Einige Tage und diverse Treffen später machte Mairead ihre ältere Schwester bei einem neuerlichen Ausflug in die Wälder darauf aufmerksam, dass sie sich alsbald auf den Weg nach Hause begeben sollten.
„Wir sollten uns allmählich auf den Weg machen, Glenna. Großmutter wird uns umbringen, wenn wir heute wieder spät zurückkehren. Es wäre nicht das erste Mal in dieser Woche.“
Doch Glenna lachte daraufhin nur und hüpfte vor ihrer Schwester her.
„Sag nicht, dass du nicht darauf erpicht bist, Alaisdair wiederzusehen.“
„Schon. Gleichwohl habe ich Angst vor Großmutters Gezeter.“
„Mach dir nicht so viele Gedanken deswegen. Uns wird mit Sicherheit eine weitere Ausrede einfallen.“
Als sie die nächste Biegung nahmen, konnten sie bereits aus der Ferne die beiden Burschen erkennen, die sie erwarteten.
Sowohl das jüngere als auch das etwas ältere Paar begrüßten einander mit einer Verbeugung, einem Knicks durch die Damen und einem Kuss auf die Hand der Mädchen durch die Herren.
„Ich wage zu behaupten, dass du über Nacht noch schöner geworden bist“, meinte Tomas, als sie Händehaltend nebeneinander herliefen.
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Eine Stunde später hatten es sich beide inmitten des saftig grünen Grases auf einer Decke auf dem Boden gemütlich gemacht.
Tomas lag mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf dem Rücken, Glenna direkt daneben. Ihre Hand ruhte sanft auf seiner Brust.
„Erzähl mir noch einmal vor der wundervollen Burg, auf der du zuhause bist.“
„Noch ist sie nicht mein“, erwiderte der junge Mann mit einem Lächeln. „Sie gehört meinem Vater. Er ist das Clanoberhaupt. Es ist ein schöner Ort. An jeder ihrer Mauern sprießt Heidekraut. Zugleich ist durch die angebrachten Fackeln in der Dunkelheit alles hell erleuchtet. Selbige brennen Tag und Nacht. Wenn wir über den Gebirgspass reiten, erstrahlt ihr Licht wie ein Meer von Glühwürmchen. Es gibt zwanzig Türme und eine Brücke, die weitaus größer ist als die von Eilean Donan. Unsere Burg ist aus Stein. Es ist warm und heimelig, da es in jedem Zimmer mindestens zwei Feuerstellen gibt. – In der Great Hall gibt es gar vier davon.“
Glennas Augen waren geschlossen. Sie seufzte bei Tomas‘ Erzählungen leise auf und streichelte gedankenverloren über seinen Oberkörper.
„Wo hast du dort deinen Platz?“
Lächelnd fuhr er fort.
„Ich sitze zur Rechten meines Vaters. An meiner Seite wird irgendwann meine Frau sein, gekleidet in die schönsten Roben, die man sich vorstellen kann. – Auf einem extravaganten mit Gold und Juwelen überzogenen Thron.“
Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck öffnete Glenna ihre Augen.
„Ich würde das gern sehen.“
„Das wirst du, lassie. Ich werde dich womöglich dorthin mitnehmen.“
„Warum nur womöglich?“
„Frag nicht so viel und halt lieber still!“, sagte er, wobei er sich ein wenig bewegte, um sich auf seinem Ellenbogen abstützen zu können. Den anderen Arm streckte er aus. Er begann mit seiner Hand in ihrem Haar herumzuwühlen, aus dem er kurze Zeit später mit seinem Finger einen winzigen Marienkäfer zum Vorschein brachte.
„Scheinbar war der Kleine ein wenig verwirrt. Ein schöner Käfer für eine schöne Dame.“
Glenna gluckste vor sich hin. Sie übernahm den Marienkäfer von Tomas‘ Finger. Das Tierchen kroch bis zu ihrer Fingerspitze hinauf, entfaltete die Flügel und flatterte davon.
Als sie sich zurücksinken ließen, umschlang Tomas ihre Taille mit seinem rechten Arm.
Entspannt kuschelte sich Glenna an ihn.
„Wirst du morgen um dieselbe Zeit hierherkommen? Alaisdair und ich haben noch einen Tag, ehe wir nach Hause zurückkehren müssen.“
Ohne weiter darüber nachzudenken, gab sie ihr Einverständnis.
„Natürlich, Tomas. Vielleicht kannst du mir früher oder später ja deine Heimat zeigen.“
„Aber selbstverständlich. Ich werde dich mit mir nehmen, mein schönes Mädchen, und dich heiraten.“
Seine Umarmung wärmte sie. Der Stoff seines Plaids streifte ihre Wange.
„Ich würde das hier nicht machen, wenn ich nicht die Absicht hätte, dich zu der meinen zu machen.“
Überrascht und mit weit aufgerissenen Augen richtete sich Glenna auf.
„Das geht nicht, Tomas! Ich kann meine Schwestern nicht einfach verlassen! Wir dürfen nicht voneinander getrennt werden. Wir sind durch eine besondere Macht aneinandergebunden.“
Tomas setzte sich nun ebenfalls auf, legte ihr die Arme um die Schultern und meinte: „Mein süßes Mädchen. Hast du ernsthaft angenommen, dass ich das nicht wusste? Ich habe vier jüngere Brüder. Ich weiß genau, wie eng die Bindung zwischen euch ist.“
Er nahm ihre Hand in die seine und streichelte diese sanft.
„Fünf Finger ergeben eine Hand. Jeder Finger ist eine Schönheit für sich, aber nur alle fünf zusammen ergeben ein Ganzes. Wo fünf waren, wird es zehn geben.“
Mit einem Kuss ließ er von ihrer Hand ab, an dem an ihrem Ringfinger nunmehr ein wunderschöner, silberner Ring prangte.
„Oh, Tomas!“, hauchte sie, völlig von ihren Gefühlen überrumpelt. „Ich…“
Tomas brachte sie zum Schweigen, indem er zwei seiner Finger auf ihre Lippen legte. Dabei blickte er ihr tief in die Augen.
„Wenn ich in einigen Tagen zurückkomme, werde ich meine anderen Brüder mitbringen. Wir werden tanzen und singen. Das gesamte Dorf soll Zeuge unseres Handfastings werden.“
Überglücklich umschlang Glenna seinen Oberkörper, Anschließend sanken sie zurück auf die Decke.
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das Haus der MacRae's
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