Eine Predigt zur Lesung "Die Bekehrung von Saulus" (Apostelgeschichte 9,1-20)
Laufen wir vor unserer Bestimmung davon?
Sind wir für Wunder blind geworden?
Oder liegt es am Ende gar nicht an uns?
Das war damals schon echt praktisch. Eine klare Ansage und schwubs schon hatte Saulus eine Bestimmung, eine Mission, einen Lebenssinn, eine Ahnung von Gottes Willen. Sowas könnten wir heute doch immer noch gebrauchen.
Sowas wie: „Hi, ich bin’s, Gott. Ich dachte, ich melde mich mal wieder so ganz direkt. Für den Anfang, Sex nicht böse. Das mit dem mehret-euch war schließlich meine Idee, und glaubt mal nicht, dass Eva und Adam verheiratet waren. Im Übrigen macht es für mich keinen Unterschied, ob ihr in Vollverschleierung oder gänzlich nackt (so wie ich euch geschaffen habe) mit mir redet. Der freie Wille ist schon ‘ne super Sache, aber nur weil ihr die letzten 2000 Jahre den Eindruck hattet, ihr hättet sturmfrei, heißt das nicht, dass ihr meine Schöpfung kaputtmachen dürft!“
Ja… Ich glaube, darauf können wir lange warten.
Wie sollen wir also wissen, was Gott von uns will?
In der Thora, Bibel oder im Koran lesen, beten und auf eine innere Eingebung hoffen, die uns glauben macht, dass Gott uns so mitgeteilt hat, was richtig und was falsch ist? Die Strategie haben Kreuzritter, Jihadisten und Konversions-"Therapeuten" auch gefahren. Und was dabei rausgekommen ist, wissen wir ja.
Kurz zur Erklärung: Konversionstherapeuten sind die Sorte Vollidioten, die denken, man könnte die „schwere Sünde Homosexualität“ wegtherapieren und das Ganze käme ja davon, dass man böse Geister oder Dämonen in seine Seele gelassen hätte. Aha… Die Welt steckt in einem menschengemachten Klimawandel, aber gleichgeschlechtliche Liebe… das ist natürlich ein Problem. Liebe ist das Problem?! Sagt mal, merkt ihr noch was?!
Wie sollen wir wissen, was Gott von uns will?
Ja, in der Bibel 3.Mose 18,22 steht: „Du sollst neben einem Manne nicht liegen wie neben einer Frau.“ (Was ja auch stimmt. Wenn ein Mann versucht mit einem anderen genauso zu schlafen wie für gewöhnlich mit einer Frau, wird er nicht weit kommen. Das nur am Rande.)
Aber nur ein paar Sätze weiter steht, dass man unrein ist, wenn man Schalentiere verzehrt, Stoff aus zweierlei Material trägt, und dass es eine Sünde ist sich Haare und Bart zu schneiden (3.Mose 19ff). Ich weiß ja nicht wie’s dir geht, aber ich habe noch nie empörte Evangelikale oder renitente Katholiken nebst besorgten Bürgern vor einem Friseursalon demonstrieren sehen. (1)
Zum Glück gibt es in der Bibel auch weit Konstruktiveres, wie: "Wir wollen einander lieben, denn die Liebe kommt von Gott und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. (...) Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm." (1.Johannes 4:7,16) oder "Hier gibt es keine Gläubigen oder Ungläubigen, hier gibt es keine Sklaven oder Freie, hier gibt es keine Männer oder Frauen, denn in Jesus Christus seid ihr alle eins." (Galater 3:28) oder "Wie mich der Vater liebt, so liebe ich euch. Bleibt in meiner Liebe! (...) Und so lautet mein Gebot: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. (...) Das ist mein Auftrag an euch: Liebt einander!" (Johannes 15: 9,12,17)
Und vielleicht hätten wir heute noch mehr davon, wenn nicht Theologen im Jahr 367 n. Chr. den Kanon des Neuen Testaments endgültig festgeschrieben und auf 27 Schriften begrenzt hätten (die Evangelien des Markus, Matthäus, Lukas und Johannes, die Apostelgeschichte, die Apokalypse und 21 Briefe). Alles, was die Glaubensgelehrten damals für nicht authentisch oder unpassend hielten, wurde aussortiert, so zum Beispiel auch alles, was von Frauen geschrieben wurde. (2)
Übrigens, wusstet ihr, dass wir die „Jungfrau“ Maria einem Übersetzungsfehler zu verdanken haben? Im Originaltext heißt es „junge Frau“. Ganze Weltreligionen vermitteln noch heute den Eindruck, Frauen, die noch keinen Spaß gehabt haben, seien mehr wert als andere, wegen eines Übersetzungsfehlers?! Na großartig… (3)
Wenn nun aber die Heilige Schrift kein 100%iger Garant für den Willen Gottes sein kann und Gott keine Direct Messages mehr versendet, wie sollen wir dann wissen, was Gott von uns erwartet?
