»Wir fahren mit der Kutsche?« Li-Hua sah ihn mit solch vor Überraschung aufgerissenen Augen an, dass Luo-Zhi beinahe laut aufgelacht hätte. »Ich dachte wir reiten in die Stadt, so wie sonst auch.«
Luo-Zhi konnte ein Grinsen nicht länger unterdrücken. »Nein, heute fahren wir mit der Kutsche. Tian ist wieder unser Kutscher«, erklärte er. »Auch wenn das nicht seine eigentliche Aufgabe ist als mein Leutnant aber Meister Zhao wird sicher dankbar sein, wenn er das für ihn übernimmt. Und Huang wird uns mit einem Trupp begleiten. Mei-Lin leistet uns in der Kutsche Gesellschaft.«
»Das klingt aber sehr... übertrieben«, meinte Li-Hua. »Ich denke nicht, dass das alles notwendig ist. Du bist bei mir, nicht wahr? Es wird wohl kaum jemand so dumm sein, uns anzugreifen.«
»Das ist nicht das Einzige, worum es hier geht«, entgegnete Luo-Zhi geduldig. »Du bist meine Frau, Lady Qing. Meine... unsere Familie, steht weit höher im Ansehen beim Militär und beim Kaiser, als die der anderen. Natürlich ist es nicht das, worum es gehen sollte, aber es schadet nicht, die Anwesenden daran zu erinnern.«
Als er die Skepsis in ihren Augen sah, fuhr er fort. »Im Zweifelsfall kann diese Kleinigkeit den Gerichtsprozess entscheiden. . Es geht darum, Stärke und Entschlossenheit zu zeigen - nicht nur für uns, sondern für alle, die uns beobachten werden.«
Luo-Zhi bemerkte, wie Li-Hua diese Information versuchte zu verarbeiten. Er konnte ihr ansehen, dass es ihr nicht gefiel und wusste, dass sie solche Machtdemonstrationen nicht mochte, aber er hoffte, dass sie die Notwendigkeit verstehen würde. Auch dies war eines der Dinge, die es mit sich brachte, seine Ehefrau und Teil seiner Familie zu sein.
Li-Hua seufzte leise, nickte dann aber. »Du hast recht. Es fällt mir nur schwer, mich daran zu gewöhnen. Es fühlt sich immer noch alles so überwältigend an. Ich habe das Gefühl, als würde ich dir, dem großen General Qing, nicht gerecht werden.«
Sie versuchte sich an einem kleinen Lächeln. »Allerdings muss ich zugeben, dass es in diesem Hanfu hier doch ein wenig kompliziert wäre zu reiten. Mei-Lin hat sich mal wieder selbst übertroffen.«
Luo-Zhi betrachtete Li-Hua mit Bewunderung. Der dunkle Jadeblau-Ton des Hanfu brachte ihre zarte Haut zum Leuchten und die silbernen Stickereien verliehen ihr eine elegante Ausstrahlung. Die Pferdekopf-Haarnadel, die er ihr geschenkt hatte, war perfekt in ihre hochgesteckte Frisur integriert und schenkte dem Gesamtbild eine persönliche Note.
»Du siehst atemberaubend aus, mein Herz«, sagte Luo-Zhi sanft und nahm ihre Hand. »Mei-Lin hat wirklich hervorragende Arbeit geleistet. Aber es ist deine natürliche Anmut, die den Hanfu zum Leben erweckt.«
Er sah hinüber zu der Kutsche, ein Vierspänner, wo Tian gerade die Pferde fertig eingespannt hatte und sich nun mit Mei-Lin unterhielt. Luo-Zhi konnte nicht hören, über was die beiden sprachen, aber sah wie Mei-Lin, errötete und kicherte.
