»Also, Meister Zhao«, Luo-Zhi atmete tief durch. »Was ist so wichtig, dass Ihr meinen Spaziergang mit meiner Frau unterbrecht? Ihr wisst selbst, wie selten ich dazu komme.«
Meister Zhao verbeugte sich tief. »Verzeiht mir, Herr. Aber es ist nicht nur irgendein Bote. Sondern einer der direkt aus dem Kaiserhaus geschickt wurde.«
Luo-Zhi spürte, wie sich ein Knoten in seinem Magen bildete. Er dachte an Li-Hua, an den Moment der Nähe, den sie gerade geteilt hatten. Es schmerzte ihn, dass dieser seltene, friedliche Augenblick so abrupt unterbrochen worden war. Doch seine Pflicht rief, und er wusste, dass er keine Wahl hatte.
»Ich verstehe«, sagte er schließlich, seine Stimme ruhig und beherrscht. »Führt mich zu ihm.«
Während er Meister Zhao durch die Gänge der Burg folgte, ließ Luo-Zhi seinen Blick noch einmal zurück in den Garten schweifen. Er konnte Li-Hua in der Ferne sehen, wie sie gemeinsam mit Mei-Lin langsam zwischen den Blumen wandelte. Ihr Anblick erfüllte ihn mit einer Wärme, die er lange nicht mehr gespürt hatte.
»Es tut mir leid, Li-Hua«, dachte er bei sich. »Ich wünschte, ich könnte mehr Zeit mit dir verbringen.«
Als sie sein Arbeitszimmer erreichten, nahm Luo-Zhi einen tiefen Atemzug und straffte seine Schultern. Was auch immer der Bote zu berichten hatte, er musste bereit sein, es mit der Würde und Stärke eines Generals zu empfangen.
»Lasst den Boten eintreten«, befahl er Meister Zhao, nachdem er hinter seinem Schreibtisch Platz nahm.
Die Tür öffnete sich, und ein junger Mann in den Farben des Kaiserhauses trat ein. Er verbeugte sich tief vor Luo-Zhi.
»General Qing«, begann der Bote mit zitternder Stimme. »Ich bringe Nachrichten von höchster Wichtigkeit aus der Hauptstadt.«
»Sprecht«, sagte Luo-Zhi mit ruhiger, aber bestimmter Stimme. Er beobachtete, wie der Bote nervös ein versiegeltes Schreiben aus seiner Tasche zog.
»Mein Herr«, begann der Bote, »ich überbringe eine dringende Botschaft von Seiner Kaiserlichen Majestät höchstselbst.« Er reichte Luo-Zhi das Schreiben mit zitternden Händen.
Luo-Zhi nahm das Dokument entgegen, sein Gesicht eine Maske der Gelassenheit, während sein Herz schneller schlug. Er brach das kaiserliche Siegel und entfaltete das Papier, seine Augen flogen über die Zeilen. Mit jedem Wort, das er las, vertiefte sich die Falte zwischen seinen Augenbrauen.
Die Nachricht war ernst: Eine Rebellion im Norden des Reiches drohte sich auszubreiten. Der Kaiser forderte seine unmittelbare Aufmerksamkeit und seine Anwesenheit an der Grenze.
Luo-Zhi legte das Schreiben behutsam auf den Tisch und blickte auf. Der Bote stand noch immer vor ihm, sichtlich nervös auf eine Reaktion wartend.
»Ich danke Euch für die Überbringung dieser wichtigen Nachricht«, sagte Luo-Zhi schließlich. »Ihr könnt Euch ausruhen und erfrischen. Meister Zhao wird sich um Eure Bedürfnisse kümmern.«
Nachdem der Bote sich verbeugt und den Raum verlassen hatte, lehnte Luo-Zhi sich in seinem Stuhl zurück und schloss für einen Moment die Augen. Die Verantwortung lastete schwer auf seinen Schultern.
Er dachte an Li-Hua, an die zarte Verbindung, die zwischen ihnen zu wachsen begann. Wie würde sie reagieren, wenn er ihr von dieser Entwicklung erzählte? Mit einem tiefen Seufzer öffnete er die Augen wieder. Er musste handeln, und zwar schnell.
