„Wer hat dich denn hier ausgesetzt?”, murmelte ich zu dem kleinen, schwarzen Kätzchen, vor meiner Nase und lächelte sie beruhigend an. Sie sah etwas mitgenommen aus und ich hatte den Eindruck, sie könnte meine Hilfe gebrauchen. Besorgt über diese arme, allein gelassene Seele, wollte ich mich wieder aufrappeln und ihr gut zureden, doch soweit kam ich nicht. Plötzlich raschelte es neben mir und noch bevor ich verstehen konnte, aus welcher Richtung diese Geräusche gekommen waren, sprang ein kräftiger Mann hervor und warf sich auf mich. Seine schwere Masse hatte meinen Kopf runter gedrückt und die zarte Haut, meines Gesichtes, über den Sand gerieben.
Unruhig wackelte ich mit den Beinen und gab schreiende Laute von mir, doch der Mann presste mir sofort seine dreckige Hand auf den Mund und kreuzte meine Arme am Rücken, damit ich nicht entkommen könnte. Ein Paar schwarze Lederstiefel traten vor meine Augen und ließen mich neugierig werden.
Angespannt versuchte ich meinen Kopf zu heben, um die Person vor mir zu erkennen, doch der Mann über mir ließ nicht locker.
„Luna mach schon, ich will nicht den ganzen Tag hier rumhängen”, zischte der Mann über mir und drückte meine Arme noch fester aufeinander. Noch bevor ich irgendwelche Fragen stellen konnte, sackte die Katze plötzlich in sich zusammen und aus ihr entsprang ein nacktes, brünettes Mädchen. War ja klar, dass es diese Schlampe sein musste, mit der ich Leandro eben erwischt hatte. Aber ich glaubte nicht mehr an Zufälle und bekam langsam das ungute Gefühl, dass sie etwas viel größeres vor hatte, als ihn mir nur wegzunehmen.
„Was wollt ihr von mir?”, zischte ich. Erstaunlicher Weise blieb ich ganz ruhig. Ich hatte keine Angst vor den beiden.
„Wirst du noch früh genug erfahren“, antwortete der Mann mit den schwarzen Lederstiefeln. Endlich ließ der Kerl über mir etwas locker und ich konnte meinen Kopf heben, um den Mann vor mir und hinter mir, mustern zu können. Beide hatten sie braune Haare, braune Augen und trugen einen Dreitagebart. Sie hatten vielleicht die gleiche Frisur und die gleiche Haarfarbe, aber ihre Gesichtszüge ließen einen erahnen, dass sie nicht miteinander verwandt waren. Der Mann, der mich immer noch fest hielt, hatte ein langes, schmales und weiches Gesicht. Außerdem lag eine tiefe Narbe auf seiner Stirn, die quer über sein ganzes Gesicht verlief und beinahe wie eine ungewöhnlich, lange Falte aussah. Mürrisch blickte er mir entgegen, während ich meine Kopf über die Schulter drehte und ihn zu mustern versuchte. Er war nicht ganz so breit, wie der andere. Er widerte mich an, mit seinem ekelhaften, dreckigen Grinsen. Dieses Grinsen war wortwörtlich dreckig, denn die Zähne, die dabei gefährlich hervorblitzten, waren faulig und verdreckt. Einige fehlten und andere waren zur Hälfte zerfressen. Angewidert drehte ich mich um und überlegte, wo Luna abgeblieben war.
„Wo ist Luna?“
„Warum hast du´s eilig?“, lachte der Stämmige vor mir und grinste mir mit seinen perfekt gepflegten Zähnen entgegen. Im Gegensatz zu seinem Freund, war sein Gesicht breiter und markanter. Vereinzelte Sommersprossen waren rund um seine Nase verteilt, die ihn auf den ersten Blick fast sympathisch erschienen ließen. Aber das war er nicht!
„Ja, es passt nicht so ganz in meinen Zeitplan von euch gekippnet zu werden“, zischte ich wütend und versuchte mich aus der Gewalt des Mannes zu befreien.
„Bloß nicht so vorlaut du kleine Göre“, drohte Luna, die plötzlich angezogen aus den Büschen kam und sich zu uns gesellte. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte sie mich arrogant.
„Hör zu Kleine! Du machst was wir wollen und im Gegenzug lassen wir deinen Bruder in Frieden, klar?” Erschrocken riss ich die Augen weit auf und starrte sie an. Oh nein, meiner Familie konnten sie nicht schon wieder etwas antun!
„Lasst bloß meine Familie aus dem Spiel! Nehmt mich mit, aber lasst sie in Frieden!“
„Wie selbstlos sie doch ist“, lachte Luna und warf dem Stämmigen einen amüsierten Blick zu.