Er wandte sich wieder an Li-Hua und hielt ihr seine Hand hin, wie er es schon so oft getan hatte. »Komm mit, wir sollten langsam aufbrechen.«
Li-Hua ergriff seine Hand ohne zu zögern, was ihn jedes Mal aufs Neue faszinierte. Es zeigte ihm nur immer wieder, wie sehr sie ihm vertraute. Trotz allem, was zwischen ihnen passiert war.
»Da seid ihr beiden ja«, meinte Mei-Lin, die ihr Gespräch, noch immer mit geröteten Wangen, mit Tian unterbrach als Luo-Zhi und Li-Hua zu ihnen traten.
Luo-Zhi nickte ihr zu und half dann Li-Hua beim Einsteigen in die Kutsche. Er bewunderte, wie anmutig sie sich trotz des aufwendigen Hanfus bewegte. Als er selbst einstieg, bemerkte er, wie Li-Hua tief durchatmete. »Alles in Ordnung?«, fragte er leise und nahm ihre Hand.
Li-Hua nickte tapfer. »Ja, ich bin nur ein wenig nervös.«
Für einen Moment wirkte sie, als wolle sie noch etwas sagen. Also wartete er ab.
»Es gibt da übrigens noch was«, meinte Li-Hua tatsächlich. »Deine Uniform... Sie steht dir sehr gut.«
Luo-Zhi blinzelte überrascht. Ihr Kompliment zu seiner Uniform kam absolut unerwartet für ihn. Die meiste Zeit, die er in der Burg mit Li-Hua verbrachte, hatte auch er Hanfu getragen. Nicht nur, um es ihr leichter zu machen, sondern weil es bequemer war. Bei ihrer Hochzeit vor jetzt fast einem Monat, bei dem Fest, dass seine Eltern für sie beide gaben, hatte er natürliche eine Uniform getragen und auch als sie ihn im Lager besuchte. Ansonsten aber vermied er es.
»Weißt du«, sagte er leise, »ich trage diese Uniform nicht nur als Symbol meiner Position, sondern auch als Erinnerung an meine Pflicht - nicht nur gegenüber dem Reich und Kaiser, sondern auch zu dir.«
Die Röte auf Li-Huas Wangen nahm zu. Doch bevor sie noch etwas zu ihm sagen konnte, stieg Mei-Lin zu ihnen in die Kutsche und setzte sich Li-Hua gegenüber.
»Seid ihr beide bereit?«, fragte Mei-Lin mit einem aufmunternden Lächeln. »Von mir aus kann es losgehen. Huang ist auch endlich mit seinen Leuten eingetroffen.«
Luo-Zhi konnte sich nur gerade so ein »das wurde auch Zeit« verkneifen. Er sah zu Li-Hua. »Was denkst du? Sind wir bereit?«
Li-Hua nickte zögernd. »Ich glaube schon. Zumindest vorerst.«
Er klopfte an die Wand der Kutsche, um Tian das Signal zum Losfahren zu geben. Mit einem leichten Ruck setzte sich der Vierspänner in Bewegung.
Luo-Zhi spürte, wie Li-Hua neben ihm leicht zusammenzuckte und instinktiv näher an ihn heranrückte. »Keine Sorge«, flüsterte er ihr beruhigend zu. »Ich bin die ganze Zeit bei dir. Wir stehen das gemeinsam durch.«
Li-Hua nickte dankbar und lehnte sich leicht an seine Schulter. »Ich weiß, danke.«
Während die Kutsche durch die Straßen rollte, ließ Luo-Zhi seinen Blick über die vorbeiziehende Landschaft schweifen. Er wusste, dass dieser Tag eine Herausforderung für Li-Hua sein würde. »Du wirst das großartig machen«, sagte er leise zu Li-Hua, als die Kutsche sich dem Stadttor näherte. »Denk einfach daran: Du bist Lady Qing, meine Frau und eine starke, mutige Frau. Lass dich von niemandem einschüchtern.«
Die Kutschfahrt dauerte nicht lange, wenngleich etwas länger als Luo-Zhi mit Li-Hua in die Stadt geritten war. Er beobachtete Li-Hua aus dem Augenwinkel und bemerkte, wie sie tief durchatmete, ihre Haltung straffte und sich dann weiter leise mit Mei-Lin unterhielt.
