf die Frau zu. Lupetto knurrte noch lauter. „Und du hast sogar dein Haustier mitgebracht, wie niedlich!“ spottete der Ritter weiter. „Ihr seid einfach nur lächerlich ihr beiden, ihr wart schon immer lächerlich, besonders du Lea.“
Die Frau fühlte sich auf einmal ganz klein und unsicher in der Gegenwart dieses Ritters, dessen Gesicht sie noch immer nicht sehen konnte, was ihr noch mehr Angst machte. Der Ritter sagte: „Du glaubst, du kannst mir irgendetwas entgegensetzen? Dass du dich da nur nicht täuscht!“ „Du hast meinen Wolf verletzt…“ wagte Lea zu entgegnen. „Ich musste nach ihm schauen und darum musste ich dich aufhalten.“ „Ach wie niedlich, sie musste nach ihrem Haustier schauen!“ spottete der Ritter. „du bist einfach so unglaublich sentimental, so unglaublich schwach. Es ist eine Schande.“
Eigentlich hätte Lea etwas entgegnen sollen, doch sie war auf einmal wieder wie gelähmt. Der Ritter kam immer näher und näher zu ihr, er wurde grösser und grösser, überragte sie um Haupteslänge und wuchs noch immer weiter. Sie schaute entsetzt an der unheimlichen Gestalt empor. Wie ein mächtiger unausweichlicher Schatten, stand er über ihr und sie sah seine Augen böse glühen. Wer war er, was wollte er von ihr? Auf einmal hatte er eine mächtige Kampffaxt in der Hand und schwang diese mit einem unheimlichen Schrei über seinem Kopf. Lea zitterte wie Espenlaub und duckte sich instinktiv.
Als der Ritter jedoch zum Schlag ausholen wollte, schnellte Lupetto vor und sprang ihn an. Der schreckliche Mann jedoch war zu gross, zu mächtig. Er wankte kaum, packte den Wolf und schleuderte ihn gegen einen nahe liegenden Baum. Dieser jaulte auf und blieb ein weiteres Mal reglos liegen. „Nein!“ kreischte Lea „Nein!“ Sie wollte zu Lupetto laufen, doch der Ritter stellte sich ihr in den Weg, Erneut lachte er sein entsetzliches Lachen. „Oh nein, so einfach kommst du mir nicht davon Kleines!“
„Was willst du von mir? Lass mich in Ruhe!“ „Das kann ich leider nicht tun. Wenn du schon zu mir kommst.“ Lea war vollkommen durcheinander. Was meinte dieser Ritter damit? „Ich bin nicht freiwillig hier, es ist einfach passiert.“ „Genau, du kehrst immer wieder zu mir zurück, du brauchst mich.“ Lea erschauderte. „Nein, ich will mit dir nichts zu schaffen haben!“ „Du kannst dich mir nicht entziehen, also gibt es am besten gleich auf!“ Der Ritter kam nun mit seiner Axt weiter auf Lea zu. Sie starrte ihn an und dann wieder rüber zu ihrem Wolf. Ihr Herz raste vor plötzlicher Angst und Abscheu. Und doch konnte sie sich kaum von der Stelle bewegen. Irgendwas hatte der Ritter an sich, dass sie vollkommen lähmte. Er war zwar nicht gar so schlimm, wie das Monster, dass sie damals während ihres Komas angetroffen hatte, aber dennoch glaubte sie, ihm nicht wirklich etwas entgegensetzen zu können. Etwas in ihrem Innern glaubte ihm ausgeliefert zu sein. Es war mehr dieses Ausgeliefertsein, dass sie sprachlos und kraftlos zurückbleiben liess und der Ritter kam immer näher… Er wuchs und wuchs, bis sie vollkommen in seinem Schatten versank…
Das schwarze Pferd stiess auf einmal ein unruhiges Wiehern aus und tänzelte herum. Und dann vernahm Lea erneut wie etwas durchs Dickicht preschte. Es klang ganz ähnlich, wie vorhin, doch diesmal wurde der Wald um sie herum ganz plötzlich durch ein gleissendes, weisses Licht erhellt und mit einem Seitenblick sah Lea die Feenlichter, die wieder zurückkehrten. Der Schein zog sie an wie Motten. Sie senkten sich sanft über Leas Wolf und es war, als ob sich ein leuchtender Regenbogen, über diesem ausbreiten würde. Kurz darauf stand Lupetto wieder auf und gerade zum selben Zeitpunkt, sah Lea den Verursacher der plötzlichen, wundervollen Helligkeit. Es war ein schneeweisses, wundervolles Pferd, ein Araberpferd mit wehender Mähne, einem langem Schweif und einem Fell, dass wie glitzernden Schnee glänzte. Das Pferd lief sogleich zwischen den Ritter und Lea und wirbelte mit seinen Hufen durch die Luft. Der Ritter erschrak zu Tode und schrumpfte unter dem gleissenden, sonnengleichen Licht in sich zusammen. Schliesslich war er nur noch so gross wie ein normaler Mensch und dadurch büsste er einiges von seiner Bedrohlichkeit ein.
Das Pferd wandte sich Lea zu und sprach: „Steig auf...!"