„Ich schwöre auf das Grab meines Vaters, wenn ihr ihnen etwas tut, dann bringe ich euch alle eigenhändig um.“
„Das ich nicht lache. Du hast doch keine Chance gegen uns. Ich meine, schau dich mal an. Wenn du deinen Job gut machst, lassen wir sie vielleicht zufrieden.“ Ich seufzte. Ich hatte keine andere Wahl, als mich ihnen anzupassen. Vorläufig müsste ich ihrem Plan also folgen, bis mir etwas anderes einfallen würde.
„Ach, hat unser kleines Pinzesschen ein paar Schrammen im Gesicht?”, lachte der Mann über mir und gab mir endlich wieder etwas mehr Luft zum Atmen. Ich spürte, wie sie in meinem Gesicht brannten und das ließ mich unruhig werden. Warum heilten sie nicht? Warum heilten sie nicht? Angespannt konzentrierte ich mich darauf und wurde erst ruhiger, als ich spürte, wie das Brennen weniger wurde und sich die Wunden langsam schlossen.
„Wie hast du das gemacht?“, fragte er erstaunt und krallte seine dreckigen Nägel in meine Haut, damit ich auch ja antwortete.
„Das Amulett.“
„Wie gern ich auch so Eins hätte, du verwöhnte Mistkröte.“ Ich schwieg.
Luna und der stämmige Mann berieten sich abseits, wie sie nun weitermachen sollten. Der Mann über mir blieb natürlich da und versuchte mich weiterhin zu provozieren. Er lächelte mich mit seinen fauligen Zähnen schadenfroh an und brachte mich fast zum Ersticken, mit diesem ekelerregendem Atem.
Er war abgelenkt und diese Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen. Also hob mein rechtes Knie, mit einem Ruck, an, streckte das Bein und trat ihm mit voller Kraft in seine Weichteile. Der Druck an meinen Armen verschwand, während er zu Boden sackte und ich mich endlich befreien konnte. Schnell sprang ich auf und wollte davon laufen. Doch Luna war schneller, als ich gewesen und hatte mit den Händen in der Luft herumgefuchtelt. Irgendeinen Zauber hatte sie auf mich gelegt, dass ich mich nicht weiter bewegen konnte und schließlich vor einer unsichtbaren Wand stehen blieb.
Die Wand vor mir, verschwand erst, als der Stämmige zu mir kam und mich am Arm packte. Dann erst senkte Luna ihre Hände und ich bekam die Kontrolle über meinen Körper zurück. Ob die beiden Männer auch Hexen waren? Nachdenklich schweifte mein Blick zu dem Mann, der auf dem Boden lag. Mit schmerzverzerrtem Gesicht krümmte er sich dort und gab stöhnende Laute von sich.
„Hattest du mich vorhin nicht verstanden?”
„Doch, doch”, sagte ich schnell und hoffte sie würde mir diesen Fehltritt nicht übel nehmen. Luna seufzte.
„Okay, damit es auch jemand dummes, so wie du, es rafft: Du spielst mit, du wirst dich all unseren Forderungen beugen und deiner Familie passiert nichts. Dazu gehört es auch, sich uns nicht zu widersetzten. Ansonsten kannst du dir schon mal einen Sarg aussuchen. Ich habe gehört, hier in der Nähe soll es einen netten Bestatter geben. Haben wir uns da verstanden?” Kleinlaut nickte ich nur und hoffte ihre nervende, quietschende Stimme nicht länger ertragen zu müssen. Toll, mit Werwölfen konnte ich mittlerweile halbwegs umgehen, aber was Hexen anging... hatte ich keine Ahnung. Wie sollte ich hier überhaupt rauskommen, wenn sie mich allein durch das Heben ihrer Hände, zum Stehen bringen konnte?
„Wenn du dir einen Sarg aussuchen musst, dann kannst du gleich einen für deinen Vater mitbestellen, vielleicht gibt es ja Mengenrabatt“, lachte dieser jämmerliche Waschlappen auf dem Boden und rappelte sich langsam auf. Wut brodelte in mir und ich spürte, wie sie langsam meinen Rachen hinaufstieg. Angespannt formte ich meine freien Hände zu Fäusten und biss die Zähne fest zusammen. Diese starke Wut stieg immer weiter an, desto intensiver ich in seine schadenfrohen Augen blickte.
