Nach dem Konfirmandenunterricht gab es Neuigkeiten in der Wohngruppe, die mir Elian fast sofort erzählte. „Ich ziehe hoffentlich bald aus“, erklärte er mir direkt: „Die Eltern von Lukas, meinem Kumpel, würden mich gerne einziehen lassen, wenn das Jugendamt das okay gibt.“ Lukas war wie Elian transgender, was bedeutete, dass sich die Eltern damit in gewisser Weise auskannten. „Freut mich für dich“, antwortete ich etwas steif und machte, dass ich in mein Zimmer kam, Elian war mit Marie der Einzige Freund den ich hier hatte. Marie konnte aber auch nicht mehr nach Hause ähnlich wie Elian, ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben, ihr Vater lag im Sterben. Keine Chance wieder zurückzukehren, Verwandtschaft hatte sie auch nicht.
Trotzdem hing mir das mit Elian und seinem baldigen Auszug ziemlich in den Gedanken fest, es schien schon so sicher, obwohl das Jugendamt nicht einmal das okay gegeben hatte. Es war gerade einmal halb fünf, der Tag war eigentlich noch zu lang, um sich ins Bett zu legen und nicht wieder aufzustehen. Marie war mit einer Schulfreundin in der Stadt unterwegs, Elian und Lukas waren auch alleine beschäftigt, ich war alleine und hatte zu viel Zeit zum Nachdenken. Das war für mich in diesem Moment nicht unbedingt förderlich, meine Wahrnehmung richtete sich auf das negative. Alles an mir störte mich plötzlich massiv, am liebsten wäre ich in dem Moment einfach nur tot umgefallen, mich hätte es alles andere als gejuckt in diesem Moment.
Elian fuhr am Sonntagabend zurück in die Klinik, die Eltern von Lukas brachten ihn dahin, Morgen ging für sie die Diskussion mit dem Jugendamt los. Samstag hatte diese ja noch nicht starten können, auch wenn ich nicht besonders begeistert davon war, aber für Elian war es das Beste, da konnte ich nichts gegen sagen. Er umarmte mich lange zum Abschied: „Mach keine Scheiße bitte, Luna ich bitte dich, denk nicht einmal dran.“ Er sah mir streng in die Augen und wartete bis ich widerwillig nickte und er anschließen Marie umarmte: „Pass auf die Deppin bitte auf.“ „Mach ich, wenn sie mich lässt“, Maries Mundwinkel zuckten ein wenig nach oben: „Wird schon nicht so schwer sein.“ „Hoffe ich doch“, Elian nahm seine Sporttasche wieder auf und lief zum Auto.
„Du hast ihn gehört“, Marie drohte mir mit dem Finger: „Du baust keine Scheiße, auch wenn er nicht da ist für länger.“ „Jaja“, ich seufzte und lief ihr voraus über den Hof zum Haus zurück und die Treppe nach oben zu den Zimmern und stieß fast mit Armin, einem der neuen Bewohner zusammen: „Sorry.“ Armin zuckte nur mit den Schultern und lief weiter die Treppe herunter ohne noch etwas zu sagen, ich bog in den Mädchentrakt ab und war froh, dass Marie weiter in ihr eigenes Zimmer lief. Was sie aber nicht wusste, war, dass ich mir aus der Küche ein Messer schon geklaut hatte und damit Elians Bitte direkt schon gebrochen hatte. Das juckte mich in diesem Moment allerdings auch gar nicht wirklich.
Das Gefühl von Blut, dass an meinem Handgelenk herunterlief, war nicht besonders angenehm, ich wischte mir mit meinem Handtuch das Blut ab und kippte Desinfektionsmittel über die Schnitte. Einen Verband sowie das Desinfektionsmittel hatte ich aus der nächsten Apotheke, gekauft hatte ich es in der nächsten Apotheke, die ebenfalls nicht weit entfernt war. Zum Glück kam niemand um mich von irgendetwas abzuhalten, den Verband befestige ich Notdürftig mit einer Tonne Tesafilm. Tape musste Dringend auf die Liste von Dingen die ich brauchte. Ich wischt das Blut mit dem Handtuch vom Messer und warf es in meinen Schrank zurück, damit es niemand sah. Dann schlurfte ich mit brennendem Unterarm in mein Bett und kuschelte mich unter meine Bettdecke, ohne vorzuhaben noch einmal aufzustehen.
