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Nach dem Prompt „Mondfisch“ der Gruppe „Crikey!“
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Die Takelagen flatterten sacht. Wind füllte die Segel, beständig, aber nicht zu straff, und trug die Fregatte weiter vorwärts gen Norilsk. Jedoch war das Eismeer noch fern, die Nacht war warm genug, dass der Steuermann nur ein Hemd trug. Begleitet vom leisen Plätschern der Wellen am Kiel wachte er über die Fahrt des Schiffes und hielt den Kurs.
Er sah auf, als Schritte die Monotonie durchbrachen.
"Ruhige Nacht?", grüßte Shen, die taffe Bergelfe, die zum Steuer heraufstieg.
"Du hast noch eine Stunde", brummte Jakir mit Blick zum Sandglas.
"Kann nicht schlafen." Shen stellte sich neben ihn und legte die Arme auf die Brüstung. Mit ihrem einen Auge - das andere lag unter einer Augenklappe - sah sie auf das Meer.
"Ich bin auch nicht müde. Ist 'ne Menge zu verdauen." Jakir machte keine Anstalten, das Steuer loszulassen. "Unsere erste Nacht als Vogelfreie."
"Jetzt sind wir Piraten." Shen grinste grimmig und freudlos. "Ich glaube, Kapitän Druskan hat die richtige Entscheidung getroffen. Aber ich frage mich, was wir ohne die Leitung der heiligen Flamme tun sollen."
Beide sahen hinunter zu der leeren Laterne, die noch immer in der reich verzierten Halterung am Bug hing. Früher hatte die magische Flamme sie zur Beute geführt. Aber da sie sich nun weigerten, alles bis auf wenige Münzen an ihre Herren in Kivehara abzugeben, hatten sie auch die Flamme ersticken müssen, um nicht aufgespürt zu werden.
Jetzt waren sie frei - in der positiven wie in der beängstigenden Hinsicht. Es gab keinen doppelten Boden mehr, kein Auffangnetz. Nur noch die Crew und die See ...
"Wir schaffen das schon", meinte Jakir.
"Aber wie? Wir haben nichts mehr, das uns leitet." Beunruhigt sah Shen wieder nach vorne.
"Ich denke, wir werden was finden." Jakir wechselte die Hand am Steuer.
Shen sah nach vorne auf die Weiten. Eine Weile sprach niemand, bis Shen sich plötzlich aufrichtete und statt der Ellbogen die Hände ans Geländer nahm. "Hey! Was ist das da vorne?"
"Wo?" Jakir sah an dem Segel vorbei.
"Auf dem Wasser. Vor uns! Und da! Neben uns auch!"
Jakir sah hin und zuckte die Schultern. "Die Spiegelung der Monde."
Shen lief das Oberdeck ab. "Auf allen Seiten um uns herum? Sechs Mal?"
"Es sind sechs?" Jakir sah zu den vier Monden am Himmel, dann stellte er das Steuerrad fest und sah auf die Wellen.
Es waren tatsächlich sechs blasse Kreise, die ihnen folgten. Einer war vor, einer hinter dem Schiff, jeweils zwei auf der Steuer- und Backbordseite. Ein Schauer überlief ihn. Die Flecken waren auch größer als zu dem Moment, da er sie zuerst erblickt hatte. Sie schienen von selbst zu schimmern. Riesig - fast ein Viertel der Größe des Schiffes! - schwammen sie in gleicher Geschwindigkeit neben ihnen.
Shen beugte sich vor. "Sind das ... Fische?"
Jakir nickte benommen. Er erkannte zwei längliche Flossen an den Seiten der Fische. Waren es die Seiten? Es wirkte eher wie Oben und Unten, aber die Fische schienen auf der Seite zu schwimmen.
"Weißt du, woran sie mich erinnern? An Mondfische!", rief Shen begeistert. Sie fürchtete sich kein Bisschen vor den Riesen. "Sie sind neugierig, also sind sie näher gekommen. Aber sie sind so groß. Die vor der Küste von Dhubya waren viel kleiner."
"Und ... was fressen Mondfische so?"
"Ach, bloß Quallen." Shen lachte und klopfte ihm auf die Schulter. "Sie tun uns schon nichts."
"Aber das hier sind größere Mondfische?"
"Sie sind riesig!" Shens Augen leuchteten. "Sie müssen uralt sein. Vielleicht leben sie seit dem Zeitalter der Finsternis! Und jetzt haben sie beschlossen, uns zu leiten."
"Glaubst du das wirklich?"
Shen nickte überzeugt. "Wir brauchten neuen Schutz. Es ist schon ein großer Zufall, dass sich diese Giganten ausgerechnet heute zeigen, ausgerechnet uns. Das ist ein gutes Omen!"