Schließlich war sie so weit vorgedrungen, dass sie die Mundhöhle erreicht hatte und kurz vor ihrem Ausbruch stand. Dann aber stieß mir der hübschere Mann in die Seite und brachte mich dazu, sie einfach herunterzuschlucken. Ein schreckliches Gefühl, aber es war besser, als die totale Katstrophe
Nun kam der zweite Mann zu uns und griff nach meinem anderen Arm. Fest, viel zu fest und energisch. Zusammen schleppten sie mich ein weites Stück durch den Wald, weg von meinem Haus, bis wir zu einem glänzenden, schwarzen Auto kamen. Erneut ließ Luna einen Zauber auf mich wirken, der meine Hände dazu brachte, gekreuzt übereinander zu liegen. So sehr ich es auch versuchte, ich konnte sie nicht mehr bewegen, sie waren wie zusammengeklebt. Seufzend stieg ich in den Wagen, während mir die Tür aufgehalten wurde und fluchte leise vor mich hin. Wie war ich hier nur schon wieder reingeraten? Wäre ich nicht so verdammt abgelenkt gewesen, hätte ich die Katze und damit all den Ärger, vermieden. Das hat man also davon, wenn man loslässt und die Kontrolle verliert. Schönes Ding!
„Warum rennen wir nicht? Autos sind doch schon lange aus der Mode”, bemerkte ich, als sich alle ins Auto gesetzt hatten. Hinten war es verdammt eng. Die Männer nahmen viel Platz weg und ich fühlte mich in ihrer Mitte, ziemlich zerquetscht. Sie nahmen ihre Blicke nicht mehr von mir und beobachteten jede Bewegung.
„Stopft ihr das Maul, sie ist ja nervtötender, als meine Schwester”, befahl das Schlampenmädchen, vorne am Lenkrad und fing an zu lachen. Die Männer sahen einen Augenblick in den Innenspiegel des Autos, bevor sie bei ihrem Lachen mit einstimmten.
„Hm?”, hakte ich schließlich nach, als sie den Wagen bereits gestartet und wir den Waldweg längst verlassen hatten.
„Wir sind Hexen, keine Vampire.“
„Und?“
„Wir können nicht so rennen, wie ihr, dass solltest du wissen“, antwortete sie hochnäsig. Sie versuchte ganz offensichtlich herauszubekommen, wie viel ich über sie wusste. Nur stellte sie sich dabei ziemlich blöd an.
„Natürlich wusste ich das, ich dachte nur ihr würdet eurer Figur etwas Gutes tun wollen.“
„Jetzt reicht´s! Du denkst wohl du kannst dir alles erlauben, stopft ihr endlich das Maul!“, forderte sie und bog nach dem holprigen Waldweg, links ab. Noch bevor ich mich rechtfertigen konnte, wurde mir der Schal des stämmigen Mannes in den Mund gestopft und ich musste schweigen.
Augen rollend wendete ich mich von ihnen ab und versuchte mir die Zeit zu vertreiben. Eine Weile fuhren wir im Schweigen, doch ich konnte nicht lange meine Klappe halten. Dieser Schal roch nach Rauch und brachte mich fast zum kotzen. Also gab ich hohe Laute von mir, die in Wahrheit gar keinen Sinn ergaben, nur damit sie mir endlich den Schal aus dem Mund ziehen würden.
„Was ist denn jetzt schon wieder?“, zischte Luna energisch. Mit meinen Schreien machte ich sie immer wütender und genervter. Krampfhaft versuchte sie meine Töne zu ignorieren, doch als sie fast von der Spur abgekommen war, weil sie sich die Ohren hatte zuhalten wollen, entschied sie sich doch dazu, ihren Befehl zurückzunehmen.
„Was wollt ihr von mir?“, platzte es gleich danach aus mir heraus.
„Sei nicht so neugierig, das wirst du noch früh genug erfahren.“
„Das hat ja wohl nichts mit Neugierde zu tun! Es ist mein gutes Recht.“
„Du bist anstrengend stur und du kannst dir sicher sein, dass du mit deinen Entführern Glück hattest, glaub mir, andere hätten ihre Drohungen schon längst verwirklicht.“
„Oh na wunderbar, heute ist mein Glückstag. Wie schön, dass ich ausgerechnet von euch Volldeppen entführt wurde. Ich wäre tausend Mal lieber in meinem warmen Bett.“
„Man kann ja nicht alles haben, junge Dame“, stellte der hübsche Mann, links neben mir, fest und blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Es war mir schon seit einiger Zeit klar, dass ich nicht mehr alles haben konnte, aber war es nun schon zu viel verlangt, ohne Ärger und Kidnapping nach Hause fahren zu können?
„Verratet mir wenigstens was ihr von mir wollt!“
„Sei leise und stelle dich nicht so an!“, befahl sie mir dominant und bog nach rechts ab. Die Orientierung hatte ich schon längst verloren, aber den Heimweg würde ich schon irgendwie finden, wenn ich hier nur endlich rauskäme.
