Rating: P12 [CN: Off-screen Tod]
Nach dem Prompt „Walhai [tierischer Sternenhimmel]“ der Gruppe „Crikey!“
Weitere Inspirationen:
"Der Sternenwal" - Doktor Who Folge
"Geisterschiff" - Lied von Schandmaul
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Sie hatten nicht viel aus dem Wrack bergen können. Die Schätze, mit der Druskan seiner Mannschaft ein Leben in Freiheit - oder wenigstens bessere Bordgeschütze zu ihrer Sicherheit - hatte ermöglichen wollen, waren zu tief unter den Wellen begraben. An die Oberfläche war nur weniges getrieben worden: Segeltuch, Vorratskisten, einige Fässer. Das, was wirklich zählte - wenn man so wollte. Und auch die leere Halterung für die heilige Flamme hatten sie geborgen, jene erloschene Laterne, die ihnen früher den Weg gewiesen hatte. Nun stand das verzierte Holz wie ein Pfahl auf einer Landzunge, ein erloschenes Licht, sinnbildlich für die Crew, die keinen Weg mehr wusste.
Ihre Vorräte hatten eine Weile vorgehalten. Währenddessen hatten sie versucht, ein Floß zu bauen. Doch alles Holz der Insel sank. Dann waren ihre Vorräte zur Neige gegangen. Sie hatten nach Fruchtbäumen gesucht und gejagt, doch die Froschinsel - wie sie den Ort ihres Schiffbruchs inzwischen nannten - hatte außer Amphibien nichts zu bieten. Und diese verstanden es, sich meisterlich vor der hungrigen Besatzung zu verbergen.
Nun waren einige Tage vergangen und es ließ sich nicht länger leugnen, was Kapitän Druskan nicht einsehen wollte: Sie verhungerten nicht. Das Verlangen nach Essen wurde niemals nagender, auch nach Tagen nicht. Ihr Durst blieb wenig mehr als eine wage Erinnerung.
Und schließlich Vergessenheit.
An einem Abend schließlich rief er Shen und Jakir zu sich.
"Wir sind tot, nicht wahr?" Die Elfe wusste sofort, worüber er sprechen wollte. "Wir sind im Sturm gestorben und sitzen nun im Jenseits."
"Lasst uns nichts überstürzen", murmelte Druskan. "Es könnte eine bisher unentdeckte Magie sein. Ein Zauber. Vielleicht sogar etwas im Boden, das sich wissenschaftlich erklären lässt. Fakt ist, dass wir nicht entkommen werden. Etwas hält uns hier. Ob es der gleiche Zauber ist, der uns am Leben erhält, oder eine zweite Macht, werden wir vielleicht nie erfahren." Er drehte sich dem Ozean zu. Wellen rollten an das Land, ihr Murmeln klang wie ein Versprechen, wie ein Ruf. Die Masten gesunkener Flöße ragten aus der Bucht wie Mahnmale. Auf der vorgelagerten Landzunge stand die leere Laterne, die seinen Blick immer wieder auf sich zog. Die Monde standen am Himmel, ganz wie in jener Nacht, da sich die großen Mondfische gezeigt hatten.
"Nennt mich verrückt", sagte er zu seinen beiden treuen Freunden, "doch es fühlt sich an, als fehlt uns ein Licht. Etwas, das uns durch die Nacht leiten kann."
"Verrückt? Vielleicht." Shen seufzte. "Aber wir sind wirklich wie Blinde, seitdem wir geflohen sind. Ich meine, sieh uns an, Druskan! Wir haben eine Zeitlang Piraten gespielt. Aber was hat uns unsere Beute gebracht?"
"Vielleicht gibt es sogar eine logische Erklärung." Jakir steckte die Daumen in den Gürtelbund. "Du sehnst dich nach der Flamme. Könnte eine unbewusste Erkenntnis sein. Die heilige Flamme war magisch. Und ich würde Gift darauf nehmen, dass es Magie braucht, um dieser Insel zu entkommen." Der Zwerg brummte unzufrieden. "Und wir haben keine Magier."
"Anders gesagt", ergänzte Shen: "Du klingst völlig verrückt, Käpt'n. Aber wir sind in einer verrückten Situation. Also, ein neues Licht? Ich schätze, die heilige Flamme wollen wir nicht wieder entzünden. Dann würden sie uns direkt finden und jagen."