Am nächsten Morgen fiel Mia als erstes mein Verband auf, eigentlich hatte ich vorgehabt einen Pullover anzuziehen, aber Frau Finke hatte mich davon abhalten. Sie hatte mich aber nur in Jacke gesehen, aber Mia nicht, es wurde im Klassenraum, mit Fenstern nach Südosten viel zu warm. „Was hast du an deinem Arm gemacht“, wollte sie direkt wissen, als ich meine Jacke ausgezogen hatte. „Mich nur blöd an einem Karton geschnitten“, brummte ich und wandte mich nach vorne und unserem Klassenlehrer zu. „So“, er knallte die Tür zu: „Was war das letzte Woche Freitag im Spanischkurs? Muss das sein, dass ihr eine Lehrerin zum Heulen bringt?“ Ich zuckte nur mit den Schultern, da ich sowieso Französisch hatte und nichts mit Spanisch anfangen konnte und auch nicht wusste was passiert war.
Das erfuhr ich aber ziemlich schnell, da der Lehrer das mit den entsprechenden Klassenkameraden ausdiskutierte. Sie hatten wohl sie mit Papierkügelchen bombardiert, den Unterricht unmöglich gemacht und am Ende sich in das Wlan gehackt, wie auch immer sie das geschafft hatten und sie irgendwie zum Weinen gebracht, wie hatte ich nicht verstanden. Auf jeden Fall wollte die Lehrerin jetzt eine Klassenkonferenz mit dem Spanischkurs, was über die Hälfte der Klasse betraf. Das wurde kein Zuckerschlecken und die Eltern wurden mit einem Elternbrief ebenfalls vom Klassenlehrer benachrichtigt. Ich überflog nur kurz den Brief, da er mich ja eigentlich nicht betraf.
Nach acht Stunden Schule brachte ich rasch den Elternbrief ins Büro, den Frau Finke mit einem Nicken quittierte. „Der betrifft mich nicht, ich habe Französisch und kein Spanisch“, erklärte ich rasch und die Betreuerin las sich rasch den Zettel durch. „Gut dann hoffe ich, dass ihr aus dem Französischkurs euch daran kein Vorbild nehmt“, erklärte sie. „Selbst wenn würde ich nicht mitmachen“, erwiderte ich und wartete ab, was sie noch weiter zu dem Zettel sagen würde. „So hatte ich dich auch eingeschätzt“, Frau Finke legte den Zettel in den Drucker: „Ich scanne den Zettel ein und schicke ihn deinem Vater.“ Ich nickte zur Bestätigung und wandte mich wieder zum Gehen, auch wenn ich Frau Finkes Blick in meinem Nacken bemerkte, ich hatte schließlich eine Jacke an.
Ich machte mich aber auch direkt wieder auf den Weg, ich wollte mir in der nächsten Apotheke Desinfektionsmittel und mehr Mullbinden einkaufen, soweit es von meinem Taschengeld her reichte. Ein bisschen was kam da bei mir durchaus schon zusammen, mein Vater überwies aus irgendwelchen Gründen auch noch Geld an mich. Im Moment mehr zu meinem Vorteil, die Apothekerin musterte mich nur kurz, als ich einen Stapel Mullbinden und ein weiteres Desinfektionsmittel kaufte. „Brauchen die Schulsanitäter deiner Schule neues Material“, sie lächelte über meinen verdatterten Blick, dass sie das fragte. Dann nickte ich allerdings ein wenig beklommen als ich bezahlte: „Ja, der Lehrer ist gerade länger krank und wir müssen uns das Material selbst besorgen.“ „Na dann viel Erfolg damit“, ich nickte dankbar.
Zum Glück hatte ich einen Beutel mitgenommen und kaufte mir noch beim Supermarkt 200 Meter weiter eine Tüte Chips, die ich mir mit Marie noch teilen wollte. Ich meldete mich im Büro, dass ich wieder da war und brachte die Materialien in meinem Schrank unter dem Handtuch unter, bevor ich Marie einen Besuch abstattete.