„Ich stell mich an, wies mir passt. Ich hab`s mir nicht ausgesucht, eure weißen Ledersitze mit meinen dreckigen Hosenbeinen und Schuhen zu verschmutzten. Für meinen Geschmack sowieso viel zu protzig.“
„Nach deiner Meinung hat keiner gefragt. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie teuer der Wagen war?“
„Nein und tatsächlich juckt es mich nicht. Also, wo fahren wir hin?“
„England“, antwortete der Mann, links von mir und wandte seine Blicke wieder den Straßen zu.
„Samuel, halt deine Klappe.“
„Ich habe von ihrem Gequengel Kopfschmerzen, außerdem wird sie nicht aufgeben“, argumentierte er ruhig. Seine Stimme war tief und angenehm beruhigend.
„Von mir aus, wenn sie dann endlich still ist.“
„Wir fahren nach England, weil du einiges für uns erledigen sollst.“
„Ich? Für euch? Ich bin ein Vampir. Was soll ich schon für euch erledigen?“, fragte ich verwirrt.
„Schätzchen, du und dein Freund...“
„Exfreund“, unterbrach ich ihn schroff und suchte ganz aufdringlich den Augenkontakt, sodass er sich kein weiteres Mal versprechen würde.
„Ihr habt Großes vollbracht, ihr habt den Grafen getötet. Viele vergöttern euch vielleicht dafür, aber eben nicht alle.“
„Und jetzt? Komm zum Punkt, was wollt ihr von mir.“
„Mit einem mächtigen Zauber wollen wir ihn zurückholen. Doch jeder große Zauber verlangt eine Opfergabe. Für sein Leben müsst ihr sterben, das sollte mehr als genug sein.“
„Was? Ihr wollt ihn zurückbringen? Warum? Wenn ihr so machtbesessen seid, dann reißt euch doch einfach seine Position unter den Nagel.“
Meine Worte verstummten und sie brachten für einige Zeit Stille ins Auto. Sie wollten den Grafen zurückholen, der so viel Leid übers Land gebracht hatte? Der völlig gestört und machtsüchtig gewesen war? Was könnten sie davon nur haben? Was zur Hölle? Das wäre eine Katastrophe! Für alle!
„Er schuldet uns noch was.“
„Und für irgendwelche Pakte wollt ihr ihn zurück? Für ein paar lächerliche Vereinbarungen?“
„Lächerliche Vereinbarungen? Er hat uns Schutz geboten, vor den Werwölfen. Jetzt wo er weg ist, greifen sie unsere Hütten an. Sie zerstören alles und morden, so kann es nicht weiter gehen! Wenn sich nicht bald etwas ändert, dann gibt es unsere Art, hier in England, bald nicht mehr.“
„Ich wüsste nicht was daran schlecht sein sollte“, stellte ich entschlossen fest. Das konnte doch echt nicht ihr ernst sein. Ich wollte mir nicht mal ausmalen, was das für schlimme Konsequenzen mit sich bringen würde.
„Außerdem wollen wir das verschwundene Amulett. Es soll mehr Magie haben, als all die anderen zusammen.“
„Wie kommt ihr darauf, dass ich wüsste wo es ist?“
„Irgendwer muss es wissen und du besitzt eins der Amulette.“
„Ich schwöre, ich habe keine Ahnung“, erklärte ich aufrichtig und hoffte, dass wenigstens sie mir glauben würden.
„Wir werden dir sowieso alle Amulette wegnehmen.“
„Tut was ihr nicht lassen könnt“, antwortete ich knapp. Wieso dachten sie alle, dass ich mehrere Amulette hätte? Ich hatte eins und das war doch wohl mehr als genug oder?
„Ihr wollt ihn und mich opfern. Wie wollt ihr das anstellen, wenn ihr nur mich habt?“
„Wenn er von deinem Verschwinden erfährt, wird er auf direktem Weg zu uns kommen. Er ist doch der edle Ritter in Not.“ Die Worte des Mannes, der mich vorhin zu Boden gedrückt hatte, schwebten wie goldenes Papier durch den Wagen und ließen einen glauben, dass sie die absolute Wahrheit waren. Mit finsteren Blicken schaute er auf mich hinab und ich fing an ihn zu verabscheuen. Er hielt sich für etwas Besseres. Wie er sich angeberisch durch die Haare fuhr, seine Beine vornehm überkreuzte und die Hände bedacht auf das oberste Knie legte. Einfach widerlich dieser Kerl!
„Von edel ist der weit entfernt. Er wird mir nicht folgen. Vielleicht folgt er ihr ja“, zischte ich wütend und musterte Luna.