Doch bevor er irgendwelche Befehle erteilte oder Pläne schmiedete, wusste er, dass er zuerst mit Li-Hua sprechen musste. Sie verdiente es, die Wahrheit von ihm zu erfahren, bevor die Gerüchte sie erreichten. Er war sich sicher, dass diese Li-Hua nur verunsichern würden. Da war es besser, wenn er selbst ihr erklärte, was passierte.
Luo-Zhi erhob sich von seinem Schreibtisch, seine Bewegungen entschlossen. Er würde Li-Hua finden und ihr alles erklären. Es würde nicht einfach sein, aber er hoffte, dass sie verstehen würde. Vielleicht, dachte er mit einem Anflug von Hoffnung, könnte diese Herausforderung sie sogar näher zusammenbringen.
Mit diesem Gedanken machte er sich auf den Weg zurück in den Garten, wo er Li-Hua zuletzt gesehen hatte. Die Pflicht rief, aber für einen Moment länger wollte er noch der Ehemann sein, der er zu werden versuchte - offen, ehrlich und an ihrer Seite.
»Luo-Zhi, du bist wieder zurück.« Li-Hua lächelte ihn an, als Luo-Zhi zu ihr trat.
Er nickte langsam. »Darf ich mich kurz zu euch setzen? Es gibt etwas, das wir besprechen müssen.« Luo-Zhi sah erst zu Li-Hua, dann zu Mei-Lin.
Luo-Zhi spürte, wie sich sein Herz zusammenzog, als er Li-Huas Lächeln sah. Er wusste, dass er im Begriff war, dieses Lächeln zu trüben, und der Gedanke schmerzte ihn mehr, als er erwartet hatte.
»Natürlich«, antwortete Li-Hua, ihre Stimme warm und einladend. Sie rückte zur Seite, um Platz für ihn zu machen.
Luo-Zhi setzte sich, sein Körper angespannt trotz der friedlichen Umgebung des Gartens. Er bemerkte, wie Mei-Lin einen besorgten Blick mit Li-Hua austauschte, und er wusste, dass seine ernste Miene seine innere Unruhe verriet.
»Wenn Ihr es wünscht, lasse ich Euch gerne alleine mit Li-Hua reden, General Qing«, bot Mei-Lin an. »Es scheint etwas ernstes zu sein.«
Luo-Zhi schüttelte den Kopf. »Nein, bitte bleib. Es betrifft indirekt auch dich. Dein Bruder wird es dir vermutlich ohnehin in den nächsten Tagen mitteilen, nehme ich an.«
Luo-Zhi atmete tief durch, bevor er fortfuhr. Er spürte die Blicke der beiden Frauen auf sich und wusste, dass er behutsam vorgehen musste.
»Ich habe soeben eine Nachricht vom Kaiser erhalten«, begann er, seine Stimme ruhig und kontrolliert. »Es gibt Unruhen in den nördlichen Provinzen, die sich zu einer ernsthaften Bedrohung für das Reich entwickeln könnten.«
Er beobachtete, wie sich Li-Huas Augen vor Sorge weiteten, und er wünschte, er könnte ihre Ängste zerstreuen. Doch er musste ehrlich sein. »Der Kaiser hat mich beauftragt, zusätzliche Truppen in den Norden zu führen, um die Situation unter Kontrolle zu bringen«, fuhr er fort. »Es bedeutet, dass ich... für einige Zeit fort sein werde.«
Luo-Zhi sah, wie Li-Hua leicht zusammenzuckte, und er spürte einen Stich in seinem Herzen. Er hatte gehofft, mehr Zeit mit ihr verbringen zu können, ihre Beziehung zu vertiefen. Nun schien das Schicksal andere Pläne zu haben.