Müssen wir uns wie Sherlock Holmes auf die Suche nach klitzekleinen Hinweisen machen, Wunder im Alltäglichen sehen, alles Gute Gott zuschreiben und alles Schlechte dem Zufall oder menschlichem Versagen, und wer die Schnitzeljagd gewonnen hat kommt in den Himmel?
Bist du ein Wunderkind oder vor Wunder blind
Sag mir ob du verstehst, dass wir ein Wunder sind
Diese Welt wird für Wunder immer blinder
Wenn du sie sehen kannst bist du ein Wunderfinder
Gott hat uns einen freien Willen gegeben. Wenn er uns ständig sagen würde, was wir zu tun und zu lassen haben, würde das das ganze Konzept zunichtemachen. Und hey, wo bliebe da die Challenge? Glauben ist ein Sich-Auf-Den-Weg-Machen. Glauben bedeutet auch zweifeln und hinterfragen. Wir können nicht zu allem Ja und Amen sagen, was irgendwer mal niedergeschrieben hat oder was so ein Typ auf der Kanzel sagt.
Vielleicht geht es Gott gar nicht darum seinen Willen durchzudrücken, sondern um den unseren. Denn es sind unsere Entscheidungen, die uns zeigen, wer wir wirklich sind. Und Gott weiß, wer wirklich sind. Er hat uns seine Erde überlassen, uns seine Schöpfung anvertraut. Wir versuchen so verzweifelt Gott zu beweisen, dass wir keine schlechten Menschen sind, während Gott uns zu zeigen versucht, dass wir tief im Innern gut sind.
Wenn du ein Kind stark machen willst, gib ihm Verantwortung, vertraue, zieh dich ein bisschen zurück, aber lass es nicht allein. Wir sind nicht allein. Vielleicht spüren wir nicht, wenn Gott da ist, weil er schon immer da war, weil er uns nie verlassen hat und uns auch nie verlassen wird.
Sind wir für Wunder blind geworden?
Wir wollen Großes erleben.
Wir suchen Gott wie Elia und Saulus im Feuer, im Sturm, im Beben der Erde.
Wir warten auf die großen Wunder, die eindeutigen Zeichen.
Wir warten auf die Stimme, die vom Himmel tönt und uns sagt, was wir tun sollen.
Gott hat seinen Sohn für uns geopfert, sein Kind! Was wollen wir denn noch?!
Nun ist es an uns.
Jesus sagte: „Ihr seid das Licht der Welt.“ (Mt 5:14)
Und so sollten wir aufhören auf ein Wunder zu hoffen und endlich selbst eines sein.
- https://www.katholisch.de/artikel/19245-an-keiner-stelle-verurteilt-die-bibel-homosexualitaet • https://www.evangelisch.de/inhalte/91368/02-02-2011/bibelauslegung-homosexualitaet-ein-graeuel • https://www.evangelisch.de/inhalte/84019/03-06-2013/homosexuelle-auszuschliessen-ist-evangeliumsfeindlich • https://www.ekhn.de/glaube/glaube-leben/bibel/familien-in-der-bibel/homosexualitaet-in-der-bibel.html • https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/bibel-gender-sex-und-kirche100.html
- https://www.geo.de/magazine/geo-epoche/14988-rtkl-erforschung-der-bibel-wie-entstand-das-buch-der-buecher-das-fundament
- https://www.welt.de/kultur/article3100214/Uebersetzungsfehler-machte-Maria-zur-Jungfrau.html
Musik dazu:
Wunderfinder - Alexa Feser feat. Curse
Welt der Wunder - Marteria
Glück - Alexa Feser
Anders als du denkst - Samuel Harfst
Im Namen der Mutter - Carolin Kebekus feat. Thelma Buabeng
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