„Erstaunlich was ein paar Worte mit eurer Beziehung anstellen können.“
„Wie meinst du das?“
„Ich habe ein bisschen meine Magie spielen lassen und mit den richtigen Worten einen Liebeszauber auf deinen Freund gelegt. Ich habe ihn dazu gebracht, dass er sich für ein paar Minuten unsterblich in mich verliebt.“
„Du hast ihn verzaubert? So ein Schwachsinn!“, stritt ich vehement ab und machte eine ernste Mine. Auch, wenn ich mir nichts sehnlichster, als eine einfache Erklärung für seinen Seitensprung gewünscht hatte, konnte ich ihe nicht glauben.
„Du scheinst deinem Liebsten ja keinerlei Vertrauen entgegen zu bringen“, lachte Luna gehässig.
„Wieso sollte ich ihm noch vertrauen? Selbst, wenn du seine Gefühle beeinflusst hast, hätte er dir widerstehen können. Aber das hat er nicht.“
„Ich glaube du unterschätzt mich. Er hatte keine andere Wahl. Egal wie groß sein Wille gewesen wäre, mein Zauber ist immer stärker, als er.“ Ich schwieg. War das wirklich die Wahrheit? Hatte er dieses Mal keine andere Wahl gehabt? Langsam hielt ich diesen Terror nicht mehr aus.
„Du hast den armen Kerl verurteilt. Er konnte sich nicht mal rechtfertigen.“ Wieder schwieg ich. Natürlich hatte ich ihn verurteilt, ab dem Moment, wo ich sie zusammen gesehen hatte. Aber wer hätte das nicht getan? Vielleicht war es falsch gewesen gleich das Schlimmste von ihm anzunehmen, aber wer in Gottes Namen hätte das nicht getan? Es war nicht meine Schuld, dass ich misstrauisch gewesen war. Es war seine Schuld! Richtig?
„Warum hat er dich geküsst? Wieso hast du diesen Zauber nicht für Laureen genommen? Wir wissen beide, dass er nie richtig über sie hinweg sein wird.“
„Laureen hätte er widerstehen können.“
„Das ist unlogisch. Ihr hättet ihm doch nur einen Anstoß geben müssen und schon hätte er ihr zu Füßen gelegen.“
„Nein, er hätte sie durchschaut und davon abgesehen, kann ich keine Liebe erzwingen, wenn sie zwischen zwei Personen schon ein mal existiert hat. Das ist gegen die Regeln“, erklärte sie energisch. Nachdenklich starrte ich auf die Straße. Für mich machte die Sache keinen Sinn. Egal wie stark dieser Liebeszauber wäre, ich würde ihm nie fremdgehen. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Warum sollte man das auch tun, wenn man glücklich war? Wieso? Auch, wenn man verzaubert wurde. Vielleicht war ich in meinem Denken zu eingeschränkt, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er keine Wahl gehabt hatte. Das konnte ich einfach nicht! Ich konnte mir nicht mal vorstellen, wie ich ihm vergeben sollte. Die Bilder bekam ich nicht mehr aus dem Kopf und dieses grausame Gefühl, wenn ich nur daran dachte, würde wohl nie verschwinden.
Für´s Erste ließ ich diese Gedanken in den Hintergrund fallen und dachte darüber nach, wie ich hier bloß wieder rauskommen sollte. Ich saß in einem fremden Auto, das gute hundert Sachen fuhr. Es war also keine Option sich aus dem fahrenden Auto zu werfen. Und diese drei Hexen würden das mit Sicherheit zu verhindern wissen. Eine Weile dachte ich nach und ging tausende Szenarien durch, bis ich schließlich auf eine Idee kam, die vielleicht völlig übergeschnappt war, aber meine einzige Rettung sein könnte.
„Ich habe Hunger”, erklärte ich in die entstandene Stille hinein und brachte Luna zum seufzen.
„Ist mir egal“, entgegnete sie streng und nahm ihren Blick nicht von der nassen Fahrbahn.
„Sollte es aber nicht. Ich kann ziemlich ungemütlich werden, wenn ich hungrig bin.“
„Das interessiert mich nicht. Dann hättest du heute morgen mehr essen sollen.“
„Stimmt, dumm von mir diese Entführung nicht mit eingeplant zu haben“, zischte ich empört und lehnte mich nach vorne. Sofort wurden die beiden Männer aufmerksam und machten sich darauf gefasst, dass ich jede Sekunde auf dumme Gedanken kommen würde.
„Spielt nicht mit meiner Geduld, wenn ich hungrig bin!“
„Halt mich nicht zum Narren“, knurrte sie. Wenn ich doch nur eine Ahnung hätte, wie viel sie über Vampire wusste. Wie viel sie über mich wusste. Ich würde noch Wochen ohne Blut auskommen. Aber vielleicht könnte ich sie glauben lassen, dass ich dringend welches brauchte.