"Nein", stimmte Druskan zu. "Ich denke nicht, dass es der richtige Weg wäre, weiterhin Gold für die kiveharische Krone zu erbeuten. Wir sollten keinem Land dienen, das seine Bewohner so ausbeutet, während es im Reichtum schwimmt."
Sie sahen auf die Wellen. Druskan fühlte, dass die Antwort ganz nah sein musste. Er konnte sie fast sehen, wie eine Muschel auf dem sandigen Boden am Grund eines klaren Teiches. Doch wenn er die Hand danach ausstreckte, erwies sich das Wasser als zu tief, um sie zu ergreifen, und die aufgewühlten Wellen ließen das Bild verschwimmen.
"Wir müssen bald mit der Mannschaft sprechen", sagte Jakir leise. "Sie merken, dass etwas nicht stimmt, genau wie wir."
Druskan antwortete nicht. Er sah zu den Monden, zu den Wellen, die ihn zu rufen schienen. "Wir sollten Gutes tun", murmelte er selbstvergessen. "Wir sollten helfen und nicht stehlen, weder für uns noch für andere ..."
Und wie als Antwort kam der Ruf. Ein lauter, klagender Ton, der im Sand unter ihren Füßen zu vibrieren schien. Die Besatzungsmitglieder am Waldrand sprangen auf und liefen zu ihrem Kapitän. Er hörte mehrere murmeln, dass der Tod sie nun wohl endlich holen käme, und er konnte ihnen nicht widersprechen. Dieser laute Ruf klang wie das Ende aller Hoffnung.
Ein großer Schimmer erhob sich im flachen Wasser der Bucht. Zunächst erschien es wie die Spiegelung der Sterne, doch die Lichtflecken wurden immer dichter und brachen schließlich über die Wellen. Erst als das dunkle Wesen sich in die Luft erhob, war sein Körper von der Farbe der Abenddämmerung erkennbar, dunkelblau, fast schwarz, doch besetzt mit leuchtenden Sternen.
Es war riesig. Träge trieb der große Fisch in den Himmel, direkt vor den Augen der staunenden Mannschaft. Im ersten Moment hielt Druskan ihn für einen Wal, doch schließlich bemerkte er die aufrechte Hinterflosse und konnte den breiten Kopf besser erkennen.
"Ein Walhai ..." Doch dieser Gigant war sogar noch zwei-, dreimal so groß wie ein Walhai, ganz zu schweigen davon, dass er körperlos durch den dichten Urwald fliegen konnte, ohne die Bäume mehr als ein wenig zu beugen.
Niemand dachte daran, zu fliehen. Diesem Giganten konnte man nicht entkommen. Und so war es gut, dass der Sternenhai keine Anstalten machte, die Piraten anzugreifen. Er zog einige weite Kreise über der Insel, dann tauchte er in die Bucht, welche eigentlich viel zu flach für den Riesen war. Die Masten der gesunkenen Flöße bewegten sich, hafteten am Leib des Riesen fest, und wirbelten aus der See in die Höhe. Vor den Augen der Mannschaft verband sich das Holz zu einem Schiff, in dessen Herzen und Bug der Walhai ruhte, der das ganze Gefährt durch die Wolken und schließlich ans Ufer der Insel führte. Als letztes bewegte sich die Laterne, noch immer in ihrer verzierten Fassung, und setzte sich an den Bug des neuentstandenen Schiffes. Dann glühte hinter ihrem Glas ein weißblaues Licht auf wie ein gefangener Stern.
Die Crew am Strand wagte sich kaum zu rühren. Vor ihnen trieb das Schiff auf sachte schaukelnden Wellen. Der Weg von der Insel herunter, der Weg in die Freiheit.
Doch es gab einen Preis zu zahlen, eine Schuld für all jene, die ihr Schiff einst versenkt hatte. Die Crew musste büßen für alle Seelen, die sie auf den Grund des Meeres gesandt hatte, sowohl im Auftrag als Freibeuter als auch während ihrer kurzen Zeit als Piraten.
Und noch Jahre später berichten Kapitäne, die in einen Sturm geraten sind, vom Erscheinen eines geisterhaften Schiffes. Ein klagender Ruf sei zu hören, wann immer das merkwürdig leuchtende Gefährt erschien, dessen helle Buglaterne jeden, der ihr folgte, aus dem Sturm herausführte. Jedes Mal danach verschwand das Schiff, es stieg in die Wolken oder sank unter die Wellen. Niemand wechselte je ein Wort mit seiner Besatzung, doch einige wenige sagten, sie hätten den Namen des Schiffes lesen können.
Die Leuchtfeuer.