»General, wir sind angekommen«, hörte Luo-Zhi schließlich Huang von draußen rufen, direkt nachdem die Kutsche zum Stehen gekommen war.
Luo-Zhi öffnete die Kutschentür und stieg als Erster aus, um Li-Hua beim Aussteigen zu helfen. Als er ihre Hand nahm, spürte er ein leichtes Zittern.
Luo-Zhi versuchte sich an einem Lächeln zu Li-Hua und ließ seinen Blick über den Platz vor dem Gerichtsgebäude schweifen. Er bemerkte die neugierigen Blicke der Umstehenden und die respektvollen Verbeugungen einiger Beamter, von denen er eine vom Sehen kannte. Er wusste, dass ihre Ankunft in der prächtigen Kutsche und mit Eskorte bereits Eindruck gemacht hatte. Dieses Ziel hatten sie also schon einmal erreicht.
Mei-Lin, die als Li-Huas beste Freundin normalerweise immer neben ihr ging, folgte ihm und Li-Hua nun mit drei Schritten Abstand hinter ihnen. Ganz so, wie es die Etikette verlangte.
Er drehte sich zu Li-Hua um und lächelte ermutigend. »Denke daran, du bist Lady Qing, meine Ehefrau. Du hast das Recht, hier zu sein und deine Stimme zu erheben.«
Li-Hua nickte und hakte sich bei ihm ein. »Ich versuche daran zu denken.«
»General Qing, es ist schon eine Weile her, nicht wahr?«, wurde Luo-Zhi auch schon angesprochen, sobald sie das Gerichtsgebäude betraten. »Und wie ich sehe, begleitet Euch heute Eure bezaubernde Gattin.«
Luo-Zhi drehte sich um und erkannte einen der Beamten, den er von früheren Besuchen kannte. Er nickte höflich. «Ja, es ist einige Zeit vergangen. Ich hoffe, die Dinge haben sich hier zum Besseren gewendet.«
Der Beamte seufzte. »Nun, das kommt wohl darauf an, wenn Ihr fragt. Allerdings dürfte der Fall heute wohl klar sein.«
Der Beamte musterte Li-Hua von oben bis unten. »Dann seid Ihr wohl Wang Li-Hua?«
Bevor Li-Hua antworten konnte, ergriff Luo-Zhi das Wort. »Nein, der Name meiner Frau lautet Qing Li-Hua«, korrigierte er ihn streng. »Und wie war noch einmal Euer Name?«
Der Beamte zuckte zusammen, als hätte Luo-Zhi ihn geschlagen. »Verzeiht meine Unhöflichkeit, General Qing. Es lag mir fern Euch oder Frau zu beleidigen«, sagte er hastig und verbeugte sich. »Mein Name ist Li Bao. Ich bin einer der Gerichtsschreiber hier.«
Luo-Zhi nickte knapp, seine Augen fixierten ihn mit einem durchdringenden Blick. »Nun, Gerichtsschreiber Li, ich hoffe, Ihr werdet Eure Aufgabe heute mit der gebotenen Sorgfalt und Unparteilichkeit erfüllen.«
»Natürlich, Herr.« Bao nickte hastig. »Euer Vater, Obergeneral Qing Feng ist übrigens auch schon eingetroffen und schon im Gerichtssaal.«
»Nun denn, dann werden wir die Gelegenheit nutzen und ihn begrüßen.« Luo-Zhi nickte Bao noch ein letztes Mal zu, dann wandte er sich an Li-Hua. »Komm, wir wollen doch meinen Vater nicht länger warten lassen, richtig?«
Li-Hua nickte. »Natürlich nicht.«
Sie sah zu Bao. »Gerichtsschreiber Li, es war mir eine Freude Euch kennenzulernen.«