„Mach ich nicht. Ich brauche jetzt Blut.“
„So lange werden wir nicht fahren. Du hältst es bestimmt noch ein paar Tage aus.“
„Na gut, wenn ihr riskieren wollte, dass ich die Beherrschung verliere und euch töte, dann
bitte”, antwortete ich mürrisch und hoffte, sie würde mir glauben. Genervt seufzte sie schwer, nickte aber schließlich doch. Angespannt versuchte ich mir ein Lächeln zu verkneifen und ließ mich wieder in den bequemen Sitz fallen. Zum Glück hatte sie mich die letzten Tage nicht beobachtet. Sonst wüsste sie wohl, dass ich erst gestern Blut getrunken hatte.
„Gut, an der nächsten Tankstelle werden wir halten.“
„Ich denke ein Snickers wird nicht helfen.“
„Dann werden es eben zwei.“ Das meinte sie doch wohl nicht ernst.
„Ich brauche Blut!”
„Du bist so anstrengend. Wir hätten doch lieber ihn nehmen sollen. Der hätte garantiert die ganze Zeit nur verbittert geschwiegen und überlegt, wie er dich beschützen könnte.” Ja, das würde gut zu ihm passen.
„Blöd gelaufen, aber wenn ihr nicht wollt, dass ich noch anstrengender werde, dann solltet ihr euch schleunigst etwas einfallen lassen.“ Wieder seufzte sie und starrte nachdenklich nach vorne. Eine Weile fuhren wir schweigend weiter, bis sie endlich nachgab.
„Danil, lass die kleine Kröte von dir trinken. Sie gibt ja sonst keine Ruhe”, bestimmte sie kalt und wollte uns denken lassen, dass sie in keinster Weise beunruhigt war. Doch ihre zitternden Hände und das nervöse Kratzen am Hinterkopf, ließen andere Dinge vermuten. Gut, das war der erste Teil meines Planes, wie der Zweite allerdings aussah,... wusste ich noch nicht so genau.
Ich wusste nur, dass es kein Zurück mehr gab, wenn ich erst an seinen Adern hängen würde. Ich würde ihn töten, denn genügend Selbstbeherrschung hatte ich immer noch nicht.
„Warum ich?”, fragte er mit zitternder Stimme und blickte mir misstrauisch entgegen. Seine Coolness war längst verschwunden und stattdessen sah er mich beinahe ängstlich an. Natürlich waren sie mir egal, ich meine sie entführten mich, aber ich war in irgendeiner Weise froh, dass die den Typen dazu aufforderte, der mich vorhin zu Boden gedrückt hatte.
„Stell dich nicht so an.“
„Dann mach du es doch.“
„Ich fahre.“
„Und was ist mit ihm?“, fragte Danil und zeigte auf Samuel
„Ich habe dich nicht gebeten, sondern dir einen Befehl erteilt. Mit deiner Quengelei gehst du mir genauso auf die Nerven, wie sie!“
„Na gut“, stöhnte er unsicher und blickte mir vertrauenslos entgegen.
„Keine Sorge, ich habe das schon unzählige Male gemacht“, log ich und lächelte ihn an. Angespannt versuchte ich mein schlechtes Gewissen zu verdrängen. Sie waren selbst schuld daran, ich hatte nicht darum geben entführt zu werden. Außerdem wollten sie mich opfern!
Zögernd reichte mir Danil seinen Arm. Kopfschüttelnd lehnte ich diesen jedoch ab und kam seinem Hals näher.
„Würdest du bitte?“, fragte ich genervt und hob meine Hände nach oben, die immer noch übereinander klebten.
„Vergiss es, komm so klar oder lass es sein“, zischte sie, während wir auf eine einsame Landstraße abbogen. Trist, einsam und vernebelt. Blöd war sie nicht, aber damit würde ich wohl klarkommen, irgendetwas würde mir schon einfallen. Aufgeregt kam ich seiner Halsschlagader näher, die viel zu schnell pochte. Leandro hatte mir erzählt, dass die Opfer über diesen Weg schneller starben. Genießerisch brachte ich meine spitzen Zähne zum Vorschein und ließ Danil damit zusammenzucken. Ohne länger zu zögern, rammte ich sie in sein zartes Fleisch. Ein Gänsehaut erzeugendes Knacken war zu hören und schon schlang sich das außergewöhnlich warme Blut, um meine Zähne. Wie Seide legte es sich auf meine Geschmacksknospen und vernebelte meinen Verstand. Langsam rann es meinen Hals hinunter und füllte mich mit angenehmer Wärme aus. Wärme, die ich seit meiner Verwandlung, so nie mehr gespürt hatte. Der Geschmack war atemberaubend und blendete meine Umgebung für einen Moment aus. Ich hatte plötzlich das Gefühl, alles haben zu können, wenn ich nur weiter trinken würde. Ich könnte die ganze Welt haben!