»Wie lange?«, fragte Li-Hua leise, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. »Ich weiß es nicht genau«, gab Luo-Zhi zu. »Es könnten Wochen sein, vielleicht sogar Monate. Die Situation ist unberechenbar.«
Er wandte sich an Mei-Lin. »Dein Bruder wird mich begleiten. Ich hoffe, du verstehst, warum ich möchte, dass du hier bei Li-Hua bleibst. Sie wird deine Unterstützung brauchen.«
Mei-Lin nickte ernst. »Natürlich, General. Ich werde für Li-Hua da sein.«
Luo-Zhi fühlte eine Welle der Dankbarkeit für Mei-Lins Präsenz. Er wusste, dass Li-Hua nicht allein sein würde, und das gab ihm zumindest ein wenig Trost.
»Li-Hua«, sagte er sanft und wagte es, ihre Hand zu nehmen. »Es tut mir leid, dass ich gehen muss, gerade jetzt, wo wir... wo wir uns besser kennenlernen. Aber ich verspreche dir, dass ich so schnell wie möglich zurückkehren werde.«
»Luo-Zhi, ich-« Li-Hua unterbrach sich. Dann tat sie etwas, dass er so gar nicht erwartet hatte. Sie umarmte ihn.
Luo-Zhi erstarrte für einen Moment, überrascht von Li-Huas plötzlicher Umarmung. Dann, langsam und vorsichtig, legte er seine Arme um sie. Er spürte ihre Wärme, ihre Zerbrechlichkeit, und gleichzeitig ihre Stärke. In diesem Moment wurde ihm bewusst, wie sehr er sie vermissen würde.
»Li-Hua,« flüsterte er sanft, sein Atem streifte ihr Haar. Er wollte ihr so vieles sagen, wollte ihr versichern, dass alles gut werden würde, dass er an sie denken würde, jeden Tag. Doch die Worte blieben ihm im Hals stecken.
Stattdessen drückte er sie einfach fester an sich, ließ seine Handlungen für sich sprechen. Er hoffte, dass sie die unausgesprochenen Gefühle spüren konnte, die Zuneigung und den Respekt, die er für sie empfand.
Als sie sich schließlich voneinander lösten, sah Luo-Zhi in Li-Huas Augen. Er sah Sorge darin, aber auch Entschlossenheit.
»Ich werde auf dich warten,« sagte sie leise, aber bestimmt.
Luo-Zhi nickte, überwältigt von der Intensität des Moments. Er wandte sich an Mei-Lin, die diskret zur Seite geblickt hatte. »Fräulein Zhang, ich vertraue darauf, dass Sie sich um Li-Hua kümmern werden.«
Mei-Lin verbeugte sich vor ihm. »Ihr könnt Euch auf mich verlassen, General.«
Luo-Zhi erhob sich, wissend, dass er gehen musste, um die Vorbereitungen für seine Abreise zu treffen. Doch er zögerte, nicht bereit, diesen Moment enden zu lassen.
»Li-Hua,« sagte er schließlich, seine Stimme sanft, aber ernst. »Ich weiß, dass dies nicht einfach für dich sein wird. Aber ich möchte, dass du weißt, dass du stark bist. Stärker, als du vielleicht denkst. Ich habe vollstes Vertrauen in dich.«
Er sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, aber sie nickte tapfer.
»Ich werde mein Bestes geben, Luo-Zhi. Bitte... pass auf dich auf.«
Mit einem letzten, langen Blick auf Li-Hua wandte sich Luo-Zhi zum Gehen. Sein Herz war schwer, aber er fühlte auch eine neue Entschlossenheit. Er würde alles tun, um diese Bedrohung schnell zu beseitigen und zu ihr zurückzukehren. Während er den Garten verließ, schwor sich Luo-Zhi, dass er Li-Hua nicht enttäuschen würde.
Er würde zurückkehren, und wenn er es tat, würde er ihr all die Dinge sagen, die er jetzt nicht aussprechen konnte. Mit diesem Gedanken straffte er die Schultern und machte sich bereit, seiner Pflicht nachzukommen - als General, als Untertan des Kaisers, und als Mann, der langsam begann zu verstehen, was es bedeutete, jemanden zu lieben.