Meine rationalen Gedanken verschwanden und stattdessen setzte sich das Bedürfnis in mir fest, immer mehr zu wollen. Gierig saugte ich an seinem Hals und versuchte immer mehr zu bekommen. Mehr auf einmal. Das Blut machte mich Willensstark, es ließ meine gute Seite verschwinden und verlieh mir gefährliche Macht. Es nahm meine Schuldgefühle, Ängste, Sorgen und füllte mich komplett mit Licht, mit Wärme und mit Zufriedenheit. Mit innerem Frieden. Die Macht wurde mit jeder Sekunde stärker und plötzlich wusste ich, dass es meine eigene Entscheidung war, ob ich meine Hände bewegen könnte oder nicht. Es war eine Sperre in meinem Kopf, die ich selbst wieder auflösen konnte. Und das tat ich auch. Als hätte ich nie etwas anderes in meinem Leben gemacht, ließ ich den Zwang meiner Hände verschwinden und fiel über diesen Waschlappen her. Ich drehte mich mehr zu ihm, packte seinen Hals mit beiden Händen und drückte meine Zähne immer tiefer in seinen Körper.
„Reicht das nicht langsam?“, fragte Samuel besorgt und legte seine Hand auf meine Schulter, als würde ich damit zur Vernunft kommen. Für mich waren nur wenige Sekunden vergangen, während für sie, außerhalb meiner Welt, Minuten vergangen sein mussten. Ich spürte, wie sein Herzschlag immer langsamer wurde und er immer schwächer. Das brachte mich in Rage. Ich saugte seine Lebenskraft aus und ich ließ seine Seele immer schwächer werden. Plötzlich hatte ich einen Einblick in die Gedanken eines Egoisten, in die Gedanken einer schlechten Person und ich konnte manche Gedankengänge nachvollziehen. Es war plötzlich nicht mehr absurd, den gleichen Weg einzuschlagen. Es war eher verlockend.
„Luna, sag doch was“, befahl er ihr, doch sie war von dieser Situation so überrumpelt, dass sie nichts außer Schweigen entgegenbringen konnte. Meine guten Gedanken waren restlos verschwunden und an ihrer Stelle, tauchten böse, dunkle und rachsüchtige Gedanken auf.
„Sie bringt ihn um!“ Hörte ich es neben mir schreien. Für einen Augenblick konnte ich mich von ihm reißen und funkelte Samuel böse entgegen. Bedrohlich rann das Blut meinen Hals hinunter und ich genoss dieses warme Gefühl. Danil war längst bewusstlos geworden. Aber er lebte noch und das brachte mich dazu, nicht aufhören zu wollen. Ich wollte erst aufhören, wenn ich den letzten Tropfen Blut aus seinen Adern gezogen hätte.
Schnell hatte ich ihn leer getrunken und ihn umgebracht. Ich hatte ihn umgebracht und das gefiel mir. Jetzt waren die anderen dran. Ich wollte Luna umbringen, ich wollte ihr kochendes Blut meinen Hals hinunterfließen lassen. Aber ich hatte noch so viel Verstand in mir, dass ich einen Augenblick nachdachte und mir etwas kluges einfallen ließ.
War es nicht merkwürdig, dass sie mich nicht aufhielten? Für einen Moment sah ich aus dem Fenster und realisierte, dass tatsächlich nur ein paar Sekunden vergangen waren, seitdem ich meine Zähne in seine Haut gehauen hatte. Ich war so schnell, dass ihnen keine Zeit geblieben war, um nachdenken zu können. Das musste ich ausnutzen! Also verschwendete ich nicht länger Zeit, lehnte mich nach vorne und biss in Luna´s Hals. Sie sollte vor Schreck das Lenkrad verreißen und uns endlich von der Straße bringen, damit ich fliehen könnte.
Ich hatte gerade mal den metallischen Geschmack in meinem Mund spüren können, als sie zu schreien anfing, das Lenkrad unbedacht zur Seite riss und das Auto geradewegs gegen die Leitplanke steuerte. Erschrocken versuchte ich mich an irgendetwas festzuhalten. Der Wagen geriet ins Schleudern und fing an sich mehrere Male zu überschlagen. Schnell hatte ich die Orientierung verloren und wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Panisch schnappte ich nach Luft, als der Wagen für einen Augenblick zum Stehen kam und ich dachte, ich hätte es überstanden. Schnell versuchte ich über den Toten zu klettern und nach draußen zu gelangen, als der Wagen einen weiteren Überschlag machte und mich aus dem Gleichgewicht brachte. Unkontrolliert wurde ich durch das Auto geschleudert und verlor schließlich das Bewusstsein, als mein Kopf gegen etwas hartes schlug.
Panisch schreckte ich hoch, als ich Schritte neben mir hörte. Erschrocken sprang ich auf und rannte los, ohne zu begreifen wo ich war. Die Hexen waren verschwunden und ich allein in irgendeinem Wald. Ich konnte das Auto und die Straße nicht sehen. Wie zur Hölle war ich hier her gekommen?
Die Schritte wurden schneller und waren mir dicht auf den Fersen. Mein Atem ging schnell. Durch mein Körper floss pures Adrenalin. Ich rannte ins Unbekannte. Verfolgt von etwas Unbekanntem. Vorsichtig wagte ich immer wieder einen Blick nach hinten, doch hinter mir war rein gar nichts. Der Wald existierte nun nur noch vor mir. Hinter mir war nichts. Keine Schwärze, kein weißer Raum, es gab einfach Nichts. Rannte ich vor dem Nichts davon?
„Renn weiter! Renn weiter!“, befahl ich mir. Aus Angst vor dem Nichts.
Meine nackten Füße jagten über die spitzen Wurzeln und Steine. Wurden beschmiert, mit nasser Erde. Kalter Erde. Die mir die Wärme entzog.
Renn weiter!
Ich tat, was ich mir befahl, obwohl ich mir sicher war, dass es nicht meine Anweisungen waren.
Renn weiter!
Mit vereinten Kräften wich ich Bäumen und Sträuchern aus. Versuchte einen Weg zu finden. Mitten im verwirrenden Dickicht. Mein Atem war kühl, so wie alles andere an mir und plötzlich kam in mir die Sehnsucht nach Wärme auf.
Renn weiter!
Die Stimme nervte. Sie war nicht Meine und sie änderte nichts an meinen körperlichen Leiden. Meine Lunge brannte, wie Feuer und meine Atmung war viel zu hastig und heftig. Ich brauchte mehr Luft, als sie mir geben konnte und das, zusammen mit dem Stechen in meiner Brust, wollte mich zum Stehen bringen, aber diese Stimme verbot es.
Renn weiter!
Endlich drangen bekannte Geräusche in meine Ohren. Autos! Mit letztem Atem kam ich auf einer unbelebten Straße an, die direkt zu einer Brücke führte. Keine Ahnung woher ich das wusste, aber ich war mir sicher, dass sie mein Ziel war, dass dort die Stimme verschwinden würde. Hinter ihr war nichts, überall war nichts. Nur Dunkelheit, aber keine Schwärze.
Rote, lange Stäbe ragten weit in den Himmel hinein, so weit, dass ich ihr Ende nicht sehen konnte. Erschöpft stützte ich mich an ihrem Geländer ab und ließ meinen Blick einen Moment über das stille Wasser gleiten.
Unter mir war ein Fluss, eingepfercht von Felsen. Ich hasste Wälder, sie waren endlos und sie waren dunkel.
Ekelhafte Kopfschmerzen machten sich in mir breit. Es war ein Gemisch aus unerbittlichem Hämmern, einem Ziehen und Drücken. Als wäre mein Gehirn zu groß für meinen Kopf geworden und würde nun mit aller Gewalt, gegen die Schädeldecke drücken. Bilder verzerrten sich vor meinem Auge, ließen mein Gleichgewicht ins Wanken geraten und wollten mich zu Boden zwängen. Doch ich konnte es nicht zulassen, denn plötzlich sah ich mich, wie ich neben mir auf dem Geländer stand und springen wollte. Erst jetzt wurde mir klar, dass es nicht real war. Nichts war real!
Die Schmerzen waren nicht auszuhalten und zwangen mich dazu, die Augen zu schließen. Dann verschwand der Schmerz. Aber ich musste wissen was ich vorhatte. Schreiend öffnete ich meine Augen wieder und sah noch im selben Moment, wie ich sprang. Mein Schrei wurde lauter.
Dann aber erkannte ich Leandro, er würde mich retten! Verzweifelt krallte ich mich am Geländer fest, wollte dem Schmerz widerstehen, ich musste es! Doch mein Ich fiel zu langsam. Ich konnte diese Schmerzen nicht mehr ertragen. Sie zwangen mich in die Knie und legten meinen Körper unsanft auf den Steinboden. Die Schmerzen verschwanden und ich gab auf. Ich wollte aufgeben, doch dann spürte ich einen Hauch an meinen Wangen. Schreiend öffnete ich noch ein Mal die Augen. Vertraute Augen starrten mich an. Augen, nach denen ich mich so sehr gesehnt hatte. Die ganze Zeit über, obwohl sie beinahe in Vergessenheit geraten waren...